Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II


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dessen Namen Steiner Freysing verraten hatte, besaß ebenfalls eine digitale Akte, wenngleich diese auch nicht sehr umfangreich war. Offenbar hatte es bislang keinen Grund für eine genauere auslandsgeheimdienstliche Durchleuchtung gegeben – nur die üblichen sachrelevanten Nachforschungen durch den MAD und den Verfassungsschutz in speziellen Fällen. Gegründet worden war es gegen Ende 1993 als Kapitalgesellschaft in Form der Tochter einer weiteren anonymen Gesellschaft. Die Geldgeber, sämtlich Personen ohne Auffälligkeiten, traten weder besonders in Erscheinung, noch wurde sonst wie bekannt gemacht, aus welcher Quelle die eine Million Deutsche Mark stammte, die für die Etablierung des Unternehmens notwendig war. Lediglich ein aktueller Geschäftsführer wurde genannt, aber dessen Name sagte Freysing nichts. Möglicherweise handelte es sich dabei aber, sollte es nicht mit rechten Dingen zugehen, ohnehin um einen bedeutungslosen Strohmann. Die weiteren Angaben bezogen sich dann auf diejenigen einzelnen Mitarbeiter, die vor Ort in Prag die fraglichen Tätigkeiten an den GNSS-Systemen ausführen sollten. Sie waren besonders intensiv durchleuchtet worden, allerdings ohne dass Auffälligkeiten zu Tage gefördert wurden. Auch deren Namen waren Freysing bislang sämtlich unbekannt. Eine weitere Sackgasse.

      Wenn sich allerdings tatsächlich Hinweise auf einen Sabotageakt gegenüber der GNSS-Zentrale konkretisieren würden, dann musste sein Dienst das wissen, und er teilte den Anfangsverdacht dorthin sofort mit. Die Anweisung Stoessners dazu unterschied sich nicht von dem, was er ohnehin vorhatte: Das Gespräch mit Steiner abwarten, dann das Notwendige tun, damit die Dienste nicht ins Licht der Öffentlichkeit gerieten, und schließlich nach Deutschland zurückkehren. Fall erledigt, Akte geschlossen.

      Eine ruhige Nacht und einen gemütlichen Vormittag im Pensionszimmer später wollte Sax sich gerade auf den Weg zur Festung Špilberk und dem Treffen mit Steiner begeben, als ihm Blansko und dessen Assistent im Eingangsbereich entgegentraten.

      „Ach, Herr Freysing! Das ist ja gut, dass wir sie noch antreffen. Wir befürchteten beinahe schon, sie wären abgereist“, bemerkte Blansko ein wenig süffisant.

      „Doch nicht, ohne ihnen vorher Bescheid zu geben“, betonte Sax mit bemühtem Ernst. Insgeheim aber dachte er: Die haben mir gerade noch gefehlt. „Gibt´s denn etwas Neues bezüglich des armen Marius Holler?“, fragte er stattdessen.

      „Wir haben gestern sein Zimmer hier durchsucht. Wissen sie bestimmt. Aber nicht viel gefunden. Nicht einmal seinen Laptop!“, sagte der ältere Kriminaler, und bedeutete Freysing, ihnen zum Wagen zu folgen. Der Skoda stand nur wenige Schritte entfernt am Straßenrand im Halteverbot. Ein Motorradpolizist hatte mit seiner Honda XL125V Varadero soeben dahinter angehalten, um dem offensichtlichen Verkehrssünder eine Verwarnung zu schreiben, doch ließ er davon ab, als er Blansko erkannte. Er steckte das spezielle Pad für die Datenerfassung wieder ein, tippte kurz an seinen Helm und fuhr zügig davon.

      „Besaß er denn einen?“, fragte Freysing beinahe eine Spur zu dreist.

      „Der pokojská(*1) nach, ja. Aber das Gerät ist weg.“

      „Sehr schade.“ Das Bedauern in der Stimme des Agenten wirkte eigentlich eine Spur zu übertrieben. Blansko würde sich vielleicht auf die Schippe genommen vorkommen.

      „Sie haben keine Idee, was mit dem Gerät passiert sein könnte?“

      Freysing schob die Unterlippe überlegend nach vorn, schüttelte dann aber bedeutsam den Kopf und hob die Hände in resignierender Weise: „Leider nein!“. Der inzwischen manipulierte Laptop befand sich derweil im geheimen Zwischendeckel seines Aktenkoffers im Zimmer der Pension, aber es klang nun sehr überzeugend.

