Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II


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das sogar damit, dass die Pension ihm einmal von Holler selbst empfohlen worden war.

      Während der Zeit der Befragung lagen der Strohhut und das Fernglas mit der Speicherkarte von Kisci darin auf Blanskos Schreibtisch, aber glücklicherweise warf der Beamte keinen Blick in letzteres hinein. Das hätte dann in der Tat problematisch werden können. Spionage war mit Bestimmtheit kein Kavaliersdelikt, schon gar nicht aus Deutscher Richtung. Der Agent vermied es, dauernd zu dem verräterischen Glas hinzusehen.

      Freysing und Irina erfuhren ihrerseits, weshalb die Polizei auf letztere gekommen war. Zwar hatte Holler keinerlei Ausweispapiere mit sich geführt, jedoch ein kleines Amulett, in welchem sich ein winziges Bild von Irina befand. Das hatte Blanko im Zuge seiner Ermittlungen mit gespeicherten Bilddaten verglichen und der Computer hatte Irinas Namen gefunden. Sie war dort registriert, weil sie einige Male an politischen Demonstrationen teilgenommen und kurzzeitig festgenommen worden war. Die Daten hätten inzwischen gelöscht sein müssen, es war mehr als fünf Jahre her, aber nicht immer und überall funktioniert der Datenschutz wirklich – und in dem Fall war auch sicher bei der Polizei niemand besonders unglücklich darüber.

      Beide, Irina und Freysing, wurden nochmals gefragt, woher sie einander kannten, aber auch hier sagten beide übereinstimmend korrekt aus, dass sie sich heute erst kennengelernt hatten. Das entsprach den Tatsachen und keiner von ihnen musste diese besonders ausschmücken. Alles in allem schienen Blansko und sein Assistent mit dem Ergebnissen der Befragung dann doch erst einmal zufrieden zu sein.

      Es war gegen 22 Uhr, als sie gemeinsam entlassen wurden und mit einem Taxi zunächst zu Irinas Wohnung zurückgelangten. Als sie vor dem Wohnblock hielten, nahm er sie auf der Rückbank kurz in seine Arme, um ihr so etwas wie Trost zu spenden. „Es ist schlimm!“, meinte er. „Falls ich irgendetwas für Sie tun kann…“

      „Ich möchte jetzt allein sein!“, wies sie ihn jedoch an, während sie sich schnell löste und aus dem Fahrzeug ausstieg. Sie verabschiedete sich von Freysing und verschwand, ohne sich noch einmal umzublicken, in dem Wohnblock, während er dem Taxifahrer seine gegenwärtige Unterkunft als nächstes Fahrtziel angab. Er war erleichtert darüber, sich nicht weiter mit Irina und ihrer offenbar echten Trauer beschäftigen zu müssen. So etwas wie Mord kam vor in seinem Beruf. Er hatte oft damit zu tun. Für Irina war der Tod vielleicht nichts gänzlich Fremdes, aber Mord, dazu an ihrem Geliebten, besaß freilich eine ganz andere Dimension.

      Nachdem er in die Pension zurückgekehrt war, tippte er seinen Bericht ins Ipad und übermittelte diesen, eine speziell verschlüsselte Internetverbindung nutzend, an die Zentrale. Außerdem stellte er einige kleine Anfragen. Herauszufinden, warum Holler ermordet worden war, musste nicht zwingend seine Aufgabe sein. Die Tschechische Polizei war an der Sache dran, und da es sich bei Holler um einen Botschaftsangestellten handelte, konnte weiteres auf Internationaler Polizeiebene und über den Auswärtigen Dienst geklärt werden. Von dort aus würde man sich auch mangels Angehöriger – laut Dossier gab es keine näheren Verwandten - um die Überführung des Leichnams nach Deutschland kümmern.

      Blansko hatte ihm zu verstehen gegeben, sich zur Verfügung zu halten. Das jedoch war nicht unbedingt Freysings Absicht. Seinen Ausweis hatte er nun wieder. Er würde so schnell wie möglich abreisen, wenn Stoessner dem zustimmte. Mit einer Weisung von dort war aber sicher nicht vor dem nächsten Morgen zu rechnen. Sax beschloss, sich nach einer Kurzdusche schlafen zu legen und verbrachte unbeschadet der zutage getretenen Erkenntnisse eine ruhige Nacht.

      *

      Nach einer ausgiebigen Morgentoilette und einem anschließenden noch ausgedehnteren Frühstück im kleinen Speiseraum der Pension schaute Sax in sein Ipad und fand dort tatsächlich bereits die Informationen vor, um die er gebeten hatte.

