Miriam Sachs

SMALLTOWN GIRLS II - Bis ihr nicht gestorben seid


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das Feuer, der Keller, die Ohnmacht, die Unfähigkeit etwas zu tun, das war sogar noch schlimmer. Vielleicht bin ich ja auch gestorben war mein letzter Gedanke. Aber als ich die Augen aufgeschlagen habe, saß ich im Zug. - Auf dem Weg zum Kieferorthopäden und der verdammte Regionalexpress hatte ne Panne. Ich hab nicht mal gemerkt, dass er zurück zu unserer Station gefahren ist. Die Bahn hat sich entschuldigt und ich war am Leben und konnte nicht fassen, was passiert ist. Ein Traum, was sonst? Und wieder habe ich mich gefühlt wie unter der Vakuumpumpe. Nur, dass es jetzt fast schon gut war: Ich lebe! - weg mit den Gefühlen, die das Leben mit sich bringt!

      Erst als ich Charlie dann am Bahnsteig gesehen habe , und sie genauso aus der Wäsche geschaut hat, kamen die Gefühle zurück. Unser Streit – meine Güte, wie lächerlich. Die Leere, die Trauer, die Enttäuschung. Egal! Das muss aufhören! Ich will kein Leben, in dem sich alles um Tod dreht. Echt! Es reicht. Es ist zu viel! Ich will ne Zahnspange und mich darüber ärgern, dass die Brotkrümel drin stecken bleiben und ich doof aussehe damit, aber ich will diesen Horror nicht. Das muss aufhören!

      Als ich zu Hause war, bin ich ins Bett gefallen und hab nur pennen wollen.

      Leider kommen dann die Bilder zurück. Das Feuer, die Angst. Und nur weil ich mir die Ohren zugestöpselt habe mit lauter Musik, habe ich irgendwann doch schlafen können. Es muss aufhören. Ich bin am Leben. Verdammt nochmal, dann soll es anfangen, dieses Leben. Neben mir, im Zimmer, das meinem Bruder gehört hat, ist noch alles wie es war, bevor er den Unfall hatte. Manchmal tröstet mich das, und manchmal fühlt es sich an es wie ein eitriger Zahn. Krank. Ich will, dass was Neues anfängt. Das hätte ich Charlie gerne gesagt, als sie schon am nächsten Tag ankam und die Sache mit der Prophezeiung (so nennt sie das!) mit mir durchgehen wollte. Wir haben unseren Tod gesehen. Wir werden sterben! Wochenlang hat sie keine Ruhe gegeben. Ich wollte nichts wissen davon. Ich krieg das hin: die Bilder sollen aufhören. Das Leben soll normal sein. Und mein Bruder wieder eine schöne Erinnerung werden.

      Ich hab zu spät gesehen, dass es keinen Sinn hat, Charlie zu bremsen. Was sie sich in ihren schönen Kopf gesetzt hat, davon lässt sie nicht ab. Ob das der coolste Junge in unserer Stadt ist, den sie will, oder eine eigene Dachzimmerwohnung, sie kriegt es. Sie schafft alles. Wenn sie an was glaubt, dann ist sie nicht zu bremsen. Ich hab sie schütteln wollen und schreien “Hör auf, gib Ruhe! Lass es gut sein!” Aber offensichtlich lässt keiner etwas gut sein in meinem Leben. Jetzt also die Prophezeiung und dann ihre hartnäckige Idee, dass meine neue Freundin Sunshine mit uns in dieser Prophezeiung war.

      Kann das Leben nicht einfach seinen Gang gehen? Ich habe aufgegeben, Charlie davon abzubringen, dass uns das wirklich passieren wird. Tagsüber fällt mir das leicht. Nachts, wenn die Bilder aus dem Nichts erscheinen, und mein Herz so wild hämmert, dass ich schweißnass die Tür aufreiße zum Zimmer neben meinem, dann ist das nicht so einfach. Was ist wahr, was nicht? Jetzt bin ich auf dem Weg zu Sunshine, und begebe mich mit ihr und Charlie auf eine ganz andere Reise. Erster Drogentrip!

      Und das war auch noch meine eigene Idee! Dabei wollte ich das eigentlich nie. Pilze, Koks, Chrystal und der ganze Mist. Ich bin echt nicht neugierig. Aber vielleicht erfahren wir dabei etwas über uns. In irgendeiner komischen Realität waren wir, das steht fest. Wer kann ausschließen, dass wir nicht irgendwie unter Drogen gesetzt wurden? Na ja, wir. Wir müssen es ausschließen. Vielleicht ist alles eine Sache der Wahrnehmung.

      Ich hätte es, wenn schon, dann gerne mit LSD versucht, aber Sunshine hat uns zu Pilzen überredet. Vielleicht ist es falsch, vielleicht ist es auch egal. Vielleicht bleibe ich auch auf einem ganz irren Trip hängen und am Ende ist wirklich alles egal. Oder ich sterbe. Wieder der Tod. Ich glaube der eigene ist nicht so beschissen wie der von anderen.

