Jean-Pierre Kermanchec

Ligurischer Urlaub


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Hartung hatte für den Abend um einen größeren Tisch gebeten, damit die ganze Ausflugsgesellschaft zusammen sein konnte. Auch Viviane Lemogne war mit nach Santa Margherita gekommen und hatte ein Zimmer im Hotel bezogen, genauso wie die Malcolms und Frau Albright. Nach dem Essen bat Clara Henri noch einen kurzen Spaziergang mit ihr zu unternehmen. Sie überquerten die kleine Brücke, die das Hotel mit seinem Garten verband und stiegen die Treppen zum Meer hinunter. Da die einzelnen Stufen nur vom Mondschein erhellt wurden war es nicht ganz ungefährlich.

      „Ich bin Ihnen sehr dankbar Henri.“ sagte Clara.

      „Ich sollte Ihnen dankbar sein Fräulein Clara, Sie haben mir die schönsten Stunden meines Lebens bereitet.“

      „Was würden sie davon halten, wenn wir uns in Zukunft das förmliche „Sie“ schenken und uns mit "du" ansprechen würden.“

      „Sehr gerne, ich heiße Henri, aber das wissen Sie ja, verzeih, du ja schon.“

      „Und ich bin Clara!“ Sie lachte dabei herzlich und gab ihm einen Kuss auf die Wange um das "du" zu besiegeln.

      „Ich könnte diesen Ausblick stundenlang betrachten!“ meinte Clara. „Hier fühle ich etwas wie Freiheit, Zufriedenheit und Lebenslust. Geht es dir nicht auch so?“

      „Ich kann dir wirklich nur zustimmen. Ich ertappe mich beständig, wie ich mir Ähnliches immer wieder durch den Kopf gehen lasse. Sicher gibt es viele Orte auf der Welt die vielleicht noch schöner sind, aber ich fühle hier, genau wie du eine völlige Zufriedenheit. Leider kann ich nicht für immer hier bleiben. Aber ich denke mir liebe Clara, wenn man dies immer vor Augen hat, wird es vielleicht zur Gewohnheit und verliert plötzlich seinen Reiz.“

      Clara nickte zustimmend und sah zufrieden aufs Meer hinaus.

      Wenig später gingen sie wieder nach oben. Sie standen vor dem Hotel und Henri warf noch einmal einen Blick auf die Bucht und auf den Ort Santa Margherita.

      Plötzlich hörte er ein leises kratzendes Geräusch, das vom Dach zu kommen schien. Instinktiv stieß er Clara zur Seite und machte selber einen großen Schritt nach hinten. Clara taumelte und konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Bevor sie überhaupt einen Ton von sich geben konnte knallte der große Blumentopf auch schon auf den Boden.

      Kapitel 4

      Genau an der Stelle hatte vor einer Sekunde noch Clara gestanden. Wenn Henri sie nicht zur Seite gestoßen hätte wäre sie jetzt tot oder jedenfalls sehr schwer verletzt. Henri hatte sofort nach oben gesehen, ohne allerdings etwas oder jemanden zu erkennen.

      „Was war das?“ Clara hatte einen leichten Schock. „Entweder der Blumentopf stand schlecht oder jemand hat es auf dein Leben abgesehen.“ antwortete Henri und nahm Clara in den Arm um sie festzuhalten. Clara war immer noch völlig mitgenommen. Auch der Portier hatte den lauten Knall gehört und war sofort vor die Tür geeilt.

      „Was ist passiert?“ fragte er Henri.

      „Der Blumentopf ist heruntergefallen und hätte um ein Haar das Fräulein Clara getötet.“ Der Portier war bleich geworden.

      „Wir werden das sofort überprüfen. So etwas ist noch nie passiert. Alle Behälter sind gesichert. Sie bestehen aus Marmor und sind enorm schwer. Seniorina Hartung, ich hoffe dass Ihnen nichts passiert ist.“

      Clara hatte sich inzwischen wieder gefangen.

      „Nein, mir ist nichts geschehen!“ erwiderte sie und blickte nun ihrerseits an der Fassade nach oben. Von den anderen Gästen hatte niemand etwas mitbekommen.

      Als Henri und Clara die Terrasse betraten und sich an einen Tisch setzten, sah Henri, dass Sarah Krollmayer und Frau Lemogne noch am Tisch saßen. Ihr Mann Peter war allerdings nicht zu sehen. Sie unterhielten sich sehr angeregt. Alle anderen Gäste hatten das Restaurant bereits verlassen.

      Der Kellner brachte Clara ein Glas Wasser, sie hatte es sich bestellt und Henri bekam ein Bier serviert.

      „Es muss ein Zufall gewesen sein Henri, hier im Haus hat es doch keiner auf mein Leben abgesehen.“ Clara hätte sich etwas anderes auch nicht vorstellen können.

