Hartmut Witt

Steine der Macht


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Sonne senkte sich nahe dem Horizont, es war Abend geworden. Amon beobachtete Mira, wie sie immer wieder etwas Unverständliches murmelte. Es kamen daraufhin Vögel auf Mira zugeflogen und sie schien mit ihnen zu kommunizieren. Die Vögel flatterten in ihrer Nähe und flogen dann zielstrebig in alle Richtungen der Insel davon. „Sie sendet Botschaften“, dachte Amon, der dem Schauspiel am Strand genauso Aufmerksamkeit schenkte wie dem auf dem Wasser. Er hatte noch keine Idee, wie sie mit etwa 300 Rottas fertig werden sollten. Er hoffte darauf, dass sich in den Ortschaften genügend Kampfeswillige zusammentrommeln ließen. Doch gleichzeitig fürchtete er, dass diese den Rottas kämpferisch unterlegen wären und es viele Tote geben würde. Vielleicht würden die Magier rechtzeitig alarmiert und Zwerge und Elfen kämen zu Hilfe.

      Mittlerweile war die Meute in drei Wellen am Strand eingetroffen. Sofort begannen Späher, die Umgebung zu erkunden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Vier entdeckt würden. Sie beobachten, wie ihre Pferde durch einen Späher aufgeschreckt wurden und flussaufwärts Richtung Talipo flüchteten. Die Vier schauten sich fragend an. Plötzlich entdeckte sie einer der Rottaspäher in ihrem Versteck und ließ einen lauten Pfiff los. Ein Gruppe Rottas stürmte in ihre Richtung. Moran stand unvermittelt auf und rief für jeden gut hörbar: „Amon hat recht! Wir müssen etwas Unerwartetes tun!“ Darauf zückte er eine Flöte, die er immer dabei hatte. „Moran, nein!“, versuchte ihn Amon abzuhalten. „Lass ihn!“, fiel im Mira ins Wort. Und er sah, wie sie eine Formel sprach und mit einem Zauberstab eine Ellipse in der Luft zeichnete. Mit einer Handbewegung begann sie sich in Richtung Moran zu bewegen, um ihn schließlich leicht leuchtend zu umschließen. Moran ließ eine wunderschöne Melodie auf der Flöte erklingen. Und erstaunlicherweise waren die Rottas überrascht stehen geblieben. So etwas war den Rottas noch nicht passiert, dass sich ein einzelner Mensch ihnen gegenüberstellte und - statt zu kämpfen – ein Liedchen pfiff. Verdattert standen sie da, keiner rührte sich. Nur die Späher, die sich bereits außer Hörweite befanden, liefen weiter. Rottas waren schneller, als ein Mensch es je sein könnte.

      Da geschah etwas weiteres Unerwartetes: Mit einem Zischen kam ein steinalter Magier in einem glitzernden, spiegelndem Gewand auf einem leuchtendem Schild herbeigeflogen. Er hatte einen zerzausten schlohweißen Bart, der fast zu seinen Füßen reichte. Mit der einen Hand seinen Zauberhut festhaltend, mit der anderen einen Zauberstab schwingend, versuchte er offensichtlich das Gleichgewicht zu halten. „Bei dem Zorn der Götter!“, rief er wild entschlossen mit der Stimme eines zahnlosen Greises. Er erhob seinen Zauberstab, zielte auf die Rottas und schrie: „Potzblitz!“ Dem Zauberstab entfuhr ein mächtiger Blitz, dessen Ende ein paar Rottas tot umfielen ließ. Unglücklicherweise verfing er sich bei seiner Bewegung in seinem Gewand, so dass der Blitz auch seinen Bart versengte und er vom Schild in die Mitte der Rottahorde stürzte. Das außer Kontrolle geratene Schild rasierte im Tiefflug einigen Rottas die Schädel herunter und ging dann laut krachend zu Boden. Schnell erholt von diesem Angriff stürzten sich die Rottas laut und wütend pfeifend auf Moran und den alten Zauberer. Da stand plötzlich Mira bei ihnen, ihrem Zauberstab entflammte gleißendes Licht. Die an die Dunkelheit gewöhnten Augen der Rottas waren geblendet. Der Moment reichte Ult und Amon aus, um herbeizueilen, Moran und den Zauberer hinter einer Klippe zu verstecken und vor den Knochensäbeln der Rottas zu bewahren. Als die Energie des leuchtenden Zauberstabs nachließ, rauschte die nächste Überraschung heran. Eine uralte, in grünem Samt gekleidete Zauberin raste auf einem Besen sitzend heran. Kräftige Schimpftiraden kreischend landete sie in der Mitte der Rottas und schlug mit dem Besen auf sie ein. Die Rottas, die sie traf, schrumpften auf Fingerhutgröße. Die Rottas ergriff die Furcht. Sie flüchten in ihre Boote, um zu ihrem Schiff zurück zu gelangen. Doch zu ihrem Entsetzen hatte das Schiff seine Anker gelichtet. Mit lautem Ächzen und Stöhnen begannen sich die Wasserräder zu drehen.

      Ult hatte auf dem Schiff einen einzelnen Dumpo und ein paar Dunkelgnome erspäht. Sie hatten die Tumulte am Strand genutzt, sich ihrer Bewacher zu entledigen und ohne die Rottas das Weite zu suchen. In diese ausweglose Situation geraten, versuchten etwa hundert Rottas, dem Schiff in ihren Booten zu folgen. Der größere Teil der Rottas, die nicht in die Boote gepasst hatten, traten schrill pfeifend die Flucht nach vorne an. Sie wichen der alten Zauberin aus und rannten ins Landesinnere.