      Nein, das habe ich jetzt nicht gesagt! Zurück damit, Mann, das muss echt aufhören!

      Vielleicht haben wir einfach Spaß. Mein Handy klingelt. Charlie ist dran. Will Sunshines Hausnummer wissen. Komisch. Jeder weiß doch, dass sie in der stadtbekannten Kiffer-WG wohnt und Charlie weiß es sowieso. Ich weiß doch dass sie es weiß! Offensichtlich will sie was Anderes. Sicher sein, dass das, was wir vorhaben, das Richtige ist?

      „Danke, dass du jetzt mitmachst. Das bedeutet mir sehr viel!“ Ihre Stimme klingt feierlich und warm.

      „Ja, klar. Vielleicht bringt es uns weiter.“, sage ich vorsichtig. Eigentlich glaube ich nicht dran. Aber ich weiß, wie sehr sie das Gefühl braucht, dass wir beide zusammen an einem Strick ziehen. Wir drei! Wir tun was. Egal was. Werfen wir halt Drogen ein.

      „Wir machen das nur, um gewisse Möglichkeiten auszuschließen!“, sagt sie und ihre Stimme zittert.

      „Genau! Nur deshalb“ Wir schweigen. - Was hätte Jakob dazu gesagt, dass wir das machen?

      „Ja, dann bis gleich bei Sunshine!“

      Es war falsch, Charlies Glauben so lange abzuwehren. Es war falsch. Aber ist das hier jetzt richtig? Ihre Überzeugung, dass das Universum uns unseren Tod unter die Nase reibt, damit wir uns retten können, damit wir leben, damit wir nicht sterben wie mein Bruder - Klar kann man das als Spinnerei abtun. Total irrational. Aber an Charlie selbst kommt man nicht vorbei, weil Charlie ist ne Realität. Sie ist am Leben, Gott sei Dank! Sie ist da. Was man von meinem Bruder nicht sagen kann. Jakob ist tot."

      1.

       Guess who's living here

       with the great undead

       this paint by number's life

       is fucking with my head

      EELS

      Jakob lebt. Hinter der Ulme, also da wo unser Grundstück endet, am Kiesweg, neben dem Vogelbeerbaum, wo ich immer entlang schleiche, wenn ich zu spät nach Hause komme, und Charlie und ich mal einen Schatz vergraben wollten und auf eine halbverweste Ratte gestoßen sind, genau da steht Jakob.

      Sein Anblick verschlägt mir den Atem. Wie geht das? Halluzinationen? Vielleicht bin ich immer noch auf Drogen! Wäre ja durchaus möglich. Mein erstes Mal auf Pilzen, wer weiß, wann man wieder runter ist von dem Zeug!

      Aber dazu sieht die Welt eigentlich schon zu klar aus. Regelrecht ausgenüchtert. Nur dieser Morgennebel ... -

      Ich bin misstrauisch, jeder meiner Schritte erschüttert das Bild – Jakob am Baum – ist das Raureif? Im Sommer? Habe ich Tränenschleier vor Augen, träum ich, wach ich ... spinn ich?

      Aber als ich näher komme durch das feuchte Gras und jeden Moment erwarte, dass mein Hirn das Bild irgendwie korrigiert, hebt Jakob langsam und lässig seine Hand, spreizt die Finger, führt sie zum Mund und pfeift. Das ist Jakob, das ist unser Pfiff! Es wird mir heiß und mein Herz klopft wie ein Dampfhammer. Ich renne ihm entgegen - barfuß wie ich bin, trete in eine Nacktschnecke und bin glücklich darüber, weil es eine wahrhaftig eklige Nacktschnecke ist, die beweist, dass ich wach bin. Mein Bruder mit rasiertem Kopf. Ohne die leicht gelockten, braunen, fast immer leicht fettigen Haare wirkt er fremd - aber er ist es. Er lächelt ein etwas schuldbewusstes Lächeln, schiebt den Kopf nach vorne, verlegen, als wollte er sich dafür entschuldigen, soviel Umstände gemacht zu haben. Das ist so typisch! Jetzt kommt er mir entgegen. Prompt bleibe ich stehen. Er ruft mir mit gedämpfter Stimme etwas zu, das ich nicht genau verstehe, seinem Blick nach muss es was sein zwischen „Es ist nicht, wie du denkst! und „Dreh nicht durch!“

      „?!“

      Es ist wirklich Jakob. Er lebt und ich soll nicht durchdrehen!

      Ich fang schon wieder an zu heulen, wie nach dem Trip eben. Ich löse mich auf in Tränen. Oder heul ich schon die ganze Nacht? Ein Gefühl zu zerfließen, nur die Füße stehen noch fest. Jakob sieht mich an, und blickt dann verlegen weg.

      „Wie siehst du denn aus, Lu!"

      „Und du? Müsstest du nicht ... bist du nicht ...“

      „Und du?“ Er fällt mir ins Wort, eh ich „tot“ sagen kann. „Wieso hast du nur Unterwäsche an? Wenn Papa dich so sieht,