Miriam Sachs

SMALLTOWN GIRLS II - Bis ihr nicht gestorben seid


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echt müde und leer; gestern die durchgemachte Drogen-Nacht, dann dieser seltsame Morgen, Jakob am Baum, ein persönlicher Fingerzeig von wo auch immer.

      Wir liegen inzwischen alle drei auf dem Bett und ich kuschle mich an Charlie, während Sunshine mit verschränkten Armen auf dem Rücken liegt und die Raufasertapete anstarrt.

      „Ich weiß jetzt, wie du dich gefühlt hast. Und es tut mir echt leid“ Ich hätte das längst sagen müssen, aber irgendwie ging's nicht.

      Sie seufzt tief.

      „Aber jetzt...“

      „Ich weiß...“

      „...jetzt geht alles!“

      Das weiß ich noch: er hat gesagt, ich soll an das Gute denken, und dass alles möglich ist.

      Ich schlafe auf Charlies Bett ein und als ich für einen Moment nochmal aufwache, liegt Charlies Arm über meiner Nase und Sunshines Knie piekst mich in den Rücken. Irgendwie getröstet schlafe ich ein. Gegen vier in der Nacht werde ich wach, weil Charlie vom Klo kommt. Sie hat sich ihren Schlafanzug angezogen und mit hochgebundenem Haar tappt sie in Richtung Bett. Das kenn ich von unseren Übernachtungen. Sie geistert rum. Und manchmal, wenn sie nicht schlafen konnte, wenn sie bei mir übernachtet hat ... –

      „Hast du wirklich Jakob gesehen?“

      … hat sie bei meinem Bruder vorbeigeschaut.

      „Du hast oft mit ihm geredet in der Nacht, wenn du bei uns warst, oder?“

      „Ich konnte nie schlafen. Und du hast geratzt wie mein Opa. - Ich hab mir immer einen großen Bruder gewünscht. Einzelkind is scheiße!“ Sie schlüpft ins Bett. Ihre Füße sind kalt. „Ich beneide dich darum“, sagt sie, “dass du Jakob gesehen hast. Ich hab von diesem ganzen Drogentrip nur Horrorbilder gespeichert und komme mir dämlich vor.“

      „Eigentlich war ich schon wieder recht klar, als ich die Erscheinung hatte. Vielleicht dünnhäutiger ...“ Vielleicht müssen wir alle viel mehr auf die Stimmen in uns hören. Charlies Füße werden langsam warm. Sie flüstert. „Irgendwas in uns muss da doch sein, eine Fähigkeit, Bilder zu empfangen... Und Sunshine muss diese Fähigkeit auch haben. Sonst wäre sie nicht auch ... na ja … dort gewesen.“

      Sunshine neben uns knurrt im Schlaf wie ein Jagdhund. Sie tritt sogar. Träumt sie? Eine Weile schweigen wir, draußen wird es schon ein bisschen hell. „Du willst aber nicht nochmal auf Pilze, oder?“, frage ich Charlie.

      „Nein! Aber ich bräuchte dringend mal Antworten! Wie haben denn das diese ganzen Propheten gemacht?“

      Ich muss lachen. „Du willst dich nicht 40 Tage in die Wüste setzen und meditieren, oder? Ohne Essen, ohne Badewanne, ohne Staubsauger!“

      „Ganz sicher geh ich nicht in die Wüste – und ganz sicher nicht ohne Staubsauger!“ Charlie in der Wüste, saugt den ganzen verdammten Sand weg und legt ein Gemüsebeet an! Das würde ich jetzt gerne träumen. Oder von Jakob, und ihn nochmal fragen. Ich bin total müde. Und ich brauch endlich mal wieder einen schönen Traum. Ich streichle Charlies Nase und sage: „Wir überlegen uns was. Morgen. Aber wenn Du denkst, dass mein Bruder Sprechstunde für Einzelkinder abhält, dann träum weiter!“

      Langsam dämmre ich dahin, rechtzeitig, bevor es draußen ganz hell wird, falle ich in Schlaf. Träumen tu ich nicht.

      4.

       Every day

       Voice in my ear

       Telling me 'Get out of here'

      EELS

      Wir haben den ganzen Sonntag verschlafen und die Nacht gleich mit und sind pünktlich morgens um sieben aufgewacht. Charlies Mutter hat uns Frühstück ans Bett gebracht: "Croissants und Saft für den Sleep-Over-Club!" Charlie guckt peinlich berührt. „Das macht sie sonst nie!“, sagt sie.

      Gott, die ist aber auch gut drauf! Bitte keine Gute-Morgen-Laune!

