Jean-Pierre Kermanchec

Ligurischer Urlaub


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erschrocken.

      Ohne eine Antwort zu geben öffnete Henri die Tür, stieg aus und ging zur Frontseite des Wagens. Der rechte Scheinwerfer war zersplittert. Er konnte die Stelle, an der das Geschoß eingedrungen war gut erkennen. Henri sah sich um und versuchte den Platz, von dem aus geschossen worden sein musste zu fixieren. Seine Erfahrung kam ihm zur Hilfe. Der Schütze konnte sich nur auf einem der Dächer der gegenüberliegenden Häuser aufgehalten haben. Die Flugbahn ließ keine andere Alternative zu.

      „Clara, bitte fahr mit dem Wagen dort drüben an die Bushaltestelle und ihr bleibt im Wagen sitzen.“

      „Was ist denn passiert Henri?“

      Clara hatte die Situation immer noch nicht richtig gedeutet.

      „Bitte tue es einfach, ich erkläre es dir später.“

      Während Clara und Viviane langsam über den Platz fuhren sah Henri sich noch einmal um. Er sammelte die herumliegenden Glassplitter auf und legte sie, in Ermangelung einer Plastiktüte in ein Papiertaschentuch. Dann ging er ebenfalls quer über den Platz in Richtung des Hauses, von dem der Schuss gekommen sein musste. Die Haustür stand offen und auf sein Rufen kam eine alte, etwa siebzigjährige Frau aus einem Zimmer auf den Gang.

      „Prego Signore, Sie wünschen?“

      „Bitte entschuldigen Sie mein Eindringen, Señora!“ sagte Henri. Seine italienischen Kenntnisse kamen ihm nun zugute. „Könnte ich wohl ganz kurz auf ihr Dach gehen, ich weiß, dass sich mein Wunsch seltsam anhören mag. Ich habe von außen gesehen, dass sie ein Flachdach haben und würde mir gerne den Ort von oben ansehen.“

      „Sie möchten bestimmt auch Fotos machen, Signore, das dürfen Sie gerne tun. Der andere Herr hat auch welche machen wollen.“

      „Wie sah dieser Herr denn aus?“ fragte Henri die alte Dame, in der Hoffnung dass sie ihm eventuell eine gute Beschreibung geben könnte.

      „Ein sehr gepflegter Mann, mit schwarzen Haaren und braungebrannter Haut. Er trug einen Leinenanzug, ein aus der Mode gekommener Zweireiher wenn ich das bemerken darf. Sein Hemd war hellblau und er hatte eine zart grüne Seidenkrawatte umgebunden. Ach ja, ein helles Einstecktuch zierte sein Jackett.“

      „Señora, Sie haben eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe. Seine Kleidung konnten Sie wirklich perfekt beschreiben.“

      „Das ist weiter nicht schwierig mein Herr, wissen Sie, ich bin Schneiderin und meinen Blick für Kleidung habe ich noch nicht verloren.“

      „Können Sie mir vielleicht auch sein Gesicht beschreiben?“

      Henri hatte gehofft, irgendein besonderes Merkmal mitgeteilt zu bekommen.

      „Nein, mein Herr, der Mann trug eine Sonnenbrille, sehr dunkel und ich konnte sein Gesicht nicht gut erkennen. Jetzt wo Sie mich danach fragen, fällt mir ein, dass er versucht hat sein Gesicht mit der Hand zu verbergen, er tat so, als ob er die Sonnenbrille zurecht rücken wollte.“

      „Ich danke Ihnen sehr!“ sagte Henri und drückte der Frau einen Fünfeuroschein in die Hand.

      „Für den Besuch des Daches.“ sagte er noch bevor er die Treppen hinauf stieg.

      „Mille grazie Signore!“ antwortete die Frau und ließ den Geldschein in ihrer Schürze verschwinden.

      Henri bemerkte, dass man den Aufgang an der Rückseite des Hauses angelegt hatte und dass ein Weg von der Rückseite zu den Nachbargärten führte. Der Mann musste also nicht unbedingt das Haus durch die Vordertür verlassen haben. Das flache Dach war als Terrasse angelegt und er sah einen geschlossenen Sonnenschirm auf dem Boden liegen. Drei Liegen, einen eisernen Tisch, zwei Stühle und ein Wäscheständer füllten den größten Teil des freien Raumes. Seinen Blick immer auf den Boden gerichtet überquerte er die Terrasse um an den Rand zu gelangen. Systematisch suchte er die Frontseite ab. Etwa an der Stelle, an der er den Schützen vermutet hatte entdeckte er eine Zigarettenkippe auf dem Boden. Es schien die Einzige zu sein. Vorsichtig, ein Papiertaschentuch benützend hob er den Stummel auf, sah ihn sich an und packte ihn in das Taschenbuch ein. Er hatte gehofft, eine leere Patronenhülse zu finden aber er konnte nichts weiter entdecken. Er vergewisserte sich noch einmal, dass es sich auch um das richtige Haus handelte, sah sich ein letztes Mal um und ging die Treppen hinunter.

