Hartmut Witt

Steine der Macht


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und Gehorsam gegenüber dem Staat zählte, und alles andere im höchsten Grade verdächtig war.

      Sicherlich hatten wir damals junge Menschen manches übertrieben. Zum Beispiel am heiligen Sonntag nackt am Dorfrand über die Straße zu gehen oder in großen Gruppen nackt im Dorfbach oder einem nahen See zu baden, nachts in wilder Lagerfeuer-Romantik zu feiern, zu musizieren und zu singen, statt sittsam ins Bett zu gehen. Die Hippies hatten auch ihre menschlichen Schwächen und Lebensgrundlagen-Realitäten, an denen ihre Gemeinschaften, auch die, in der ich lebte, zerbrachen.

      Natürlich wird man einige Anleihen aus meinen Leben in diesem Roman finden. Ich bestehe aber darauf, dass die Geschichte ein frei ersponnener Mischmasch aus eigenen Vorstellungen, Satire, klassischen Fantasy-Bildern, Drogenerfahrungen, Märchen, Mythen und der Anthroposophie ist und nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

      Ich habe diese Geschichte in größeren Abständen fünfmal neu begonnen. Da ich immer wieder nach meinem Internet-Nicknamen Amon gefragt wurde, den ich dem Protagonisten der Geschichte entliehen habe, habe ich mich entschieden, die auf endlosen Bergen handgeschriebener Zettel und Zeichnungen entstandene Geschichte zu Ende zu bringen. Das Ergebnis liegt hiermit nun vor. Ich wünsche allen interessierten Lesern viel Vergnügen und hoffe, niemanden damit zu langweilen.

      Hartmut Witt

       Inhalt

      1. Ein böser Traum

      Amon hörte widerliche Schreie einer ihm unbekannten Art in der Dämmerung. Er nahm wahr, dass sie aus dem nicht weit entfernten Nachbarort kamen. Die Neugier trieb ihn an zu erfahren, was die Ursache wäre. Er rief sein Pferd, das willig von der Weide herantrabte. Ohne es zu satteln schwang er sich auf seinen Rücken. Er ritt im schnellen Trab hinunter in die Furt und über die nächste Anhöhe in das dahintergelegene Dorf.

      Der Anblick entsetzte ihn. Die Szene beherrschten riesige, seltsame, grau schillernde Vögel mit großen Schnäbeln, auf deren Rücken krummnasige, lederbeschuppte Kreaturen saßen. Von diesen Vögeln stammten die Schreie, die wie Dissonanzen aufeinander reibenden Metalls klangen. Es roch nach Blut und altem Öl. Der Geruch stammte von den Ausscheidungen dieser Vögel, die fast menschengroße, rotgelbschmierige Kuhfladen aus dem Hinterteil auswarfen und damit das Gras verätzten. Die Menschen des Nachbardorfes waren scheinbar versklavt worden. Sie waren völlig schweißgebadet, dreckig und schafften allmögliche Kisten heran.

      Ein großes, himmelhohes Tor aus Nebel führte in eine graue Dunkelheit, aus dem diese Vögel scheinbar gekommen waren. Die Kisten wurden auf die Vögel verladen. Ein glatzköpfiger Mensch mit großem froschartigem Mund stand grinsend, der Szenerie beiwohnend, in der Nähe eines dieser Vögel. Ein älterer Mann ließ erschöpft eine Kiste fallen. Sofort hüpfte ein Vogel heran, schnappte sich den Mann und verschlang ihn mit zwei ruckartigen Bewegungen. Man sah an den Verdickungen des Halses, wie er in der Kehle des Vogels herunterrutschte.

      Jetzt sahen einige der Sklaven Amon und deuteten auf das Tor. Ein alter Mann näherte sich ihm, ließ seine Last fallen und rief: „Dich schickt der Himmel. Bitte geh für uns durch das Tor! Befreie uns!“ Weiter kam er nicht. Ein anderer Vogel hüpfte heran und verschlang den alten Mann genauso, wie es der andere zuvor getan hatte. Erschreckt scheute sein Pferd und sprang einen Satz zurück. Doch weder die Vögel noch die seltsamen Reiter, und auch nicht der glatzköpfige Mensch schienen ihn zu sehen. Stattdessen wurde ein anderer Mann von dem glatzköpfigen Froschgesicht in der Inselsprache angehalten, die Kiste aufzusammeln.

      Flehentlich schauten ihn die anderen Sklaven an. Amon durchzuckte es. Er wollte ihnen helfen. Er nahm seinen Mut zusammen und hielt auf das Tor zu, als plötzlich ein weiterer Vogel hindurch geflogen kam und einen schrecklichen Schrei ausstieß. Da scheute sein braves Pferd erneut. Es bäumte sich wiehernd auf. Amon, der einen Moment zu spät nach der Mähne griff, rutschte vom Rücken des sattellosen Pferdes … und erwachte.