      „Na Lu, so schlecht geschlafen? Deinen Eltern hab ich übrigens Bescheid gesagt, dass Du hier übernachtet hast.“ Natürlich hast du das! „Danke!“ Und bitte nicht mehr sprechen! Keinen Piep kann ich mehr verarbeiten.

      „Lu, hallo, jemand zuhause? Du bist wieder die letzte Schnecke!"

      Charlie reißt mich aus meinen Gedanken und wirft mir was zum Anziehen hin. Frau, was stresst Du immer so! „Ist doch noch gar nich so spät! Sieht sogar aus, als wären wir ausnahmsweise mal pünktlich!“

      „Und ausnahmsweise mal gut angezogen!", triumphiert Charlie, als ich mich in ihre Jeans quäle. Sunshine hebt die Arme und schnuppert an ihren Klamotten.

      „Deo versagt!“, stellt sie fest, das scheint sie aber nicht weiter zu stören. Charlie kramt in ihrem lindgrünen Ikea-Schrank nach schwarzen T-Shirts für Sunshine und erntet mitleidige Blicke.

      Wie hab ich früher Charlie um diesen hässlichen Schrank beneidet, noch vor zwei Jahren! Jetzt sind wir rausgewachsen aus diesem Kram, aber wir verstauen immer noch unsere Sachen darin, sie in Ikea, ich in meiner Hello-Kitty-Kommode, und merken gar nicht, dass das alles gar nicht mehr geht. Das ist alles so absurd! Sunshine, die stundenlang Zähne putzt (die hat tatsächlich ihre aufklappbare Zahnbürste immer bei sich!), aber sich weigert, ihr T-Shirt zu wechseln. Charlie, die immer wie aus dem Ei gepellt ist, aber jetzt ihre eigene Morgentoilette vernachlässigt, weil sie uns schick machen will. Mann tut das gut! Obwohl ich morgens am liebsten kein Wort spreche, geschweige denn angequatscht oder herausgeputzt werden will, fühle ich mich zum ersten Mal seit langem geborgen. Was immer passiert. Ich bin nicht allein!

      Der Zustand hält an bis wir unten an der Tür sind und Charlies Mutter mir die verdammten Gummistiefel unter die Nase hält.

      "Lu, das sind wohl deine? Die lagen übrigens im Gemüsebeet!"

      Oh Gott! Wir haben sie einfach vergessen, die Stiefel!

      "DAS SIND NICHT MEINE!"

      Das war zu laut. Aber ihre geballte gute Laune und diese bunt-geblümten Mörderstiefel! Zu viel! Die Gute-Morgen-Idylle wird zum Horrorfilm. Ich schaue verzweifelt zu Sunshine, aber die ist die Ruhe selbst.

      "Das sind meine!", sagt sie, nickt Charlies Mutter freundlich zu, während sie ihr die Stiefel aus der Hand nimmt und sie mit Schwung und vor ihren Augen in die Mülltonne befördert.

      Und ich - tripple ausgerechnet in Charlies Miniaturschühchen zur Schule und der Tag ist im wahrsten Sinne gelaufen.

      ***

      „Wollen wir da jetzt echt hin?“ frag ich, als das alte Backsteingemäuer langsam in Sicht kommt. Das ist so ne richtige Alte-Schule-Schule, da hilft auch die neue Turnhalle nix, die wie ein Würfel aus Glas letzten Sommer drangepappt wurde. Aber während wir noch da stehen und überlegen, treiben wir schon im morgendlichen Schüler-Strom in Richtung Backsteinbau. Prompt quatscht uns auch noch die Leyendecker an. Ex-Mathelehrerin. Die singt bei uns im Kirchenchor. Muss man höflich bleiben. Toll! Und schon sind wir drin. Da bleibt man kleben wie die Fliege im Spinnennetz.

      In Deutsch sitz ich neuerdings neben Maxi. Sie hat Mundgeruch und kriecht förmlich in mich rein. Was will sie bloß, ich bin doch einer der wenigen Menschen in diesem Klassenzimmer, die Ruhe - zumindest vor ihren "Recherchen" - haben.

      "Man hört, du hattest ne Menge Spaß neulich auf Philipps Party!“ Ihr Gesicht zoomt an mich heran, ein so komplett anderer Film, dass ich erst gar nicht weiß, was sie meint.

      "Spaß? Klar!"

      "Nee, ich meine hattest du ... echt Sex im Gebüsch mit – na du weißt schon wem?"

      Gott, ist das lange her! Kommt mir vor als wäre es in einem anderen Leben gewesen! Du weißt schon wer. Sie weiß es also nicht. "Meinst Du den, dessen Name nicht genannt werden darf?" Glotzt sie mich an!

      Ich hab ehrlich gesagt selber