Hartmut Witt

Steine der Macht


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sagen, sie ist die beste junge Zauberin, die wir auf Samobali haben. Deine Träume sind eine Mischung aus Visionen und Ängsten. Solche Visionen würden wir gerne von Samobali fernhalten. Doch unsere Kräfte schwinden. Wir haben allen Samobalikis einen Schlüssel gegeben, ungehindert durch den magischen Schutzwall hinein- und hinaus zu kommen. Es werden immer mehr Menschen nach Samobali gelangen wollen, und schon jetzt haben wir fast die Grenze erreicht, um allen ein angenehmes Leben und Freiheit zu gewähren. Die Natur auf Samobali ist reich gesegnet. Doch trotz unseres Wachstumszaubers werden die Rohstoffe immer knapper. Es kommen immer mehr Menschen, die voller Hass durch das Erlebte sind, durchtränkt oder verseucht. Wir haben Mühe, die geeigneten Mittel zu finden, um alle zu heilen.“

      Amon fiel sofort seine Schwester ein. „Ja Amon, wir wissen um deine Schwester“, nahm die Durha den unausgesprochenen Gedanken Amons auf: „Wir arbeiten daran, ein Gegenmittel zu finden. Doch aufhalten können wir den körperlichen Verfall nicht. Ich will dir etwas aus der Vergangenheit verraten, um dir klarzumachen, welche Mächte hier im Spiel sind. Aus unseren Mythen wissen wir, dass die Menschen früher von Göttern geleitet wurden. Diese wandelten unter uns. Der göttliche Plan aber war, dass die Menschen selbst zu Göttern werden. Dazu mussten sie die Führung aufgeben und Widersacher-Götter zulassen, damit der Mensch frei entscheiden kann. Denn nur wer freien Willen hat, ist göttlich. Die Götter zogen sich auf die Sterne oder andere Welten zurück. Götter des Zwielichts bekamen ihre Chance, die Menschen in die Irre zu führen. Sie beseelten menschliche Führer, die sich den anderen überlegen glaubten. Sie wollten herrschen und es brachen endlose Kriege aus. Einige Zauberer versuchten, die Fähigkeiten von Tieren und Mensch zu vereinen. Der Zauberer Drago erschuf die Dumpos, indem er Mensch und Drachen verband. Sie erhielten langes Leben. Doch die ruhelose Gier nach Reichtum hielt in ihren Herzen Einzug. Der Zauberer Anubi experimentierte mit den übersinnlichen Kräften von Schakalen und Wölfen. Sein Volk veränderte sich auch äußerlich, ihnen wuchsen größere Ohren und ein Fell. Sie waren die Vorfahren der Furken.

      Die veränderten Völker rühmten sich mit ihrer Überlegenheit. Andere Stämme folgten ihren Beispielen. Die ursprünglichen Menschen drohten, ausgerottet zu werden. Mächtige Schutzzauber stoppten die Umwandlungen. Der Zauberer Rex schaffte ein Bündnis unter den Menschen und entwickelte eine Waffe, die dem Expansionsdrang der neuen Völker Einhalt gebieten sollte. Es gelang ihm, Insekten zu vergrößern und mit Hexenzügeln zu kontrollieren. Was daraus entstand war ungeheuerlich: Eine Armee, die auf Riesenlibellen flog, Ameisen die wahnsinnige Kräfte hatten. Furken und Dumpos wurden zurückgeschlagen, so steht es auch in den Geschichtsbüchern. Doch mit der aufkeimenden Macht der Menschen entstand auch wieder Zwietracht.

      Einige Schwarzmagier machten sich daran, das Wissen von Rex an sich zu reißen. Dem dunklen Schwarzmagier Katmordo aus Herradura gelang es, einen der Steine der Macht zu stehlen. Rex hatte wichtige Formeln zur Beherrschung von Materie in einem Schwarzen Stein gespeichert. Er fürchtete, dass Teile des Wissens in falsche Hände geraten und gegen die Menschen angewendet werden könnten. So ließ er seine geschaffenen Rieseninsekten wieder schrumpfen, was ihm leider nur teilweise gelang. Viele Biester entkamen mit Hilfe von Verrätern, die den Verlust der Macht der Dunländer fürchteten. Unter ihnen war auch ein Graf Udo von Tambalidi. Einer seiner Nachfahren, Graf Grego von Tambalidi, lebt auf Samobali. Ich frage mich immer noch, warum wir ihn reinließen. Aber er war in einem solch jämmerlichen Zustand, dass wir Mitleid hatten. Nun ja, aber das ist eine andere Geschichte.

      Rex war jedenfalls auch Dunländer. Er verlor den größten Teil seiner Riesenlibellen an Tambalidi. Nach dem Verrat aus den eigenen Reihen beschloss Rex, das Land zu verlassen und die verbliebenen sechs Steine der Macht zu retten. Damit die Steine bei einem Hinterhalt nicht vollständig in die Hände der Feinde gelangten, verteilte er sie an herbeigerufene, loyale Zauberer aus unterschiedlichen Völkern. Den Blauen gab er einer Nixenkönigin, den Grünen an eine Elfenzauberin, den Gelben an einen edlen Drachenkönig. Den Kristallenen gab er einem Zwergenzauberer, den Roten behielt er selbst, und den Weißen haben wir.

