Matthias Jenke

Fragmente


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schimmerte ein dünner Lichtstreifen. Auf der anderen Seite war alles still. Er legte das Ohr ans Holz der Tür und lauschte, aber noch immer war kein Ton zu hören.

      Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt breit und lugte hindurch.

      Ludwig saß in einem Sessel, in der linken Hand ein Glas Whisky. Er war nach vorne gebeugt und betrachtete ein paar Bücher, die auf dem Tisch vor ihm aufgeschlagen lagen. Daneben befand sich ein Schreibblock. In seiner rechten Hand hielt er einen teuren Federhalter.

      „Komm rein.“ sagte er, ohne aufzublicken. Offenbar hatte er die Tür gehört.

      Ohne ein Wort zu sagen betrat Hans den Raum und schloss die Tür hinter sich. Er durchquerte das Büro und ging langsam um den Sessel herum.

      Ludwig blickte auf und war erstaunt.

      „Bomber?“ fragte er überrascht. „Wie kommst du hier rein?“

      Hans antwortete nicht. Stattdessen betrachtete er den Mann eindringlich. Ludwig war groß, schlank. Ein Mann, der Wert auf sein Äußeres legte und in teuren Anzügen eine gute Figur machte; ein Mann der hervorragend repräsentieren konnte und auf jedem Photo aussah wie frisch aus dem Ei gepellt. Selbst zu so später Stunde, und vollkommen allein in seinem Büro, trug er noch immer seine Krawatte und sah sein Hemd noch immer so aus, als habe er es gerade frisch angezogen.

      Er war ein hochintelligenter und verschlagener Mann; aber er war kein mutiger Mann.

      In seinen Augen blitzte Furcht auf, als er sich aus seinem Sessel erhob, den Whisky noch immer in der linken und den Federhalter noch immer in der rechten Hand.

      „Was willst du hier, Bomber?“ fragte Ludwig. Er hielt nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau, und seine Stimme bebte leise.

      „Rache für meine Frau.“ entgegnete Hans tonlos.

      Ludwigs Blick flackerte.

      „Bomber! Das mit deiner Frau tut mir wirklich schrecklich leid, aber dafür kann nun wirklich niemand etwas!“

      „Das ist für Natascha.“ sagte Hans.

      Doch er hatte Ludwig unterschätzt.

      Überraschend schnell schüttete der ihm den Whisky in die Augen, was ihn für einen kurzen Augenblick blendete, und stürzte sich dann auf ihn. Hans wurde von dem Aufprall des leichteren Mannes aus dem Gleichgewicht gebracht und stolperte zurück. Dann schoss ein brennender Schmerz durch sein rechtes Bein, als Ludwig ihm den Federhalter in die Innenseite des Oberschenkels rammte. Der Mann hatte auf seinen Unterleib gezielt, ihn aber durch das Stolpern knapp verfehlt.

      Hans röhrte vor Schmerz.

      Mit seiner Linken bekam er Ludwigs Haare zu fassen und riss den Kopf des Mannes jäh zurück. Ludwig schrie vor Schmerz schrill auf. Hans stieß ihn von sich, nahm ein Kissen von dem Sessel, auf dem der andere eben noch gesessen hatte, und drückte es dem am Boden liegenden auf das Gesicht.

      Ludwig strampelte und wehrte sich, aber Hans legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn. Dann presste er den Lauf der Pistole in das Kissen und zog den Abzug. Der Knall war durch das Kissen gedämpft; mit etwas Glück hatte niemand im Haus etwas gehört. Ludwigs Körper erschlaffte unter ihm.

      Unbeschreiblicher Schmerz zerrte ihn in die Gegenwart zurück. Sein Körper brüllte seine Qual mit jeder Faser aus sich heraus; ihm selbst fehlte dazu inzwischen die Kraft. Ein leises Wimmern drang über seine Lippen, das seinen eigenen Ohren fremd klang.

      Schläge trafen seinen Kopf, seine Brust. Sein Folterknecht hatte einen schmalen Holzknüppel in der Hand, mit dem er ihm in gleichmäßigen Abständen gegen Arme und Beine schlug. Er spürte die Schläge kaum. Sein Bewusstsein schien in Watte gepackt und nur noch das an sich heran zu lassen, was wirklich wichtig war. Sein Körper starb. Schmerz spielte keine Rolle mehr.

      Überrascht blickte Hans aus geschwollenen Augen auf.

      Der Mann hatte etwas gesagt.

