Hartmut Witt

Steine der Macht


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Kind, etwa hundert Bürgern aus Fitzendamm und Lakota sowie einzelnen Bürgern aus Talipo. Die meisten Bürger aus Talipo hatten mit der Versorgung ihrer Verletzten noch alle Hände voll zu tun. Man räumte das Schlachtfeld und vergrub die Kadaver der Rottas.

      Nun war es Zeit, die beiden Menschen zur Rede zu stellen. Zu seiner großen Überraschung erkannte Amon in dem Mann seinen Bruder Gorgen. Ult hatte das schon früher bemerkt, aber bei dem Tumult keine Gelegenheit gehabt, Amon darauf hinzuweisen. „Gorgen!“, rief Amon und die beiden Brüder fielen sich um den Hals. „Warum bringst du diese Räuber nach Samobali? Bist du verrückt?“, hob er an, ihn zu schelten. „Es ging doch gut!“, entgegnete Gorgen trocken. „Es ging überhaupt nicht gut!“, polterte Amon. „ Es kostete ich weiß nicht wie vielen Menschen aus Talipo das Leben. Dazu rennen noch etwa 60 dieser Kreaturen auf der Insel herum. Wehe, wenn sie Fuß fassen! Das ist ein hoher Preis für deine Rückkehr!“ „Ja, ich weiß.“, entgegnete Gorgen. „Ich konnte es nicht einschätzen und ergriff einen Strohhalm, der sich mir und meiner Familie bot! Aber es hinterließ eine Spur der Verwüstung!“ Er senkte den Kopf und fühlte sich offensichtlich schuldig.

      „Darf ich dir meine Frau Selma und meinen anderthalbjährigen Sohn Tobi vorstellen?“, versuchte Gorgen das Thema zu wechseln. Eine dunkelhäutige Schönheit trat hervor, der man genauso wie Gorgen ansah, dass sie harte Zeiten hinter sich hatte. Selma hatte funkelnd schwarze, große Augen. Unter ihrem rechten Auge befand sich eine große Narbe, die ihre Schönheit in keiner Weise beeinträchtigte. Sie streckte Amon ihre feingliedrige Hand entgegen, die Amon mit einem festen Händedruck willkommen hieß. Dann kam der kleine, fast dunkelhäutige Tobi hervor und lächelte Amon mit einem Strahlen an, der ihn seinen Groll fast vergessen ließ. „Wie kamt Ihr mit einem Dumposchiff durch unseren Schutzwall?“, fragte er immer noch vorwurfsvoll. „Amon, ich habe noch immer das Schlüsselamulett, wie jeder Samobaliki, der Samobali verlässt und beabsichtigt, zurückzukehren!“, entgegnete Gorgen.

      Donar hatte das Gespräch der beiden verfolgt. „Amon, ich trage Mitschuld!“, sagte er mit dünner Stimme, „Ich bin wohl zu alt, um Wache am Schutzwall zu halten. Ich schlief ein und als ich erwachte, war das Schiff bereits durch den Schutzwall gelangt. Das wäre nicht ohne das Schlüsselamulett gelungen. Nur hätte ich bei wachem Geist und dem Blick in die Kristallkugel das Dumposchiff erkannt und den Zauber verstärken müssen, um es nicht durchzulassen. Immerhin half es deinem Bruder und seiner Familie. Aber es ist nicht zu verzeihen, wie viele Menschen dadurch starben, denn ich habe als Schutzzauberer versagt und bin kläglich vom Schild gestürzt, als ich die Sache bereinigen wollte.“

      Da kam Amramin hinzu und nahm Donar in den Arm: „Ja, du hast recht, Donar, du bist mittlerweile zu alt, um wache zu halten. Und du hast über vierzig Jahre auf keinem fliegenden Schild mehr gekämpft. du bist eingerostet.“ Dann lachte sie. „Aber alter Krieger, nach anfänglicher wackliger Tollpatschigkeit hast du dich doch wieder an die alte Größe erinnert und mit gezielten Blitzen die Boote samt Inhalt versenkt und auch das Dumposchiff elektrisiert. Die Raubfische finden Futter, alter Mann. Und auch dein Einsatz in der Schlacht an Land war für dein Alter beachtlich!“

      „Danke, Amramin. Nur dass so viele der Rottas entkamen, ist meine Schuld. Und das so viele Menschen aus Talipo zu Tode kamen, ist untröstlich. Wir werden nun auch den Krieg auf Samobali haben, bis die 60 entkommenden Rottas eingefangen sind. Hoffentlich werden nicht zu viele weitere Leben gelöscht! Und hoffentlich können die Rottas keine Nester bauen, in denen sie sich in teuflischer Geschwindigkeit vermehren!“

      „Berechtigte Sorge, Donar. Wir werden auf unsere alten Tage wieder kämpfen lernen müssen und es den Jungen beibringen!“, entgegnete Amramin.

      Amon verfolgte das Gespräch der beiden Zauberer nicht weiter. Er hatte viele Fragen an seinen Bruder. Gorgen musste ihm von dieser Flucht aus Hatallma ausführlich berichten. Er erfuhr, warum die Rottas auf einem Dumpo-Transportschiff kamen. Die Rottas hatten es im Hafen von Hatallma gekapert und waren trotz heftigem Beschuss durch ein Kanonenschiff ins Zentrische Meer entkommen. Auf der Reise nach Samobali musste er allerdings einige Raubzüge und Morde mitansehen.