      „Man kann nie etwas ausschließen.“ sagte Henri und dachte dabei an den einen oder anderen Fall zurück.

      „Aber warum sollte jemand das tun?“

      „Nun es gibt immer ein Motiv. Rache, ein zu erwartendes Erbe, verschmähte Liebe, Eifersucht, Angst und so weiter. Ich könnte dir tausend Möglichkeiten aufzählen. Ich habe sie alle schon erlebt.“

      Als Henri Clara zu ihrem Zimmer begleitet hatte, erinnerte er sie noch daran, die Türe zu verschließen. Dann wünschte er ihr eine gute Nacht und ging zum Aufzug. Er fuhr in die fünfte Etage und stieg von dort die Treppe zur Mansarde hoch. Hier befanden sich die Zimmer vom Personal. Mit sicherem Instinkt ging er den schmalen Gang hinunter, bis er, seiner Meinung nach auf Höhe der Stelle war, an der die Marmorvase gestanden haben musste.

      Leise klopfte er an die Türe. Die Tür sprang auf. Sie war nur angelehnt.

      „Hallo, ist hier jemand?“ fragte Henri auf Italienisch. Als er keine Antwort bekam trat er ein und ging vorsichtig zum Fenster. Das Fenster, eher eine kleine Luke war geöffnet. Henri sah hinaus auf das Dach. Er bemerkte zuerst nichts Auffälliges. Er sah nach links und nach rechts, konnte aber keine Blumentöpfe sehen und auch keinen Platz auf dem ein Topf gestanden haben könnte. Er konnte sich auch nicht erinnern, vom Schwimmbad aus, von dort konnte man die gesamte Fassade des Hauses einsehen, Blumentöpfe gesehen zu haben. Die einzigen Blumentöpfe, an die er sich erinnern konnte standen eine Etage tiefer. Als er seinen Kopf gerade wieder durchs Fenster ziehen wollte, fiel ihm das kleine weiße Tüchlein auf, das an einem Stück Draht hängen geblieben war. Henri streckte sich um an das Tuch zu kommen. Derjenige dem es gehört, muss durch das Fenster nach außen gestiegen sein, ansonsten wäre das Tuch nicht so weit vom Fenster entfernt gewesen. Mit Hilfe eines Stuhles, den er als Leiter benutzte konnte er endlich an das Tuch gelangen. Es war ein kleines Einstecktuch aus Seide und trug kein Monogramm. Henri konnte auch kein Etikett finden. Er steckte das Tuch ein und verließ das Zimmer, nicht ohne den Stuhl wieder an seinen Platz zu stellen. Er ging in die fünfte Etage hinunter und versuchte auch hier einen Blick, in das in Frage kommende Zimmer zu werfen. Das Zimmer war verschlossen und auf sein Klopfen hin antwortete niemand. Henri bestieg den Aufzug und fuhr wieder hinunter.

      „Was kann ich für Sie tun?“ fragte der Portier hinter seinem Tresen.

      „Können Sie mir sagen, wer das Zimmer 504 bewohnt?“

      „Herr Medernach, die ganze fünfte Etage ist zurzeit geschlossen. Wir sind dabei, diesen Bereich des Hauses zu renovieren.“

      „Interessant!“ meinte Medernach und ging nach oben in sein Zimmer.

      Es war ein wunderschöner Tag. Das Meer hatte wieder dieses azurblau und der Himmel ein helles, beinahe weißes Aussehen. Zahlreiche Segelboot waren in der Bucht.

      Henri Medernach hatte zwar lange, aber nicht sehr gut geschlafen. Der gestrige Tag, vor allem der Abend hatten ihn intensiv beschäftigt. Als er zum Frühstück hinunter gegangen war, hatten etliche Gäste schon beendet und waren auf dem Weg zu dem Badeplateau im Garten. Clara winkte von ihrem Tisch aus. Henri ging zu ihr, begrüßte sie und fragte nach ihrem Befinden.

      „Mir geht es wieder gut. Es war bestimmt ein Zufall gestern Abend und ich denke schon beinahe nicht mehr daran.“

      „Das freut mich zu hören Clara!“ Henri sah sie lächelnd an. Von dem Tuch, das er gefunden hatte sagte er nichts. Schließlich bewies es auch überhaupt nichts. Das konnte schon länger dort gehangen haben, obwohl ihm sein Instinkt das Gegenteil sagte. Henri sah Richard Paddington als Erster, als dieser langsam auf ihren Tisch zusteuerte. Er hatte auch am vergangenen Abend keine Gelegenheit gehabt mit Clara zu sprechen und wollte nun unbedingt heute Morgen das Gespräch führen.

      „Fräulein Hartung, verzeihen Sie wenn ich Sie stören sollte, aber ich muss Sie unbedingt sprechen.“

      „Kennen