Frank Claudy

Sommer mit Ben


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und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Ich sollte jeden verdammten Nachmittag damit verbringen, aus dieser Meute ein vernünftiges Theaterstück heraus zu holen statt gemütlich auf meinem Bett zu liegen und Regal für Regal all die schönen Geschichten zu lesen, die in der Schulbibliothek auf mich warteten?

      Ich sollte Katja jeden Tag auf der Bühne stehen sehen und erleben, wie sie sich in Julia verwandelte? Automatisch schlüpfte ich in die Rolle von Thybald und hegte Mordgedanken gegen Romeo. „Nee, hat er mir nicht gesagt, aber wird schon schief gehen“, stammelte ich. Ich Dämien. Ich klang ja wie mein Vater.

      Zum Glück kam in dem Moment Herr Kästing: „Frank, Katja. Hallo. Wie schön, ihr habt euch schon kennen gelernt. Wenn Frank sich entscheidet, den Job anzunehmen, werdet ihr demnächst reichlich Zeit miteinander verbringen.“ Bildete ich mir das nur ein oder zwinkerte er mir dabei zu? Wenn ich meine Entscheidung nicht schon längst getroffen hätte, wäre dies der entscheidende Satz gewesen. Ich hätte auch als Maskenbildner gearbeitet oder die Toiletten gereinigt, nur um Zeit mit Katja zu verbringen.

      Dummerweise brauchte Herr Kästing mich aber dann, um mit mir das Skript durchzugehen und darüber zu reden, wie er sich die ganze Aufführung dachte. Bis zum Probenende war ich voll eingespannt. Und auch nach der Probe saß ich noch lange mit ihm zusammen, so dass ich mir umsonst Gedanken gemacht hatte, wie ich Katja nach der Probe abfangen könnte.

       Kapitel 2

      In der Nacht lag ich im Bett und versuchte erst gar nicht zu lesen. Meine Gedanken kreisten nur um Katja. Ich träumte davon, wie wir beide spazieren gingen, im Gras lagen und lasen und dann wilden Sex an einem See hatten. Mensch, ich war schließlich nur ein Junge, was dachtet Ihr denn, was wir so träumen?

      Obwohl ich gestehen muss, dass es auch für mich neu war, von einem realen Menschen zu träumen. Eigentlich drehten sich meine sexuellen Phantasien eher um Wesen aus Büchern, die ich gelesen hatte und die, wie ich gestehen muss, nicht immer unbedingt weiblich waren.

      Nachdem ich den ‚Fänger im Roggen’ gelesen hatte, hatte ich wochenlang heiße Nächte mit Holden Caulfield, der erstaunlicherweise das Gesicht meines Mathelehrers und den Körper meines Sportlehrers hatte. In diesen Wochen musste ich im Mathe- und Sportunterricht echt aufpassen, dass ich die beiden nicht zu auffällig anstarrte. Ich ertappte mich einmal dabei, dass ich wohl einige Minuten lang auf den Schritt von Herrn Diefenbach gestiert hatte, während er uns den Satz des Pythagoras erklärte und bin nur froh, dass ich schon immer und ewig in der letzten Reihe sitze, so dass vermutlich niemand aus meiner Klasse meine Blicke bemerkt hat.

      Holden Caulfield wurde dann abgelöst von Rosa, der rothaarigen Verführerin des Professor Unrat und seiner Studenten. Aber Holden war nicht der einzige Mann, von dem ich träumte. Es gab da im Nachbarhaus einen Jungen, dem ich manchmal auf der Straße begegnete. Er war der Held unseres Viertels, weil er in der Juniorenmannschaft des Fußballvereins unserer Stadt spielte und man ihm eine große Karriere als Profi voraussagte. Ich stellte mir vor, wie wir beide auf unserem Bolzplatz um den Ball kämpften und bei einem Foul beide zu Boden gingen. Er landet auf mir, wir fangen an uns zu käbbeln, rollen gemeinsam über den Platz und plötzlich spüre ich die Ausbuchtung in seiner Hose. Ich schaue in Richtung seines Schritts und muss einfach dahin fassen. Da er sich nicht wehrt, hole ich ihm langsam einen herunter.

      Klar machten mir solche Phantasien am Anfang Angst. Ich meine, ich bin doch nicht schwul. Aber dann habe ich so viel darüber gelesen, dass fast alle Jungen mal homoerotische Phantasien haben, dass ich gelernt habe, das einfach zu genießen.

      Und jetzt war schließlich Katja in mein Leben getreten und hatte mir gezeigt, dass ich nicht anders bin als andere Männer. Okay, zumindest in dieser Beziehung.

      Die nächsten Tage konnte ich es immer kaum erwarten, bis die Theater-AG endlich anfing. Leider beschränkte sich mein Kontakt zu Katja meistens darauf, ihr Tipps zu ihrem Spiel zu geben oder Texte für sie umzuschreiben. Dummerweise war sie auf der Bühne so gut, dass ich da nicht viel zu tun hatte. Romeo und Thybald dagegen nahmen fast meine ganze Zeit in Anspruch, weil sie sich ausnahmslos dämlich anstellten.