      Gorgen war in die Gefangenschaft der Rottas gelangt, als ein Angriff der Rottas auf ihren Stollen nicht rechtzeitig abgewehrt wurde. Wegen der Geschichte über Samobali konnte er sein Leben und das seiner Familie retten. Er hatte ihnen reiche Beute und keine Warmardare versprochen. Amon wusste nicht, ob er Gorgen dafür hassen sollte. Doch er konnte auch verstehen, dass ihn die Verzweiflung und die Sorge um die schöne Selma und den sonnigen Tobi zum Verräter an seiner Heimat hatten werden lassen.

      Moran wurde von Mira mit Heilkräuterwickeln versorgt, so dass die hässliche Schnittwunde am Hals bereits nach wenigen Stunden fast verheilt war. Er stand wieder auf den Beinen und erschien putzmunter. Mira war einfach großartig. Wie sie Donar rettete, als dieser so ungeschickt die Show von Moran beendet hatte, verriet, dass sie wirklich eine große Zauberin werden könnte. Amon war sehr stolz auf sie. Moran hatte sich heldenhaft den Rottas entgegengestellt. Ult zeigte sein Können als Kämpfer. Nur Amon war mit seiner Rolle irgendwie unzufrieden. Er sah nicht viel positives, dass er zu seinen Gunsten hätte verbuchen können: Sein Bruder war ein Verräter, seine Schwester eine Suchtkranke. Er hatte nicht mit dem Schwert gekämpft, sondern nur ein paar wenige Rottas mit Steinwürfen niedergestreckt. Die Verfolgung der flüchtenden Rottas war ergebnislos. Und als sie vor Talipo eintrafen, war die Schlacht bereits entschieden. Er hatte sich, als sie zur Verfolgung losrannten, den Knochensäbel eines erschlagenen Rottas genommen, den er jetzt entsetzt musterte. Er hatte nicht einen Streich damit geführt, doch er roch nach Tod.

      In dieser Nacht am Strand tat keiner ein Auge zu. Die Ereignisse des Tages boten reichlich Gesprächsstoff. Doch die entkommen Rottas und die Verluste in den eigenen Reihen überlagerten die Freude, die bei der Schilderung der gewonnen Schlacht, Morans Idee oder Donars Sturzfluges kurz aufzukommen schien. Erst im Morgengrauen kehrten die Bürger in die umliegenden Orte zurück. Auch die Gemeinschaft trat den Heimweg an. Die Pferde, die vor den Spähern flüchteten, waren zwar zurückgekehrt. Da auch Gorgen, Selma und Tobi mit ihnen reisten und der Anstieg in den Berg auf den Pferden nicht zu bewältigen war, gestaltete sich der Rückweg zunächst mühselig. Erst als sie den Abstieg vom Mon Tark gemeistert hatten, saßen sie wieder auf und ritten hinunter in das Isental. Erschöpft erreichen sie am späten Nachmittag ihr Haus in Gran Bellisen.

      Gorgen und seine Familie brachte man vorerst im Vogelhaus unter. Sie bekamen Mikels Zimmer, der sich nun bei Linus einquartierte. Es wurde reichlich eng, so dass Mikel oder Linus in den nächsten Tagen oft auswärts schliefen. Moran blieb noch eine Weile bei Britta.

      Selma blühte nach ein paar Tagen in Gran Bellisen förmlich auf. Noch nie empfand sie so viel Glück in ihrem Leben wie auf Samobali. Sie zeigte sich sehr geschickt bei der Gartenarbeit und verstand es zu töpfern. Sie entfaltete von Tag zu Tag mehr Schönheit und alle mochten sie und den kleinen Tobi.

      Der kantige Gorgen wirkte dagegen etwas unbeholfen. Er sah Amon durchaus ähnlich, war aber etwas kräftiger und größer. Seine Haare waren dicker, fast drahtig, und sein Bart kräftiger. Er war mehr ein Haudrauf. Ihn könnte man im Wald gut gebrauchen, doch dort gab es gerade keine Arbeit. Und so hackte er auf dem Feld die Unkräuter, als wolle er einen Rotta erschlagen.

      Es hatte sich auf der ganzen Insel herumgesprochen, was an der Ach-Mündung am Meer geschehen war. Die Samobalikis stellten Suchtrupps auf, um die entkommenen Rottas aufzuspüren. Diese wurden oft von Ult und Gorgen angeführt und hier erwiesen die beiden sich als sehr wirkungsvoll. Einige Rottas wurden von den Samobalikis gefangen genommen, statt sie zu töten. Sollten die Magier über deren Schicksal entscheiden. Gorgen war unbarmherziger, er erschlug eigenhändig jeden, den er ergreifen konnte. Ein paar wurden auch von Elfenpfeilen in den Wäldern getötet, ein paar von Zwergenbeilen, als sie dabei erwischt wurden, wie sie in eine Höhle einbrachen. Ihre Spur zog sich immer weiter in die Insel herein. Da ein geplünderter Garten, dort ein geraubtes Schaf, Kuh oder Pferd. Nach zwei Wochen liefen immer noch etwas 40 Rottas frei auf Samobali herum. Sie schlugen auf ihren Beutezügen immer nachts zu. Die Natur Samobalis, und besonders das Gebirge, boten viele Verstecke. So gestaltete es sich schwierig, die gefährlichen Räuber zu finden. In allen Orten, in den es Plünderungen oder Raubzüge gab, stellte man nachts Wachen auf, auch in den Nachbarorten, da man damit rechnen konnte, dass die Rottas weiterzogen.