Hartmut Witt

Steine der Macht


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beim Namen. Er hatte ihn einmal im Hafen in Citta gesehen, als er sich selbstgefällig bei den Fischern bediente und dafür unfreundliche Bemerkungen erntete.

      In der Gesellschaft der Dumpos richtete sich die Hierarchie nach deren angehäuften Reichtümern. Es ist ihre Art, ständig mit ihrem Vermögen zu prahlen. Ihre größte Furcht war daher, beraubt oder bestohlen zu werden. Die Häuser der besonders feinen Dumpoherren waren Festungen, die mit künstlichen Augen überwacht wurden. Bissige Leguane liefen innerhalb der Mauern Wache. Die Häuser waren aus flüssigem Fels ohne jegliche Fenster gegossen. Wer sich ohne Anmeldung näherte, wurde mit automatischen Kanonen beschossen. Die Warenhändler besaßen ebenfalls gegossene Felsenburgen, doch von kleinerem Ausmaß. Es hingen überall künstliche Augen, die ein einzelner Dunkelgnom überwachte. Dunkelgnome sind den Zwergen ähnlich. Mittels böser Magie nahm man ihnen den Willen, um nur den Befehlen ihrer Herren zu gehorchen. Diese Dunkelgnome gehörten zur Basis der Macht der Dumpos.

      Die Sonne senkte sich am Horizont. Es würde Nacht werden, bis sie nach Citta zurückzukehrten. Zu gebannt hatten die Hausbewohner den Erzählungen von Ult gelauscht. Die Zeit war wie im Fluge verstrichen. Keiner von ihnen hatte es bemerkt. Man bot den Gästen ein Nachtlager an. Mira fragte Amon, ob sie in dieser Nacht das Bett mit ihm teilen dürfe. Die Geschichten waren zwar ziemlich bedrückend, doch Miras Bitte ließ das Herz Amon vor Begeisterung rasen. Er konnte es kaum erwarten, dass sich die anderen Hausbewohner in ihre Zimmer verabschiedeten und Ult ein Lager im Gemeinschaftsraum bereitet wurde. Amon hatte nicht vor, Mira in irgendeiner Weise zu bedrängen. Doch zu seiner Überraschung übernahm Mira die Initiative und bescherte ihm eine Liebesnacht, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte. Es war spät in der Nacht, als die beiden eng umschlungen in den Schlaf fanden. Jetzt war es geschehen. Amon glaubte, seinen Verstand verloren zu haben, so verliebt war er.

      Als Mira und Ult am nächsten Morgen zurück nach Citta ritten, brauchte Amon seine ganze Selbstbeherrschung, um sich ihnen nicht anzuschließen und keine Minute mehr von Miras Seite zu weichen. Doch es wartete Arbeit auf die Gemeinschaft. Das Haus für die junge Familie sollte aufgestellt werden. In den letzten Tagen hatten sie in der Sägerei die Verbindungen in die Holzbalken eingearbeitet. Die Balken waren vor Ort nur noch zusammen zu fügen, womit aus der Idee ein fertiggestelltes Bauwerk wurde.

      Doch Amon war an diesem Tag nicht bei der Sache, ihm unterliefen Fehler. Beinahe wäre er vom Dachstuhl abgestürzt. Linus hatte ihn geistesgegenwärtig abgefangen, und so hatte Amon gerade rechtzeitig das Gleichgewicht wiederfinden können. Dafür durfte sich Amon den Rest des Tages die Scherze der anderen anhören, was ihn langsam, aber sicher, wieder auf den Boden zurückholte.

      6. Durha Maria

      Amon hatte immer wieder Alpträume, nur die Geschöpfe der Bedrohungen wechselten. Er schob es auf die Erzählungen von Ult, die in seinem Unterbewusstsein Fuß gefasst hatten. Doch dann träumte er von seiner Schwester Wita, die sich in Gesellschaft einiger Dumpos befand, dazu ein Warmardar. Er hörte, wie sie über seine Freundin Mira sprachen und fragte sich, ob die Dumpos Mira gefangen nehmen wollten. Mira hatte in Citta eine Ausbildung zur Magierin begonnen und war überaus begabt. Sie beherrschte einen Zaubertanz, mit dem sie mit Wesen der übersinnlichen Welt in Verbindung treten konnte. Außerdem hatte Mira mit Hilfe ihrer Meisterin ein pflanzliches Mittel gefunden, das gegen die seltsame Krankheit von Wita Wirkung zeigte. Amon schnaubte vor Wut und wollte mit aller Macht seine Freundin beschützen. In diesem Traum konnte er fliegen. Er nahm Anlauf, breitete seine Arme aus und erhob sich in die Lüfte. Als er in Citta ankam, war es bereits zu spät, die Wohnung von Mira war verwüstet, seine Freundin verschwunden. Er schrie: „Neeeiiin!“, und wachte auf.

      Er hatte tatsächlich geschrien. Britta kam verwundert in sein Zimmer, um nach ihm zu sehen. „Ach, wieder nur ein schrecklicher Traum“, entgegnete er. „Amon, ich rate dir, gehe doch mal zur Durha Maria und erzähle ihr von deinen Träumen“, meinte Britta, nachdem ihr Amon von seinem Traum erzählt hatte. Amon folgte Brittas Rat und schickte der Durha Maria eine Taube. Noch am selben Tag überbrachte die Taube ihre Antwort, dass die Durha Maria ihn in einigen Tagen erwarte. Amon arbeitete an diesen Tagen wie gewohnt. Nur für den Tag, den ihm die Durha Maria anbot, hielt er sich frei.

