Miriam Sachs

SMALLTOWN GIRLS II - Bis ihr nicht gestorben seid


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habe keine Angst vor dem Tod! Das weiß ich seit heute früh. Aber so ausgeliefert zu sein! dass das mit uns passiert, nicht nur mir, sondern auch Charlie und Sunshine! Und wir wissen nicht was wir tun können, und wie es genau ausgeht, das macht mich fertig.

      Charlie hält mich. Der Rotz bleibt in ihrem Haar kleben. „Das wollte ich nicht!“, schluchze ich und wische in ihrem Haar herum.

      „Das ist doch nicht schlimm!“

      „Doch!“ Weil, ich mein ja nicht nur den glibberigen Faden in ihrer Frisur. Alles, meine ich. Die letzten drei Wochen.

      „Natürlich war das nicht bloß ein zufälliger Traum!“

      Jetzt ist es raus. Charlie nickt langsam.

      Da kommt Sunshine aus dem Bad mit einer riesigen Klopapierfahne, die sie mir vor die Nase hält. Es fehlt nicht viel und sie schnäuzt mir die Nase. Mich schüttelt es immer noch, aber jetzt muss ich doch lachen.

      „Als erstes ziehst du diese Dinger aus!“, sagt Sunshine und zeigt auf die Stiefel an meinen Füßen. Ich verschluck mich zwischen Weinen und Lachen. Irgendwie kommt's mir vor, als ob mir alle Welt dauernd sagt, dass ich meine Schuhe entweder aus oder anziehen soll.

      „Lachst du oder weinst du?“, fragt Sunshine.

      Ich weiß nicht, was gerade besser ist: Charlies Apfelshampoo-Wolke, die vertraute Nähe, oder Sunshine, die mir die Stiefel von den Füßen reißt. Das Bein bleibt dann irgendwie doch noch dran. Es macht Plopp und mein total schwitziger Fuß ist frei. Sunshine zögert nicht lang und schmeißt, ohne auch nur nach unten zu schauen, Lisbeths Gummistiefel aus dem Fenster. "So, weg damit!" Ist das so einfach?

      Charlie springt auf und starrt zum Fenster. „So einfach ist das nicht!“

      „Doch!“, sagt Sunshine. „So scheiße sich das anfühlen mag, es ist das Beste, was seit langem passiert ist. Ist doch ein Anfang! Die ganze Zeit nur Vorahnungen und Panik! Jetzt haben wir was in der Hand. Das erste Puzzleteil einer beschissenen Wirklichkeit – und jetzt kann man es entsorgen! Also wird diese Wirklichkeit nie mehr so eintreten können.“

      Wir starren beide in Richtung Fenster. „Jedenfalls nicht mehr ganz genauso!“

      „Na toll, und das war's jetzt?“, fragt Charlie. Ihre Stimme klingt auf einmal ganz dünn. Der Fels in der Brandung mutiert zu einer Lawine, die jeden Moment über uns hereinbricht.

      „Nachher entsorgen wir sie richtig!“

      Aber ich komm langsam wieder auf den Teppich. Ich sehe Sunshine am Fenster stehen und mein Mut kehrt zurück. Sie wirkt so klar. Fast erinnert sie mich an Jakob, der heute morgen in meinem matschigen Mushroom-Hirn dasselbe gesagt hat: dass wir kämpfen müssen. Leider hat er mir nicht gesagt wie. - Okay, vielleicht ist es das: Die Wirklichkeit verändern! Ich schnappe nochmal nach Luft, so ein Nachbeben, vom Heulen. Dann sage ich: „Ja. Genau das ist es: wir müssen etwas dagegen tun. Alles tun, damit die Wirklichkeit nicht so wird wie im Traum. Stiefel weg ist der erste Schritt!“ Und weil Charlie immer noch so verzweifelt in Richtung Fenster schaut, nehme ich alle Zuversicht zusammen, die ich habe. „Wir müssen kämpfen!“ Das hat Jakob gesagt. Wachsam sein und kämpfen, oder?

      Sunshine dreht sich eine Zigarette. Sie ist ganz bei der Sache. Das ist sie eigentlich immer, mit allem was sie macht. Jetzt lässt sie ihr Feuerzeug aufschnappen.

      Den ersten Zug bläst sie zum Fenster raus. Sehr cool. Ich sehe aber, dass sie nach unten schielt, wo die Stiefel jetzt wohl liegen. „Die kommen nachher in die gelbe Tonne und übermorgen sind sie Tetrapacks!“

      Eklige Vorstellung, aus Lisbeths Schuhen seine Frühstücksmilch zu trinken.

      Sunshine reicht mir die Zigarette rüber, aber ich will jetzt nicht rauchen. Es geht mir besser. Die Morgenluft, das Zimmer ohne Schuhe ...

