Miriam Sachs

SMALLTOWN GIRLS II - Bis ihr nicht gestorben seid


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überschattet ist von Tod und Trauer, schwebt Charlie gerade auf Wolke 7: Endlich kommt sie mit ihrem Traumtypen Linus zusammen. Darüber vergisst sie sogar das erste gemeinsame Konzert mit Lu. Für Lu bricht eine Welt zusammen, sie vergräbt sich, bockt und wendet sich von ihrer besten Freundin ab.

      Charlie, die nicht begreifen kann, wie wichtig Lu die Musik ist, versucht trotzdem alles, um es wieder gut zu machen. Zu diesem Zweck begibt sie sich auf eine kleine Reise per Zug in die nächste Stadt. Hier beginnt die harmlose Kleinstadtidylle plötzlich Risse zu bekommen. Der Himmel vor dem Fenster zieht sich zusammen, die Zeit scheint verlangsamt, die Welt irgendwie nicht in Ordnung. Charlie geht durch einen Schlag zu Boden. Der Zug steht still. Filmriss. Charlie kommt zu sich in einer anderen Zeit, an einem völlig fremden Ort und in höchster Lebensgefahr: sie ist in einem Keller eingeschlossen, der in Flammen steht, ihre Freundin Lu liegt am Boden unter einem Regal und kann sich nicht bewegen ein fremdes Mädchen, offensichtlich ebenfalls eingesperrt ist auch keine Hilfe. Und schließlich ist da noch eine unheimliche Gestalt in Lederjacke und Motorradhelm, die bedrohlich auf sie zukommt und sie mit einem brennenden Holzscheit noch tiefer in die Flammen treiben will. Die Szene endet mit ihrem Tod – und trotzdem sitzt Charlie im nächsten Augenblick wieder im Regionalexpress, der defekt ist und deshalb zum Ausgangsbahnhof zurück fährt.

      Ein Albtraum, der sich erschreckend real angefühlt hat? Eine Prophezeiung des eigenen Todes? Oder ein Flashforward in eine Zukunft, die man noch verändern kann? Als sie den Zug verlässt stellt sie fest, dass auch Lu im Zug saß, genauso aufgewühlt wie sie und mit den selben Bildern im Kopf. Charlie begibt sich in den Kampf ums Überleben. Lu allerdings verdrängt die seltsame Erfahrung bereits am nächsten Tag. und tut sie als schlechten Traum ab. Ihr bestes Argument: Im Feuer, im Keller hatte sie geblümte Gummistiefel an den Füßen. So etwas würde sie in echt nie anziehen. Also kann es nur ein Traum gewesen sein. Hat sie Recht? Zu ungewöhnlich sind die Ereignisse danach. Woher kommen die Brandblasen an Charlies Händen, die unnatürliche Hitze – und seltsame Erscheinungen wie Totenkopffalterschwärme, die über Charlie herfallen. Vor allem aber: was macht das unbekannte Mädchen aus der Vision plötzlich in der Realität? Sunshine heißt sie, ist zwei Jahre älter als Charlie und Lu und taucht überraschenderweise am nächsten Tag neu in der Kleinstadt auf. Geheimnisvoll, verschlossen, Gruftie-Outfit, zieht ganz allein von Berlin ins Kaff, - und will ausgerechnet in Lus Band singen?!?

      In Band I kämpft Charlie noch weitgehend alleine, denn Lu und Sunshine wollen erst mal nichts wissen von Charlies Prophezeiungs-Kreuzzug, vor allem da Charlie auch den Tod Jakobs im Zusammenhang mit der Vision sieht. Sie glaubt, dass auch er seinen Unfall vorhergesehen hat. Das ist zu viel für Lu. Sie wehrt sich gegen eine solches Weltbild mit Händen und Füßen – und auch mit unlauteren Mitteln. Dadurch treibt sie Charlie beinahe in den Selbstmord. Lieber sterben, als die Vision wahrwerden lassen, die noch schlimmer zu sein scheint als gedacht: denn Lu macht Charlie glauben, dass Linus der Feind ist. Erst Charlies Selbstmordversuch, führt Lu den Ernst der Lage vor Augen. Sie rettet Charlie und akzeptiert die Bedrohlichkeit der Vision.

      Auch Sunshine ist mit im Boot. Die drei versuchen zu begreifen, was da vor sich geht. Waren die drei im Zug möglicherweise auf Droge? Ein bewusster Drogentrip soll das klären, scheint jedoch ergebnislos zu verlaufen. Doch die Prophezeiung droht wahr zu werden. Der vermeintliche Traum beginnt die Realität einzuholen. Hier beginnt eigentlich Band II, und die Fortsetzung der Geschichte der Smalltown Girls. Für die leser/innen, die Band I nicht kennen, springen wir nochmal zurück zum Zeitpunkt der Vision, um zu sehen, wie Lu dieses Ereignis erlebt hat:

      [Lu’s Tagebuch, letzter Eintrag, fast zwei Wochen vorher]

      „Auf dem Weg zum Kieferorthopäden.

