Till Angersbrecht

Im Schatten der Schuld


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      Till Angersbrecht

      Im Schatten der Schuld

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Amselstraße 39

       Der tote Zaubergarten

       Richterin Wollbruck

       Sippenhaftung

       Ermittlung im Fahlenkreis

       Unzurechnungsfähig?

       Ich bin schuldig!

       Das aufgeschlagene Tagebuch

       Der neue Mensch kommt aus Afrika

       Der Familienrat

       Mit Jutta in der Goldenen Ente

       Der Mann auf dem zerrissenen Foto

       Im Gefängnis

       Der Einbruch

       Der Mensch schafft sich selber ab!

       Zentauren

       Reflexionen eines Vaters

       Kriminalkommissar Moser

       Fotos, die man niemandem zeigen kann

       Ein Fall von Hörigkeit

       Zur Gerechtigkeit

       Impressum neobooks

      Amselstraße 39

      Otto Baschke war ein gewöhnlicher Mensch, ich meine schon im Hinblick auf seine Physiognomie, die man eher plump nennen würde: ein ausdrucksloses Gesicht mit blondem Backenbart und spärlichem Kopfhaar, kurz ein Gesicht, zu dem einem nur der in solchen Fällen übliche Passeintrag in den Sinn gerät: keine besonderen Merkmale. In beinahe jeder Hinsicht verkörperte Baschke das Mittelmaß, nur in einer einzigen ragte er zweifelsohne vor anderen Menschen hervor. Er verkörperte das Mittelmaß sozusagen in extremis, denn seine Philosophie ließ sich zu einem einzigen Satze bündeln: Richtig ist, was mir, Baschke, gefällt und einen Nutzen verschafft. Er war, mit anderen Worten, der geborene Opportunist.

      Gerechterweise - und hoffentlich mit Zustimmung des Lesers - muss hier allerdings hinzugefügt werden, dass ein Baschke sich in jedem von uns versteckt. Gewöhnlich werden wir als Baschke geboren und bleiben Baschkes, bis etwa zur Schwelle der Pubertät. Doch dann pflegt sich in manchen Menschen eine merkwürdige Änderung zu vollziehen, die unsere Anthropologen, Psychologen und die Wissenschaft überhaupt bis heute vor ein schwer zu lösendes Rätsel stellt: Viele von uns beginnen nämlich nach Überwindung dieser Schwelle gegen die eigenen Interessen zu handeln. Die Pubertät ist aus diesem Grund eine gefürchtete Lebensphase, die mitmenschliche Geduld und das Wohlbefinden werden auf eine harte Probe gestellt.

      Nicht so bei Baschke. Obwohl mittlerweile schon um ein halbes Jahrzehnt jenseits der Dreißiger, hatte er sich sozusagen dauerhaft – oder wohl eher für alle Zeit - auf der Plattform der Vorpubertät eingerichtet. Die oben genannte Maxime, die bereits der Säugling beharrlich verfolgt: Wahr und richtig ist, was mir nützt, war ihm sozusagen zur zweiten Natur geworden oder, wie man so sagt, in Fleisch und Blut übergegangen, nur dass er sie inzwischen noch etwas erweitert hatte, indem er sie auf ein seinem vorgerückten Alter entsprechendes intellektuelles Niveau emporhob.

      Als richtig und wahr galt für Baschke, was die anderen, die Welt, von ihm hören wollte. Denn was sie gerne hört, macht sie zufrieden, und für Zufriedenheit ist sie bereit, in bar zu zahlen. Für einen Menschen mit einer derartigen Philosophie war der Lebensweg vorgezeichnet. Er konnte eigentlich nur, nein, er musste sogar bei der Post ankommen – wie jeder weiß, das größte Massenblatt unseres Landes.

      So war es denn auch geschehen, und für den Erzähler dieser leider durch und durch wahren Geschichte besteht daher ebenso wenig Grund, sich über die Rolle Baschkes zu wundern, wie für den Leser, der diese Erzählung in ihren Grundzügen ja sicher schon kennt – ich nehme an, dass er zum gebildeten Teil der Bevölkerung gehört, also hin und wieder zur Zeitung greift oder wenigstens den Fernseher einschaltet oder das Radio.

      Niemand sollte sich daher darüber wundern, dass dieser Mann im Auftrag der Post-Zeitung soeben in einem Auto sitzt, einem schäbigen Wagen übrigens - VW Golf älterer Bauart - und einer Frau auflauert, deren Namen uns allen gleichfalls bekannt ist. Es handelt sich um Marianne Steuben. Wie gesagt, für den halbwegs gebildeten Zeitgenossen gehören diese Namen inzwischen zum gängigen Wissensvorrat. Wenn ich dennoch mit einer Geschichte beginne, die uns gleich zu Anfang die Bekanntschaft mit einem so gewöhnlichen Menschen wie Otto Baschke aufdrängt, dann nur deshalb, weil ich mit diesem Vorgehen einen besonderen Zweck verfolge. Wie in so vielen anderen Fällen haben uns die Massenmedien nämlich auch diesmal in die Irre geführt, ja in diesem Fall sogar in ganz besonderem Maße. Es geht ja um ein Verbrechen, das in der Öffentlichkeit ungeheures Aufsehen erregte und sie bis heute beschäftigt. Linke und Rechte, Gut- und Schlechtmenschen, Esoteriker und nüchterne Wissenschaftler hat dieses Verbrechen aufeinander lospreschen und losdreschen lassen. Kein Wunder, dass in einem solchen Krieg der toll gewordenen Meinungen das erste Opfer wie immer die Wahrheit ist.

      Mit meiner Darstellung bezwecke ich daher eine Ehrenrettung - nein, nicht etwa eine Ehrenrettung des einst so angesehenen Hauses v. Hochreith. Von einem Adelstitel lasse ich meine Augen nicht blenden und hoffe, dass auch der Leser gegen solche Anwandlungen gefeit ist. Nein, es geht darum, sich gegen die Hetze zu stellen, die eine Massenzeitung, eben die Post, in der Bevölkerung lostrat. Aber genau deshalb, weil es mir um die Wahrheit geht, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Otto Baschke zu beginnen, diesem leider eher mittelmäßigen Menschen.

      Seinen reichlich schäbigen Golf hatte er schräg gegenüber von Nr. 39, Amselstraße, geparkt, die sich ihrerseits in einem Viertel mit gutbürgerlichen Häusern aus dem 19. Jahrhundert befindet: gepflegte Fassaden und blühende Gärten mit der Patina eines verdienten Ruhestandes, den die verträumten Gärten und ihre meist unsichtbaren Bewohner sozusagen gemeinsam feiern. Hier wohnt die sogenannte bessere Gesellschaft, die High Society oder Haute Volée, alles Wörter, die in Baschkes Magen ein unbehagliches Gefühl