      Es war ein sonniger Morgen. Der Fluss Isen und die Weide, auf denen die Pferde grasten, waren noch etwas nebelbehangen von dem kräftigen Regen, der sich in der Nacht ergossen hatte. Die Durha Maria lebte in dem Dorf Mon Gabon auf dem gleichlautenden Berg im Süden, der hoch über das Isental ragte. Amon rief sein Pferd Jojo, das freudig antrabte. Er sattelte es und ritt flussaufwärts im Isental. Im Wald folgte er der Straße, die sich in geschlungenen Wegen steil den Berg erklimmend empor schlängelte. Die Berghänge waren bewaldet. Mischwald, darin in häufiger Zahl der gute Hausbaum, ein immergrüner Nadelbaum, der schön und schlank meist die anderen Bäume überragte und deshalb von Amon oft für den Hausbau gefällt wurde.

      Amon war in Gedanken bei seiner Freundin Mira. Sie trafen sich jetzt an jeden Tag der Götter, oft auch einen oder zwei Tage länger, wann immer ihre Zeit es zuließ. Sie wechselten zwischen Gran Bellisen, dem Vogelhaus, wie das Haus der Hausgemeinschaft auch genannt wurde, da tatsächlich viele Vögel im und am Haus nisteten, und dem Haus in Citta, das der Zauberschule angehörte, in der Mira arbeitete. Er liebte sie über alles in der Welt und würde vermutlich alles tun, um sie zu beschützen, obwohl sie das eigentlich selbst besser könnte, als Amon je vermochte.

      Bei den Besuchen in Citta traf er auch seine Schwester Wita und deren Mann Michelunka. Witas Anblick verursachte Amon Schmerzen. Wita nahm sich selbst nicht als krank wahr. Stur und angewidert empfand sie das Mitleid, das man ihr entgegenbrachte. Sie verstehe nicht, warum man sie nicht einfach in Ruhe ließe. Satanol sei eine hervorragende Droge. Man hätte keine Sorgen mehr und empfinde großes Wohlbehagen. Schlimm sei nur, wenn die Wirkung aufhöre. Das Beste wäre, immer genügend Vorräte dieser Droge zu haben, dann wäre die Welt in Ordnung. Aber das Gegenmittel, das Michelunka von den Alchemisten der Dumpos beschafft habe, wäre auch nicht schlecht. Als Michelunka gerade nicht in der Nähe war, flüsterte sie Amon ins Ohr: „Sie macht mir Lust, den da loszuwerden, seinen Reichtum zu nehmen und Samobali endgültig den Rücken zu kehren.“

      Er schaute ihr lange ins Gesicht und sah die aufgeschwemmten Züge. Ihre Mundwinkel waren verächtlich nach unten gezogen. Das ausgedünnte Haar und ihre Haut wurden zunehmend von Schuppen bedeckt. Er schüttelte den Kopf und sagte zu seiner Schwester: „Du bist krank, Wita!“ Woraufhin sie ihn anherrschte: „Du verstehst nichts, Amon!“ Seither vermied er es, seine Schwester zu besuchen. Von Mira wusste er, dass Michelunka Rat in ihrer Zauberschule gesucht hatte und dass Mira und ihre Meisterin nach einem Gegenmittel forschten.

      Gedankenverloren hatte er das Dorf Mon Gabon erreicht. Kurze Zeit später traf er bei der Durha Maria ein, die ihn erwartete. Die Durha Maria war eine kleine, alte Frau mit einer warmen Ausstrahlung. Sie trug ein purpurnes Gewand, hatte lange, grauweiße Haare und strahlend blaue Augen. Ihre Falten im Gesicht verrieten, dass sie gerne lachte. In ihrem Haus und im Garten waren allerhand magische Gegenstände, seltene Pflanzen, Gerätschaften und Bücher. Ein Kolkrabe saß direkt am Eingang in einem Busch und rief gut verständlich „Hallo“ Das Haus und die Einrichtung vermittelten den Eindruck eines ziemlichen Durcheinanders.

      Trotz ihres hohen Alters war die Durha ziemlich temperamentvoll. Sie hatten sich bis dahin weder besucht noch gesehen. Aber als sie Amon kommen sah, lief sie ihm entgegen und rief: „Sei gegrüßt, Amon!“ Sie drückte ihn, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Audienzzimmer. Es war mit mächtigen Bücherregalen eingerichtet. In einer Ecke saß ein großer Uhu, der bei ihrem Eintritt in das Zimmer kurz die Augen öffnete und gleich wieder schloss. „Ja, lieber Amon, du hast mir geschrieben, dass du eigenartige Träume hast. So setzte dich bitte und erzähle mir davon!“ Die Durha setze sich ihm gegenüber und Amon berichtete ihr seine Träume in allen Einzelheiten. Sie hörte Amons Erzählungen aufmerksam zu, stellte keine Fragen und ließ ihn einen Traum nach dem anderen erzählen.

      Als er aufgehört hatte, schwieg sie einen kurzen Moment. Sie betrachtete Amon und es war so, als ob sie seine Aura durchleuchten würde. Dann sagte sie ganz ruhig: „Amon, ich sehe in dir einen jungen Mann, der voller Mut, gar Tollkühnheit steckt, und eine kräftige Portion Großmut, die dich von vielen fähigen