      Er hatte nur geträumt. Ein böser Traum. Er schaute sich um. Er lag im Bett seines Zimmers, das er in einer Hausgemeinschaft junger Holzhandwerker hatte. Sie Sonne ging gerade auf. Es war Zeit aufzustehen. Als er von dem schrecklichen Traum noch etwas benommen in die Gemeinschaftsräume eintrat, sah er bereits Linus Falong in der Küche werkeln. Sie grüßten sich und es dauerte nicht lange, da kamen, angelockt vom Duft frischen Brotes und Kräutertee, Britta und Mikel dazu. Alle Vier verband ihre Berufung für das Holzhandwerk und ihre Freude, gemeinsam Musik und Theater zu spielen.

      Amon Tih war gerade mal 21 Jahre alt. Er war der jüngste von ihnen. Ein schlanker, kräftiger, goldhaariger, hellhäutiger Mann mit spärlichem Bartwuchs, langen, glatten Haaren und kräftigen Schultern. In seinen blauen Augen lag eine kleine, gelbe Sonnenscheibe. Seine Vorfahren stammten aus dem Norden des Ostkontinents, den Dunlanden. Sein typischer Langschädel zeugte davon.

      Linus war 23 Lenze alt und etwas kleiner und schmächtiger im Körperbau. Er hatte lange, schwarze Haare und einen kräftigen Bart. Er war blauäugig und stets braungebrannt. Auch seine Vorfahren stammten nicht von der Insel, sondern aus den Flusslanden von Midarien auf dem Westkontinent.

      Mikel war ein kräftiger Bursche, 22 Jahre, blond gelockt, bärtig und blauäugig. Auch ihm sah man sofort an, dass seine Vorfahren keine Einheimischen waren, sondern ebenso nordischer Herkunft wie Amon.

      Britta war mit 27 Lenzen die Älteste unter ihnen. Eine hochgewachsene schöne Frau, aber ebenso wenig aus einer einheimischen Familie. Ihre Hellhäutigkeit und strahlend blauen Augen verrieten, dass sie nördliche Vorfahren hatte. Ihr leichter Dialekt ließe sich in den Bergen Ateuras wiederfinden.

      Die Hausgemeinschaft erzählte beim Frühstück gerne über ihre Träume, bevor sie zum Tagewerk wechselten. Amon gab seinen Traum zum Besten und die Mitbewohner hörten gefesselt zu. Keiner von ihnen wusste eine Erklärung des Traumes zu finden, denn die Insel Samobali lebte seit 50 Jahren in Frieden. Zwar kam es nach dem letzten der großen Kriege zu großen Wanderungen. Aber da die Insel eigentlich schon als überbevölkert galt, hatte man mit mächtigen Schutzzaubern dafür gesorgt, dass keine bösartigen Völker die Insel in der Mitte des zentrischen Meeres gefunden hatten. Doch aus Büchern und Erzählungen der Vorfahren und Reisenden wusste man, dass außerhalb der Insel immer noch wüste Kriege von Eroberer-Völkern stattfanden und die Reste der Menschheit versklavten.

      Auch von großen, menschenfressenden Vögeln und ihren schuppenbesetzten Reitern hatte man gehört: Die Reiter tobten auf dem Westkontinent. Man nannte sie Dumpos. Sie waren gierige, landzerstörende Kreaturen, die gnadenlosen Raubbau betrieb. Der Sage nach waren die Dumpos Schöpfungen des Widersacher-Gottes Argomann und einem Menschenzauberer mit Namen Drago. Drago besaß übernatürliche Drachenkräfte und war zugleich der Fürst seines Volkes.

      Bislang war noch nie einer dieser Vögel in oder über Samobali gesehen worden. Insofern empfanden alle Hausbewohner diesen Traum als schreckliche Vision. Sie überlegten, ob es sinnvoll wäre, den Rat der Weisen aufzusuchen, um sich den Traum deuten zu lassen.

      Später als üblich beratschlagten sich die Vier, welches Tagewerk sie heute verrichten wollten. Sie sollten im Wald ein paar Bäume schlagen, die sie für den Hausbau benötigten. Denn aus einer andern Hausgemeinschaft entstand ein Paar, das Kinder bekam. So sollte für diese Wohnraum geschaffen werden. Britta hatte mit Hilfe eines alten Baumeisters namens Jabo die Pläne erstellt. Und da kam er auch schon.

      Jabo war ein älterer Herr im Alter von etwa 65 Lenzen. Er war ein Einheimischer, der eine kupferbraune Hautfarbe, braune Augen, schwarze Haare, die mittlerweile mehr grau waren, sanfte Gesichtszüge und das typische sonnige Gemüt besaß. Sie begrüßten sich, sattelten ihre Pferde und machen sich ans Werk.

      2. Samobali

      Die paradiesische Insel Samobali lag im Herzen des Zentrischen Meeres. Sie wurde im Westen von dem Westkontinent, im Osten von dem Ostkontinent, im Süden von einer langen Felseninsel namens Schrecken und im Norden durch das Eismeer begrenzt. Ein subtropisches Klima, das eine ganzjährige Wachstumsperiode brachte, dazu ein reichhaltiger Boden und das Wissen um eine nachhaltige Feldwirtschaft ließ die Samobalikis keine Not verspüren. Landschaftlich