      So verging die ganze Woche, ohne dass Katja und ich auch nur ein privates Wort miteinander gewechselt hätten. Was ich nicht gedacht hätte, war dass mir die Arbeit als Regie-Assistent richtig Spaß machte. Auch ohne Katja wäre ich gerne jeden Nachmittag in die Aula gegangen und hätte meine Zeit mit ‚Romeo und Julia’ verbracht. Ich begann, ganz neue Zukunftsperspektiven für mich zu entdecken und von einer Karriere am Theater zu träumen. Ich sah meinen Namen schon in Großbuchstaben am Broadway blinken. Soviel dazu, ob ich ein Träumer bin.

       Kapitel 3

      Am Freitag nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte Katja während der Probe ganz beiläufig: „Sollen wir nach der Probe noch was trinken gehen?“ Ich hoffe nur, es klang so cool wie es klingen sollte.

      Zu meiner großen Freude machte Katja keine Ausflüchte, sondern schien sich über meine Frage zu freuen und sagte frei heraus: „Gerne. Soll ich draußen auf dich warten?“

      Ich glaube, den Rest der Probe war ich nicht mehr sehr konzentriert. Die ganze Zeit konnte ich nur daran denken, dass ich gleich mit Katja allein sein würde. Ich war total aufgeregt. Und gleichzeitig hatte ich höllische Angst. Das war das erste Mal, dass ich so etwas wie ein Date hatte. Ich glaube, ich habe schon erwähnt, dass ich nicht gerade der Partylöwe bin. Meine sozialen Kontakte beschränkten sich mehr oder weniger auf Schule, Lehrer, Schülerzeitungsredaktion und seit neuestem die Theater-AG. Es ist nicht so, dass ich unbeliebt gewesen wäre. Ich bekam schon immer wieder mal Einladungen zu irgendwelchen Parties. Ich ging nur nie hin.

      Andere Menschen interessierten mich nicht wirklich. Auf Parties langweilte ich mich nur, und die Gespräche von Jungs in meinem Alter waren nicht gerade geistig anregend. Bisher hatte ich auch wenig mitzureden. Also verbrachte ich meine Zeit lieber mit meinen Träumen, was ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben bedauerte. Worüber sollte ich nur mit Katja reden? Und wie sollte ich ihr klar machen, dass ich nicht annähernd so langweilig oder geistig minderbemittelt war, wie ich wohl auf sie wirken musste? Mir fehlte einfach die Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen, insbesondere mit Mädchen.

      Als ich nach der Probe nach draußen kam, saß Katja auf den Stufen zu unserer Schule und las. Ich hatte mich abwechselnd beeilt und getrödelt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, was besser war: so schnell wie möglich bei ihr zu sein oder den angstbeladenen Moment so lange wie möglich hinaus zu zögern; sie auf mich warten zu lassen oder ihr zu zeigen, was sie mir bedeutet, indem ich ganz schnell bei ihr bin; cool bleiben oder ehrlich sein und meine Aufregung zeigen.

      Als ich näher kam, sah ich, dass sie meinen Artikel in der letzten Ausgabe unserer Schülerzeitung las, in dem ich über das Pro und Kontra von Schuluniformen geschrieben hatte.

      „Hey, das ist nicht gerade das beste, was ich geschrieben habe“, begrüßte ich sie. „Mir gefällt’s“, antwortete sie mir. „Ich finde gut, dass du objektiv bleibst und einfach nur die Argumente aufzählst, so dass jeder sich seine eigene Meinung bilden kann.“ – „Das war in dem Fall ganz leicht, weil ich tatsächlich keine Meinung zu dem Thema habe.“

      Du meine Güte, das ging ja ganz einfach. Wir hatten tatsächlich schon so etwas wie ein Gespräch. Meine ganze Angst und Nervosität waren wie weg geblasen, als ich neben Katja stand. Ich fühlte mich einfach wohl mit ihr.

      Katja packte die Schülerzeitung ein, stand auf und wir gingen zusammen los, ohne eigentlich zu wissen, wo wir überhaupt hin gingen. Wir liefen einfach nebeneinander her und quatschten. Es stellte sich heraus, dass sie sich diese Woche sämtliche alten Ausgaben unserer Schülerzeitung besorgt und alle Artikel von mir gelesen hatte. Was mich daran am meisten faszinierte, war dass sie mir das ganz offen erzählte. Wenn Katja für die Zeitung geschrieben hätte, hätte ich mir bestimmt auch alle Artikel von ihr besorgt, aber ich hätte das doch nie ihr gegenüber zugegeben.

      „Wo gehen wir eigentlich hin?“ fragte sie plötzlich. Jetzt hatte sie mich. Ich hatte doch keine Ahnung, wo man so hin ging.