      Die Beamten komplementierten Sax auf den Rücksitz des Fahrzeuges. Blansko nahm neben ihm Platz, während der jüngere Assistent fuhr – fast konnte man den Eindruck gewinnen, er sei festgenommen. Er sah dezent auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er nun wohl zu spät zu seiner Verabredung mit Steiner kommen würde. Aber das konnte er den Beamten ja schlecht sagen. Derjenige neben ihm bemerkte aber den eigentlich unauffälligen Blick auf die Zeit.

      „Haben Sie vielleicht etwas Bestimmtes vor?“

      „Nein, eigentlich nicht. Ich dachte an das Glockenspiel auf der Festung. Soll sehr schön sein!“

      „Ist es. Aber es läutet jede Stunde. Läuft ihnen also nicht davon.“

      „Wo fahren wir denn hin?“

      „Aufs Revier. Es sind da noch ein paar Fragen aufgetaucht, die wir gerne geklärt hätten.“

      „Fragen?“

      „Ich habe inzwischen ein paar Nachforschungen über sie betrieben, Freysing.“

      „Ah, ja?!“, blieb Sax vorsichtig.

      „Wir kennen Sie hier!“, stellte Blansko fest.

      „Erzählen Sie mehr. Manchmal kenne ich mich nämlich selbst nicht mehr.“

      „Nicht so bescheiden. Es gibt ein paar interessante Aufzeichnungen bei unserem Inlandsgeheimdienst. Nach dessen Unterlagen sind sie hier in den späteren Neunzigern ein paar Mal unterwegs gewesen.“

      „Bin ich das?“, fragte er scheinheilig, nun allerdings etwas besorgt.

      Er druckste noch eine Weile herum, während sie bereits die Station der Kripo erreichten, und er von Blansko und dessen Assistenten schließlich in das Verhörzimmer geleitet wurde, dass er bereits vom Sonntag her kannte.

      „Ich sage ihnen jetzt einmal, was ich glaube. Dieser Holler, der arbeitete für ihre Botschaft in Prag, und wenn unser Ministerium recht hat, dann befasste er sich nicht allein mit Außenhandel.“

      „Sondern?“

      „Spionage. Sie spionieren bei uns, wir spionieren bei Ihnen. Niemand redet darüber und lässt die anderen ihre Arbeit tun, solange es nicht ans Eingemachte geht. Erleichtert uns allen das Leben… und, nicht zuletzt, sind wir ja seit ein paar Jahren alle gute Freunde“, spielte er im Nachsatz auf den EU-Beitritt Tschechiens an.

      „Holler ein Spion, für Deutschland?“, gab sich Sax ungläubig.

      „Ja. Und Sie sind auch einer. Ich weiß nicht, warum genau man sie hergeschickt hat, aber wahrscheinlich hat es etwas mit Hollers Ableben zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie beauftragt sind, herauszufinden, was passiert ist.“

      „Bis Sie am Sonntag auftauchten, wusste ich nicht einmal, dass Holler tot ist.“

      „Aber er wurde vermisst.“

      „Und das sollte für mich größerer Anlass zur Sorge sein?“

      „Vielleicht war es das am Anfang nicht. Ich kann die Gedankengänge ihrer Dienstherren in Berlin nicht erraten. Aber spätestens jetzt ist eine Situation eingetreten, die Unseresgleichen beunruhigt.“

      „Unseresgleichen?“

      „Ich habe früher selber mal für den Verein gearbeitet. Hier bei uns. Lange her. Ich weiß aber, wie das Eichhörnchen läuft, also machen Sie mir nichts vor.“

      „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Freysing, nun leicht besorgt. Konnte die Begriffswahl Blanskos, die stark auf die Burg anspielte, wirklich Zufall sein?

      „Entweder, Sie kooperieren mit uns, oder sie fahren nach Hause. Einen Störfaktor bei meinen Ermittlungen kann ich nicht gebrauchen.“

      „Schön. Ich helfe Ihnen gern, wo ich kann. Was wollen sie denn wissen?“

      „Womit Holler genau beschäftigt war.“

      „Sie wissen, dass ich ihnen das nicht sagen dürfte, wenn Sie Recht hätten mit ihrer Vermutung über ihn, oder über mich, und ich darüber etwas wüsste.“

      „Das alte Spiel, ja. Aber so kommen wir nicht weiter. Wir sollten kooperieren. In ihrem und in unserem Interesse!“

      Freysing überlegte kurz. Dann sagte er: „Ich weiß, dass Holler irgendetwas beunruhigt hat in Bezug auf den Umzug der Zentrale des GNSS-Projektes nach Prag. Das ist aber auch