Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II


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ohne Auskunft zu erteilen.

      „Groß, nicht ganz zwei Meter, denke ich, und dunkelblond. Um Mitte vierzig, würde ich sagen, vielleicht etwas jünger. Mit einem Dreitagebart.“

      „Deutscher?“, wurde Blansko aufmerksam.

      „Weiß nicht. Er hat nicht gesprochen. Sie gingen zu einem geparkten Wagen.“

      Er blickte seinen Assistenten an. „Haben Sie gesehen, wie Freysing in das Flugzeug nach München gestiegen ist?“, fragte er diesen, erwartete aber nicht wirklich eine positive Antwort, denn die Angaben der Frau waren schon recht zutreffend auf den Deutschen.

      „Ich habe ihn beobachtet, bis er durch die Kontrolle ist. Dann bin ich gegangen.“

      „Ich möchte wetten, er ist zurückgekommen!“, stellte Blansko fest. „Der Beschreibung nach könnte er es sein, und er ist der einzige von den gegenwärtig bekannten Beteiligten, auf den sie passt.“

      „Was will der denn noch hier?“

      „Er weiß definitiv mehr, als er uns bisher gesagt hat.“ Blansko wandte sich wieder an die alte Frau. Es war ein kleines, eher schüchternes Persönchen, die auf gar keinen Fall Ärger mit der Polizei wollte. Das nutzte er aus.

      „Was war das für ein Wagen, zu dem sie gegangen sind? Marke? Baujahr?“

      „Weiß nicht. Alt. Ein ausländisches Modell. Kleine, blaue Limousine.“

      „Besitzen sie einen Schlüssel für die Wohnung hier?“, fragte Blansko weiter.

      „Ja, schon, für Notfälle…“

      „Das ist einer! Holen sie ihn!“, befahl der Beamte, keinen Widerspruch duldend.

      Zwei Minuten später standen sie dem Chaos in Irinas Behausung gegenüber. Die einbezogene Nachbarin war entsetzt, während die Kriminalpolizisten es mit geübtem Blick emotionslos zur Kenntnis nahmen.

      „Die beiden Männer haben hier etwas gesucht, schätze ich“, begann er irrig seine weiteren Überlegungen, während er ebenso vorsichtig wie ergebnislos in den herumliegenden Sachen stocherte, um vielleicht zufällig irgendetwas von Bedeutung zu entdecken.

      „Und was?“, wollte sein Assistent wissen.

      „Etwas, das möglicherweise einen Hinweis auf Hollers Tod geben könnte.“

      „Und was tun wir jetzt?“

      „Fahndung nach Irina Nohydlouhý und Günter Freysing. Phantombild von dem zweiten Mann und Fahndung dann auch nach ihm. Verdacht auf Kidnapping.“

      „Kidnapping?“

      „Unsere Zeugin hier sagte doch aus, die Nohydlouhý habe ängstlich gewirkt.“

      Der Assistent nickte daraufhin nur noch kurz, zog sein Handy hervor und telefonierte umständlich mit der Zentrale. Daher nahm Blansko es ihm unwirsch ab und wurde energischer. Am anderen Ende der Verbindung kam man sehr schnell seiner Aufforderung nach. Binnen kürzester Zeit war die Suche eingeleitet. Nach zwei Männern und einer Frau, in einer älteren blauen Limousine.

      *

      Freysing saß am Steuer des Audi und reizte die höchstzulässige Geschwindigkeit, den einheimischen Fahrern vor ihm angepasst, mehr als aus. Der Wagen besaß eine Automatik, und so brauchte er nicht viel zu tun.

      „Nun erzählen Sie mal!“, forderte er unterwegs, während sie die Straße nach Süden nahmen, Richtung Pohořelice, in dessen Nähe nach Irinas weiteren Angaben deren ältere Schwester wohnte, bei der sie unterkommen wollte. Sie saß leicht zitternd unangeschnallt auf dem Beifahrersitz und lutschte nervös an ihren langen Fingernägeln.

      „Was meinen Sie?“, fragte sie.