      Über Irina waren keine Daten vorhanden. Kisci war dem BND hingegen genau bekannt, es gab keine besonderen Vorkommnisse in der langjährigen geschäftlichen Verbindung. Somit gab es eigentlich keinen besonderen Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen, aber Stoessner schien zu der Überlegung gekommen zu sein, seinen Agenten erst einmal noch vor Ort zu belassen. Es gab keine Rückkehrorder, sondern den Auftrag, sich um Hollers Nachlass zu kümmern. Sicher würde die Polizei diesbezüglich heute Morgen noch in der Pension erscheinen, um das Zimmer Hollers zu durchsuchen, aber bereits bei einem Einbruch am Anreisetag hatte Sax dort nichts entdecken können, was den Mann mit dem deutschen Geheimdienst in Verbindung brachte. Blansko war ein erstklassiger Polizeibeamter, aber auch dieser würde nichts finden können, wo nichts zu finden war.

      Den Laptop Hollers hatte Freysing da bereits sichergestellt, aber unter den gegebenen Umständen wäre es fatal, wenn man diesen bei ihm entdeckte. Daher änderte er alle Einstellungen und gehackten Schlüsselcodes auf dem Gerät so, dass er es jederzeit als sein eigenes ausgeben konnte. Die persönlicheren Dokumente Hollers darauf löschte er nach Übertragung in eine gesicherte Cloud mit einer speziellen Software seines eigenen Kleinrechners gänzlich, und zwar derart, dass sie wirklich gelöscht waren und auch nicht mehr rekonstruiert werden konnten.

      Er blickte auf die Uhr und überlegte, ob er in Hollers Zimmer etwas vergessen haben mochte, als das Telefon auf der Frisierkommode klingelte. Es war ein beinahe altertümliches Scheppern eines ebensolchen, weinrot mit Samt bezogenen Apparates, keiner dieser allgegenwärtigen melodischen Klänge. Die Polizei? Freysing ging hinüber, nahm ab und meldete sich mit seinem Namen.

      „Sie sind auf der Suche nach Marius Holler“, stellte eine unbekannte männliche Stimme am anderen Ende der Leitung fest, ohne dass ein Name genannt wurde.

      „Schon möglich“, erwiderte Sax. Wenn es die Polizei war, wollte er sich keine Blöße geben. Er traute Blansko und dessen Leuten durchaus so etwas zu. Allerdings besaß das gesprochene Tschechisch desjenigen am anderen Ende der Verbindung einen deutlichen ostdeutschen Akzent. „Wer ist dort?“, fragte er, bekam aber keine Antwort darauf.

      „Vielleicht kann ich ihnen helfen“, fuhr die Stimme stattdessen fort. „Kommen Sie zur Burg Veveří. Wir treffen uns dort um ein Uhr.“

      „Wie erkenne ich Sie denn?“, wollte Freysing noch wissen, doch da war das Gespräch bereits von der anderen Seite her beendet gewesen. Nachdenklich legte auch er auf.

      Kurz nachdem er die Pension verlassen hatte, fuhren der Skoda mit Blansko und dessen jüngerem Kollegen sowie ein Minibus voller Spurensicherungsspezialisten vor, um sich des Zimmers Hollers anzunehmen und dieses auszuräumen.

      Freysing hielt ein Stück weiter die Straße herunter ein Taxi an und ließ sich von diesem hinaus zum Stausee bringen. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, noch etwas herauszufinden, dann dort, wo Holler zu Tode gekommen war. Was hatte der Agent bei dem Stausee gewollt? Ein konspiratives Treffen mit einem anderen Kontakt? Die Befragung der anderen V-Leute hatte nicht auf ein solches hingewiesen, aber der Anruf wies auf das Gegenteil hin.

      Als das Taxi bereits den Stadtteil Bystrc verlassen hatte, glaubte der Agent, wie immer sehr achtsam, dass dem Taxi ein anderes Fahrzeug folgte, aber im fließenden Verkehr der Route 324 verlor er es schnell wieder aus den Augen und dachte nicht länger darüber nach.

      Die genaue Fundstelle Hollers lag in einer stillen, abgelegenen kleinen Einbuchtung im nordwestlichen Teil des Stausees, wohin die Leiche durch die Strömung getrieben worden und erst einige Tage später entdeckt worden war. Trotz des goldenen Herbstwetters schienen nur wenige kleine, schnittige weiße Einhandsegelboote auf dem Stausee unterwegs. Burg Veveří war schon von weit her zu erblicken, sie lag genau in jener Gegend, die für die Ermordung Hollers in Frage kam. Diese konnte irgendwo dort, oder aber im oberen Verlauf der Svratka geschehen sein. Das mochte sicher auch der Polizei bewusst sein, aber Freysing rechnete eher nicht mit diesbezüglich besonderem Enthusiasmus der Ermittler, der sich zunächst einmal auf das nähere persönliche Umfeld des Deutschen aus Prag konzentrierte.

      Freysing überlegte: Wenn er herausfand, wo genau Holler umgebracht worden war, dann ergab sich vielleicht eine Spur, die ihn zu dem Warum führte. Falls es mit dessen geheimdienstlichen Aktivitäten zu tun hatte, lag es nicht im Interesse des BND, dass die tschechische Polizei dies ebenfalls in Erfahrung brachte. Das war es, was Stoessner mit Kümmern Sie sich um Hollers Nachlass meinte, und Sax war eigentlich