       Papa hätte mich fahren sollen, aber ihm kam was dazwischen. Jetzt sitze ich im Regionalzug und bin heilfroh, dass ich meine Ruhe habe. Von mir aus könnte ich auch bis Würzburg fahren, um meinen Kiefer röntgen zu lassen. Den ganzen Mist hinter sich lassen! Kaum rollt der Zug an, ist alles leichter. - Wenn mein größtes Problem ist, ob ich mit ner Aussenzahnspange rumlaufe oder mit anderen Gräulichkeiten, die nach Hannibal Lecter aussehen, dann gehts mir gut damit. Im Zug hat man seine Ruhe vor der Welt. -

       Von wegen! Komme gerade vom Klo. Rate, wer zwei Abteile vor mir sitzt. Charlie. Nichts kann man hinter sich lassen. Es klebt. Was macht sie hier? Wo fährt sie hin? Und ganz alleine? Ohne ihren Super-Linus?- Und was geht’s mich an. Einen Scheißdreck! - - - Draußen fliegt die Welt am Fenster vorbei. - Idee für Song:

       TRAIN SONG:

      “Grey skies, big clouds, no clue,/ where to go, where to come from too …”

       - Nee. Kitschig! Aber Mann! Die Wolken am Himmel sind echt der Hammer. Kann man gar nicht beschreiben. Wie Blei. Und ich fühle mich selber wie... Blei. Was geht hier ab?“

      Hier bricht mein Gekritzel ab. So war es. Ich erinnere mich an meinen Ärger, Charlie im Zug, der blöde Songtext, der sich nicht reimt, ich will ihn gerade wild durchstreichen, da verkrampft sich die Hand, der Bleistift bricht, die Hand ist wie ein Klumpen, öffnet sich doch, lässt den Stift fallen. Ich bin wie gelähmt.

      Ich erinnere mich an Blitze am Himmel, aber ich bin mir nicht sicher ob das Einbildung war. Ein Gefühl wie Stillstand. Im Computer müsste jetzt ne Sanduhr erscheinen oder sich ein regenbogen-farbenes Rädchen drehen. Das Bild frisst sich fest, hängt. Mir wird schwindelig, ein gewaltiger Ruck. Ist das der Zug? Ist das normal, dass der so hart bremst? Das ist nicht normal! Das ist nicht in Ordnung! Blitze. Vor meinen Augen dreht sich alles. Ich befinde mich im freien Fall, um mich herum fallen Sachen in Zeitlupe durch die Gegend. Welche Gegend? Ich bin im Zug, oder? Aber warum riecht es nach Wald? Schritte hallen mir in den Ohren, beben in meinem Körper. Ich bin erschöpft, aber laufe offensichtlich selbst, jeder Schritt ist ein Erdbeben, der meinen Körper erschüttert. Warum ich laufe, weiß ich nicht, aber es ist wichtig, das ist klar. Ich renne um mein Leben. Seitenstechen, Ich bekomme kaum Luft. Filmriss! Leerlauf! Meine Beine strampeln. Jetzt laufe ich nicht mehr, sondern liege am Boden, und versuche vergeblich mich zu erheben. Wo ich bin? – keine Ahnung! Alles finster. Der Waldgeruch ist weg. Ich krieg immer noch kaum Luft. Ich weiß nicht mal, ob meine Augen zu sind ... - Oder ist alles um mich herum so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen sieht? Die Hand ist taub. Hab ich nicht eben noch etwas gemacht mit der Hand? Geschrieben? Charlies Knöchel gepackt, damit sie mich sieht und mir hilft. Alles scheint zur gleichen Zeit zu passieren: Der Krampf in der Hand, die Beine, die laufen, die Beine in der Luft. Sitzen, stehen, liegen. Es wird heller, es ist heiß, ich krieg keine Luft. Weil ich außer Atem bin. Oder weil hier keine Luft ist? Oh Gott, ich will aufstehen. Meine Beine sind wie eingeschlafen, aber es geht. Heiß und kalt zu gleich ist mir. Ein Keller. Ich ziehe mich an einer Art Regal hoch, Metall, ein gewaltiges Teil, das wackelt... ich bin fast auf den Beinen, aber die Welt schwankt zu sehr, alles, das Regal, ich, die tauben Beine, die ganze Welt kracht über mir zusammen ... -

      „Und dann?“ Charlie sieht mich an.

      ***

      Das ist jetzt zwei Wochen her. Und zwei Wochen lang habe ich diese Bilder versucht, aus meinem Kopf zu verbannen. Und dann? Charlie hat an mir gezerrt und ich habe meine Beine frei bekommen. Aber was ist dann passiert? Und ist das überhaupt passiert? Der Rest ist verworren; unbegreiflich und ein Brei von unscharfen Bildern, Qualm, schreckliche Geräuschen - das Husten und die Schreie. Charlie? Wo war sie? Ich bin frei, aber ich kann nicht aufstehen, um sie zu sehen. Ich höre nur wie sie schreit. Die ganze Zeit über brüllt sie jemand an, schreit vor Schmerzen und Angst. Ich will ihr nach, aber ich sehe nichts mehr, die Augen brennen. Wo gehts hier raus? Ich stoße gegen eine Wand. taumle, falle gegen jemand. “Charlie?” - Aber sie ist weg. Sogar ihre Schreie haben aufgehört. Da wusste ich, dass ich Charlie verloren habe. Sie muss in den Flammen gestorben sein. Und ich?

      Ich lag wimmernd am Boden. Ich habe nie zuvor eine so grauenvolle Wucht von Aussichtslosigkeit verspürt!

      Selbst damals nicht, als die Nachricht kam, dass Jakob tot ist. “Dein Bruder ist heute bei einem Autounfall ums Leben gekommen.” Der Satz haut einen um. Aus vorbei! Damals war es, als ob eine riesige Vakuumsaugglocke alles aus meinem Leben zieht. Und eine Leere bleibt und