      „Der Mann ist nicht gekommen, um mich umzubringen, auch wenn er es behauptet hat. Der wollte Sie töten!“

      Er bedeutete ihr, den größeren Briefumschlag zu öffnen, der beim Einsteigen auf dem Beifahrersitz gelegen hatte, und den sie jetzt auf dem Schoß hielt. Er war nicht verklebt. Sie fasste mit zwei Fingern und Daumen hinein und zog eine Fotografie hervor. Es war eine von ihr selbst, gemacht mit einem Teleobjektiv, direkt vor ihrer Arbeitsstelle. Der Eingang der Klinik war im Hintergrund zu erkennen. Freysing hatte, ohne vorher selbst in den Umschlag zu sehen, richtig getippt.

      „Aber…“, begann sie, doch ein Blick von ihm zeigte ihr an, dass sie besser nicht länger schwieg. Außerdem wirkte in ihr deutliche Angst. Marius´ Bekannter neben ihr hatte bewiesen, dass er gewalttätig werden konnte, und sie war mit ihm mehr oder weniger allein. Und dann der gefesselte Mann im Kofferraum. Es war sämtlich sehr furchteinflößend!

      „Woher ich das wusste? - Berufserfahrung.“

      Sie sah ihn fragend an, und er antwortete ihr, um sie gesprächiger zu stimmen.

      „Ich arbeite für dieselbe Dienststelle wie Marius. Ich denke, Sie wissen sehr genau, womit er im Großen und Ganzen wirklich beschäftigt war. Also?“

      Sie überlegte. „Ich weiß nicht, ob es mit allem zusammenhängt.“, begann sie dann zögernd. „Marius und ich…“, sie unterbrach sich, und unwillkürlich standen ihr leichte Tränen in den Augen, als sie an ihren toten Geliebten dachte.

      „Ja?“

      „Er und ich, wir wollten ein neues Leben zusammen anfangen.“

      „Midlife-Crisis, bei Marius?“, fragte er skeptisch, aber sie ging nicht weiter darauf ein.

      „Vielleicht…“ – sie lächelte beinahe etwas verschmitzt. „Aber dafür brauchten wir Geld. Das Leben ist nicht billig.“

      „Mehr Geld, als Sie und Marius zusammen verdienten, nehme ich an. Wo wollten sie denn hin?“

      „An die Adria. Eine kleine Insel. Das war schon länger mein Traum!“

      Er überlegte, was diese neue Erkenntnis bedeutete. „Und es gab auch eine Idee, wie Sie zu diesem Geld kommen konnten?“, hakte er nach. „Das Spesenkonto von Marius hätte für ein gemeinsames süßes Leben kaum ausgereicht. Und ihr Gehalt auch nicht. Wo sollte das Geld denn herkommen?“

      „Sie wissen, wo genau ich arbeite?“

      „Sie sagten, in einer Klinik für plastische Chirurgie. Krankenschwester?

      „Nein, ich bin dort in der Verwaltung, beim Chef. Mitte des Jahres kam man dort auf die Idee, die alten Behandlungsakten zu vernichten, also alles, was älter als zwanzig Jahre war. So lange sind wir verpflichtet, diese mindestens aufzubewahren. Aus rechtlichen und Versicherungsgründen, wissen sie…“

      „Und ihre Aufgabe war es, diese Akten zu vernichten“, riet Freysing, halb unterbrechend. „Und weiter?“

      „Ich war neugierig und blätterte in den Pausen darin. Ein paar Mal nahm ich dann Akten mit nach Hause und las sie genauer durch. Was ich darin entdeckte, war sehr interessant. Ich erzählte Marius davon, und er war meiner Meinung.“

      „Und was war das ach so interessante?“

      „Damals haben sich eine Reihe von Leuten neue Gesichter zugelegt.“

      „Damals?“

      „In der Zeit des Umbruchs. Leute, die vorher in osteuropäischen Staaten gearbeitet haben und in oder nach der Zeit des großen Umbruchs auf politische oder strafrechtliche Verfolgung gefasst sein mussten.“

      „Auch aus der DDR?“, wurde Freysing nun hellhörig.

      „DDR?“

      „Deutsche Demokratische Republik. Naja, sie waren da ja noch kaum geboren…“

      Sie nickte jedoch. „Aus der DDR, aus Ungarn, aus Polen, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus unserem eigenen Land – sie kamen von überall her. Die Klinik war damals noch sehr jung und konnte die Einnahmen sicher sehr gut gebrauchen. Ein dunkles Kapitel.“