      Als Rex sich auf einem Drachen aus dem Land entfernten wollte, wurde er von Riesenlibellen seiner eigenen Dunländer angegriffen und getötet. Er hatte noch etliche von ihnen mit einem Schrumpfzauber verkleinert, bevor er vom Drachen gestoßen wurde und zur Erde stürzte. So gelangte der Rote Stein in die Hände der Abtrünnigen.

      Katmordo gelang es, einen Teil des Schwarzen Steins zu entschlüsseln. Er sah die Zeit der Herradurer gekommen, die Völker der anderen Menschen zu beherrschen. Sein Plan war das - trotz des Todes von Rex - weiterhin mächtige Volk der Dunländer zu vernichten. Katmordo ließ Tambalidi eine Botschaft zukommen, in der er ihm ein Bündnis der Macht vorschlug. Der Brief war versiegelt und enthielt ein von ihm entwickeltes, tödliches Gas. Tambalidi öffnete den Brief, erkrankte und verstarb nach wenigen Wochen. Das Gas in seinem Körper breitete sich wie eine Seuche aus und übertrug sich auf die Menschen in seiner Umgebung. Durch eine Händlerfamilie wurde die Seuche bis nach Herradura zurück gebracht, so dass auch Katmordo selbst seiner Waffe erlag. Die Furken und Dumpos kamen zurück ins Spiel. Bis ein Magier aus Lingby mit Namen Donar ein Gegenmittel für die Seuche fand, war die Hälfte der Menschen dahingerafft. Graf Grego war in einer Magierschule fernab der Heimat und überlebte.

      Nach dem letzten verlorenen Krieg gelangten der Schwarze Stein in die Hände der Dumpos und der Rote in die Hände der Furken. Seither machten sich die Furken die Riesenlibellen zu Eigen. Die Dumpos lernten, Materie zu beherrschen und beraubten die Naturkräfte, indem sie Dunkelgnome aus ihnen zogen. Alles funktionierte mit ihnen, auch die Riesenvögel, die in deinem Traum vorkamen. Sie werden aus kleinen Metallstücken zusammengesetzt und von Dunkelgnomen gesteuert. Die Dunkelgnome ziehen ihre Energie aus dem Sterben von Kreaturen.“

      Die Durha machte eine Pause und musterte Amon. Amon kannte manches aus den Geschichtsbüchern, manches war ihm neu, auch, dass der Weiße Stein in den Händen der Magier von Samobali war, stand nirgendwo geschrieben.

      Dann sprach die Durha weiter. Sie hatte auf eine Frage Amons gewartet und las aus seinen Gedanken: „Amon, du musst auch wissen, dass die magische Wirkung der Steine nach und nach verblasst, wenn man sie trennt. Wir könnten also abwarten, bis die Macht der Dumpos und Furken bricht. Doch wahrscheinlich haben sie unsere Welt zuvor zerstört. Unsere magischen Fähigkeiten werden schwächer und uns läuft die Zeit davon. Die Magie des Weißen Steins sollte aufgeladen werden, indem wir ihn mit den anderen Steinen zusammenbringen. Aber es scheint fast unmöglich, an den Schwarzen und den Roten Stein zu gelangen. Die Magier Samobalis sind zu alt, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Es müssten jüngere begabte Menschen tun. Jedoch bedarf es der Künste der Magie, Einfallsreichtum, Todesmut und Kampfeskraft, diese Aufgabe zu bewältigen. Das ist zu viel für eine einzelne Person, es müsste schon eine Gruppe diese gefährliche Reise antreten. Deine Träume sprechen dafür, dass wir mit dir jemanden gefunden haben, dem wir den Weißen Stein anvertrauen können.“

      Damit hatte Amon nicht gerechnet. Es war zu deutlich, dass er und Mira auf dem Plan der Durha standen, eine Mission zu erfüllen, dessen Schwierigkeit sie sich nicht im Entferntesten ausmalen konnten. Er kam sich auf einmal ziemlich klein vor. Und wer sollte denn der Kämpfer sein? Er selbst sicher nicht. Er hatte zwar Kraft, aber die war nicht ungeheuerlich. Ihm kam der riesige Ult in den Sinn. Ult war ein einziges Muskelpaket und aus seinen Erzählungen war zu entnehmen, dass er keine Auseinandersetzung scheute.

      „Amon, ich will dich nicht drängen.“, griff die Durha sofort Amons Gedanken auf. „Doch deine Träume sind auch Teil unserer Ängste. Ich würde dir diese Aufgabe zutrauen. Lass dir Zeit, rede mit Mira und Ult. Ich werde mich mit den Magiern beraten.“

      „Danke für das große Vertrauen, dass du mir und meinen Freunden schenkst, Durha Maria.“, antwortete Amon. „Ich werde ihnen von unserer Begegnung berichten. Ich habe Zweifel, ob ich eine so große Aufgabe bewältigen kann, doch dein Vertrauen ehrt mich. Ich bin nur ein kleiner Holzhandwerker, der mit großem Glück das Herz dieser wundervollen jungen Frau gewann. Dass Mira eine so begabte Zauberin ist, ahnte ich nicht.“

      Die Bemerkung zu Graf Grego hatte Amon neugierig gemacht. Noch bevor er die Frage stellt, antwortete die Durha bereits: „Graf Grego war ziemlich krank, als er zu uns kam. Wir umsorgten ihn. Doch die Bitte, seine magische Ausbildung weiter verfolgen, schlugen wir ihm ab. Sein Herz war nicht rein, so dass wir ihm den verantwortungsvollen