      „Ihr glaubt doch nicht, dass jetzt alles gut ist!“ Charlie sitzt auf ihrem Bett und klammert sich mit ihren Händen an einem Kissen fest.

      „Aber ... wir sind uns endlich alle einig! Und wir werden was tun!“ Mein Mut ist zurück.

      Charlie aber sieht aus wie ein böses Häufchen Elend. Kein Vergleich zu der Überzeugungskraft und der Zielstrebigkeit, mit der sie uns in den letzten Wochen Belege ihrer Prophezeiungstheorie um die Ohren gehauen hat.

      „Charlie, du hast so lange nicht locker gelassen und ich hab dich manchmal echt auf den Mond gewünscht, weil ich das alles nicht hören wollte. Aber jetzt wird alles anders. Wir sind zu dritt! Das ändert doch einiges!“

      Sie ist blass und sieht mich mit großen Augen an. „Nur weil die Stiefel jetzt da sind?“

      „Nur?“ Sunshine schließt das Fenster. „Das ist der Hammer, Charlie. Es ist ein Anfang. Ein echtes Puzzleteil!“

      „Soll ich mich jetzt freuen, dass es endlich losgeht?“

      „Nee, freu dich mal, dass Lu endlich glaubt!“

      Charlie greift nach der Klopapierfahne, die noch weitgehend unbenutzt auf ihrem Bett liegt und tupft sich die Augen ab. Sie ist der einzige Mensch weit und breit, der genauso schnell und viel weint wie ich. Alienartige Schluchzer brechen aus Charlie hervor. „Und wieso ... heult Lu dann nicht auch?“ Sie zerknüllt das Klopapier, und schmeißt es in meine Richtung.

      „Weil ich nicht nur an die Vision glaube, ich glaube auch, dass wir was dagegen tun können.“

      Okay. Es hilft nichts. Ich muss es ihr sagen. Das wird helfen:

      „Jakob hat es mir gesagt.“

      Das Schluchzen bleibt Charlie im Hals stecken. – Totenstille. Beide starren mich an.

      „Also ... heute früh hatte ich noch ne ziemlich irre Drogennachwirkung ...“ Und dann erzähle ich von Jakob am Vogelbeerbaum, von der Frage, ob ich leben will, und dass ich leben will und wir kämpfen müssen. Und mit jedem Wort werde ich selber klarer. Es ist egal, ob Jakob ne Erscheinung war, ne Prophezeiung oder letztendlich nur ein persönlicher Fingerzeig. Ich weiß, dass die Botschaft uns weiterbringt, weil... „... na ja mein großer Bruder eigentlich immer recht hat. Selbst wenn er nur in meinem Durcheinander-Hirn herumspukt.“

      Charlie ist sprachlos, ich seh Hoffnung in ihren Augen aufblitzen, dann aber schnappt sie nach Luft und platzt los: „Und? Und was hat er genau gesagt? Was können wir tun? Wer ist unser Feind und wie bekämpfen wir ihn?“

      Ich komme ins Stottern. Verdammt, wie kann man so was auf den Punkt bringen? „Er hat gesagt, dass wir wachsam sein sollen und dass es viele Möglichkeiten gibt. Also glaube ich.“

      „Welche?“

      „Das hat er nicht gesagt. Dass wir glauben sollen und unser Bewusstsein soll wacher werden.“ Ich werde rot. Es klingt blöd, wenn man es nacherzählt. Über Charlies hoffnungsschmimmernden Augen runzeln sich die Augenbrauen. „Ist das alles?“

      „Ich weiß nicht mehr alles im Detail, aber ...“ ich werde rot.

      „Wie kann man denn da nicht richtig hinhören! Wir brauchen eine Botschaft!“

      „Charlie, die Botschaft war erstmal, dass alles gut werden kann! Und das wird es, ich verspreche es. Ich bin da!“

      Die Augenbrauen glätten sich.

      „Aber du glaubst jetzt nicht an Engel oder so was, oder?“ Sunshine sieht mich so komisch an.

      „Nein, sag ich doch, Halluzination. Aber es war etwas, das mich innerlich gestärkt hat. Nenn's wie du willst!“

      „Schade eigentlich!“, sagt sie langsam. „Weil ich dir das echt gönnen würde, Lu, dass dein Bruder im Himmel ist und ab und zu mal vorbeischaut.“

      Charlie starrt sie an. „Verarschst du uns jetzt?! Darüber macht man nämlich keine Witze!“

      „Nein! Ich mein das ernst: es wäre schön. Ich glaub’s nicht, aber es wär der Hammer, wenn ich ausnahmsweise mal Unrecht hätte!“

      Sie ist seltsam, aber ich