      Hans konzentrierte sich auf die Stimme, die aus weiter Ferne an seine Ohren zu dringen schien, obwohl der Mann direkt vor ihm stand.

      „… Emils Knarre. Wie bist du an Emils Knarre gekommen?“

      Emil. Der kleine Laufbursche. Ein Niemand, ein Wicht. Ein Kerl, der versuchte, durch eine auffällige Kanone Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihn hatte er zuerst besucht, um zu erfahren wo er Richie finden konnte. Und natürlich hatte er eine Waffe gebraucht.

      Die ängstlichen, weit aufgerissenen Augen, als er über ihm gestanden und auf ihn eingeschlagen hatte… Er hatte ihm mehrere Finger der rechten Hand brechen müssen, um zu erfahren, weswegen er gekommen war. Die Zähigkeit dieses schmächtigen Kerls hatte ihn überrascht. Dann hatte er ihm das Genick gebrochen. Es hatte ihm Leid getan, aber er hatte es sich nicht leisten können, dass Ludwig oder der „Boss“ zu früh etwas erfuhren.

      Als Hans die Wohnung verlassen hatte, hatte noch immer die Angst in Emils gebrochenem Blick gestanden.

      „Willst nicht reden, was?“ Sein Folterer lachte verächtlich auf. Mit kräftigem Schwung schlug er Hans den Holzknüppel gegen den Kopf.

      Hans wurde schwarz vor Augen.

      Es war Sonntag, und Natascha und er saßen im Auto. Sie hatten sich gerade eine neue Wohnung in einer besseren Gegend angesehen. Natascha war ganz aufgekratzt und sprach von nichts anderem mehr. Wie groß die Wohnung war, wie hell, und was für einen Ausblick sie auf den Stadtpark hatten. Und ein zusätzliches Zimmer, ein Kinderzimmer. Natascha war im dritten Monat schwanger, aber das hatten sie noch niemandem erzählt; sie wollten kein Unglück über sich bringen. Aber das Kind war der Grund, warum sie sich eine neue Wohnung nehmen wollten – eine größere Wohnung in einer besseren Gegend…

      „Wenn der Makler es schon weiß, dann kann ich es nachher auch meiner Mutter erzählen.“ sagte Natascha, setzte den Blinker und bog rechts ab.

      Wenn sie zusammen Auto fuhren, saß meistens Natascha am Steuer. Hans fuhr gern Auto, aber Natascha fand seine Fahrweise zu rasant, deswegen fuhr sie lieber selbst.

      „Klar kannst du das.“ sagte er.

      „Die wird eh schon sauer sein, dass sie es erst jetzt erfährt.“

      „Sag ihr, wir wollten erst sicher sein. Das wird sie verstehen.“

      „Sicher, das versteht sie. Aber dass der Makler es vor ihr wusste…“

      „Das musst du ihr ja nicht erzählen.“

      „Ich muss nicht.“ grinste Natascha. „Aber du kennst mich. Es rutscht mir garantiert raus!“

      „Oh, ja.“ lachte Hans. „Ich kenne dich!“

      „Sie wird wissen wollen, ob wir uns das leisten können.“ sagte Natascha, als sie den Wagen an einer roten Ampel zum Stehen brachte.

      „Natürlich können wir uns das leisten.“ antwortete Hans und legte ihr beruhigend die Hand auf den Oberschenkel. „Ich habe bei meinen letzten Kämpfen gut verdient, und ich habe da so was läuten hören, dass der ‚Boss’ eine Überraschung für mich auf Lager hat.“

      „Pass auf, dass du nicht zuviel mit diesen Typen zu tun bekommst.“ bat Natascha.

      „Der Mann hat mich groß gemacht.“ erinnerte Hans sie. „Ich bin ihm was schuldig.“

      „Du weißt schon.“ sagte Natascha.

      Hans zögerte einen Moment, aber dem Blick seiner Frau hatte er nichts entgegenzusetzen. Er liebte sie mehr als sein Leben.

      „Versprochen.“ sagte er und gab ihr einen Kuss. „Und falls sie irgendwann wollen, dass ich bei irgendwelchen krummen Dingern… na ja… dann schmeiße ich die ganze Sache hin und suche mir einen richtigen Job. Ich werde uns schon über die Runden bringen!“

      Hinter ihnen hupte jemand.

      Natascha sah auf. Die Ampel war grün. Sie gab Gas, fuhr an.

      Dann