      Die beiden Menschen, die mit den Rottas gekommen waren, hatten sich mit Knochensäbeln bewaffnet und droschen auf den wild gewordenen, flüchtenden Haufen ein. Zwischen sich nahmen sie schützend das kleine Wesen. Ult war aus dem Versteck gestürmt und erschlug mit seinem Schwert jeden Rotta, den er erwischen konnte. Amon beschränkte sich darauf, aus seinem Versteck heraus mit gezielten Steinwürfen den einen oder anderen Rotta niederzuwerfen. Moran war von einem Knochensäbel verletzt worden und lag regungslos neben dem Zauberer, der langsam sein Bewusstsein zurückerlangte und benommen aufstand. Mira sendete Zauberwellen aus, die die Rottas von den Beinen holten. Sie stolperten und wurden für den hinterhereilenden Ult zur leichten Beute.

      In der Zwischenzeit hörte man Signalrufe und Lärm aus dem Norden. Und auch aus Talipo kam ein Haufen wild Entschlossener der Rottahorde entgegen. Der alte Zauberer erblickte die wild um sich schlagende Zauberin und rief: „Amramin, was machst du denn da? Hahaha!“ Er lachte und bekam dabei einen Hustenanfall! Amramin erwiderte: „ Donar, du alter Trottel, da bist du ja!“, und setzte hinterher „Wie konntest du mit deinen 195 Jahren noch auf dem Schild reiten, du bist irre!“ „Ja, tut mir leid, alte Dame!“, rief er zurück, nachdem er seinen Husten unter Kontrolle bekam. Amramin schimpfte wütend: „ Sieh, was du angerichtet hast! Komm jetzt und hilf mir. Es sind zu viele und der Großteil dieser Höllenkreaturen entkommt uns!“ Eilig nahm der alte Zauberer seinen Zauberstab und richtete ihn auf die flüchteten Rottas. Auf ein erneutes „Potzblitz“ schoss ein Blitz aus dem Stab und tötete etwa zehn Rottas.

      Die Rottas in den gefüllten Booten sahen sich außerstande, das sich schnell entfernende Schiff zu erreichen. Doch genauso wenig wollten sie zurück an den Strand, an dem es gerade zwei alte Zauberer, eine junge, sehr begabte Zauberin und ihre drei Begleiter geschafft hatten, sie in die Flucht zu schlagen. Sie trieben auf dem Meer und suchten nach einer anderen Stelle, an der sie anlegen könnten.

      An Land hatten sich zu Beginn etwa dreißig Späher von der Meute getrennt und waren in alle Richtungen auf der Insel ausgeströmt. Dreißig Rottas schlugen sich seitwärts in die Büsche und suchten Verstecke. Zwanzig Rottas wurden von Amramin geschrumpft und waren im Getümmel totgetrampelt worden. Etwa Fünfzehn hatte Donar mit seinen Blitzen und dem Schild getroffen. Noch einmal 20 wurden von Ult, den beiden Menschen oder Amons Steinwürfen erlegt.

      Es blieben etwa fünfundachtzig mit Knochensäbeln bewaffnete Rottas, die auf die Bürger aus Talipo trafen. Diese hatten eilig Äxte, Heugabeln, Dreschflegel, Knüppel und dazu ein paar brennende Fackeln ergriffen, um die Horde ins Meer zurückzujagen. Es waren rund dreihundert tapfere Männer und Frauen, die von Linus angeführt wurden. Ein wüster Kampf brach aus, bei dem die Menschen trotz ihrer Überlegenheit an Größe und Anzahl an Kampfkraft unterlegen waren. „Schnell, alter Trottel! Schwing deine wackligen Beine noch einmal auf dein Schild. Wir müssen den Leuten aus Talipo helfen!“, herrschte Amramin den alten Zauberer an. „Und was machen wir mit denen da draußen auf dem Meer?“, fragte Donar zurück. „Um die kümmern wir uns später!“, entgegnete sie, schwang sich auf ihren Besen und flog in Richtung Talipo. Donar stellte sich auf sein Schild, murmelte ein paar Worte. Es erhob sich leuchtend mit dem wacklig stehenden alten Zauberer und sie flogen hinterher.

      Ult, Amon und die beiden Menschen verloren den Anschluss zu den flüchteten Rottas, die trotz ihrer kleineren Beine viel schneller waren. Mira sorgte sich um den verletzten Moran und hatte von den beiden Menschen ihr Kind anvertraut bekommen. Amon hatte etwas Furcht, dass die allein zurückgebliebene Mira von zurückkehrenden Spähern angegriffen werden könnte. Als er sich umdrehte, war er beruhigt: Circa fünfzig Leute aus Fitzendamm hatten den Strand erreicht. Mit dem Eintreffen der Zauberer konnten die Menschen aus Talipo das Blatt schnell wenden. Die meisten Rottas wurden erschlagen, doch leider gab es auch einige Verluste bei den Leuten aus Talipo. Nach dem Sieg an Land flogen die beiden Zauberer ans Meer zurück. Die Blitze des alten Donars erwiesen sich sehr wirkungsvoll, die noch auf dem Meer befindlichen Boote zu zerstören und die Rottas zu vernichten, die dort schutzlos dem Zorn des Alten ausgesetzt waren. Die beiden Zauberer verfolgten auch das Dumposchiff aus Stahl und setzten es mit einem mächtigen Blitz fest.

      Es