      „Signore,“ rief die alte Frau ihm nach „der Mann hatte ein Teleskop in einem Lederetui bei sich, es ist mir gerade noch eingefallen.“

      Henri bedankte sich und verließ das Haus. Er war jetzt wieder ganz der alte Fuchs Medernach. So hatte man ihn bei der Kripo genannt. Dass er inzwischen pensioniert war, schien er vergessen zu haben.

      „Teleskop,“ dachte er laut „das wird er behauptet haben. Ein Gewehr hatte er im Etui.“ Als Henri um die Ecke des Hauses bog um zu Clara und Viviane zu gehen, sah er die beiden Delacroixs beim Auto.

      „Henri, ich habe Jean-Paul und Janine bereits alles erzählt. Sie haben einen kleinen Spaziergang zum Leuchtturm gemacht und sind gerade wieder zurückgekommen.“

      Henri sah Jean-Paul und Janine an, begrüßte die beiden freundlich und sah das Einstecktuch von Jean-Paul, das er zu seinem Leinenanzug, einem Zweireiher trug.

      „Wir sollten zurück ins Imperiale fahren und die Polizei benachrichtigen.“ Clara nickte, verabschiedete sich von den beiden. Auch Henri gab ihnen die Hand zum Abschied dann fuhren sie nach Santa Margherita.

      Auf die Motorroller mussten sie ständig achten. Diese überholten in den scharfen Kurven von rechts oder links. Obwohl das nicht ungefährlich war, schien sich niemand daran zu stören. Clara fragte Henri, was er gemacht, gesucht oder gesehen hat, wo er gewesen sei und was das überhaupt alles zu bedeuten habe.

      Henri sah Clara an und machte mit den Augen eine Bewegung zu Viviane hin, die im Fond des Wagens saß, als ob er Clara still fragen wollte, ob er vor Viviane sprechen könne. Clara verstand die non-verbale Frage und antwortete sofort.

      „Henri, Viviane ist seit Jahren eine gute Freundin. Du kannst ruhig vor ihr sprechen!“

      „Nun, es ist hat auf den Wagen geschossen worden. Ich nehme an, dass wir die Kugel irgendwo im Scheinwerfergehäuse finden werden. Das Geschoß hat das Glas durchschlagen. Der Schuss muss vom Dach des Hauses abgegeben worden seien, gegenüber der Ausfahrt des Parkhauses. Ich konnte auf dem Dach allerdings keine Patronenhülse finden.“

      „Du musst wissen,“ sagte Clara zu Viviane „Henri war früher bei der Kripo in Luxemburg beschäftigt.“

      „Und ich habe gehört, Sie wären ein ziemlich reicher Playboy.“ Viviane lächelte als Henri sie nun ansah. Sie hatte ein bezauberndes Lächeln, mit zwei kleinen Grübchen.

      „Ich darf euch aber bitten, keinem etwas davon zu sagen. Ich halte es für besser, wenn man meinen früheren Beruf nicht kennt.“ Henri sah, wie die beiden ihm zustimmend zunickten.

      Am Hotel angekommen, ging Henri geradewegs zum Portier und bat ihn die Kriminalpolizei zu verständigen. Der Mann machte ein erstauntes Gesicht bei der Bitte. Henri gab ihm einige kurze Erklärungen. Der Portier griff zum Telefon und rief in Rapallo an.

      „In wenigen Minuten werden die Herren hier sein!“ sagte er zu Henri und wandte sich den nächsten Gästen zu.

      Henri Medernach ließ sich auf dem Sessel gegenüber der Rezeption nieder. Er hatte Clara gesagt, dass er zuerst mit dem Kommissar sprechen würde um ihm alles zu erklären. Daraufhin war Clara mit ihrer Freundin in ihre Suite gegangen und erholte sich von dem Schrecken.

      Henri sah sich die Gäste, die die Halle betraten an, er registrierte alle und Alles und versuchte sich jede Einzelheit, die von Bedeutung sein könnte einzuprägen. Es dauerte wirklich nur wenige Minuten, bis eine schwarze Limousine vor dem Eingang anhielt und zwei Herren in hellen leichten Anzügen ausstiegen und das Hotel betraten. Henri wusste sofort, dass es sich um die italienischen Kollegen handelte. Er stand auf und ging auf die beiden Herren zu, die sich gerade an den Empfangschef wenden wollten.

      „Ich nehme an, Sie kommen von der örtlichen Polizei? Erlauben Sie mir, mich kurz