Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II


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den Wagen vorzufahren.

      „Wollen Sie mich jetzt verhaften?“, fragte Sax misstrauisch. Die Tschechische Polizei konnte immer noch sehr restriktiv sein, auch wenn die Zeiten von damals vorbei waren. Aber bezüglich des Mordes an Steiner war er immerhin definitiv entlastet.

      „Nein. Aber sie kommen mit. Zum Tatort. Ich möchte, dass Sie sich den Toten ansehen. Vielleicht erkennen Sie ihn ja doch.“

      Als Sie zu der Stelle gelangten, an welcher Steiner erschossen worden war, hatten die Kollegen von Blansko diese bereits weiträumig abgesperrt und die Schaulustigen zurückgedrängt. Diese standen jetzt in größerer Zahl jenseits eines Absperrbandes und versuchten, einen Blick auf die Leiche zu erhaschen, die ihrer direkten Sicht entzogen neben dem Fahrzeug lag und inzwischen mit einer grauen Plane zugedeckt war. Außer den Spurensicherern in ihren Ganzkörperanzügen befanden sich nur wenige weitere Menschen innerhalb des polizeilich gesicherten Bereichs, einer davon war jener Passant, der als erster zu dem Toten hingetreten war und nun einem Beamten in Zivil das wenige sagte, was er beitragen wollte. Dieser machte eifrig über jedes Detail Notizen. Sax warf lediglich einen kurzen Blick auf beide.

      Der Oberinspektor zeigte den Ausweis mit seiner Dienstmarke, um samt Assistent und Freysing unter dem Flatterband hindurch die wenigen Meter bis zu dem Toten zu gelangen. Dort beugte er sich herab und nahm die Plane ein Stück weit beiseite.

      Es sah hässlich aus. Die Kugel war nicht durch den Schädel hindurchgegangen, sondern schien im Inneren explodiert zu sein. Das Gesicht blieb ohne jegliche Verletzung, aber das Hirn war völlig zerstört. Der Tod musste immerhin sofort eingetreten sein.

      „Nein!“, schüttelte Sax den Kopf, während er sich angewidert abwandte. „Der Mann ist mir völlig unbekannt“, log er erneut, ohne dabei rot zu werden.

      Blansko sah ihn beinahe durchdringend an, konnte ihm aber das Gegenteil nicht beweisen. „Na schön.“

      „Und jetzt?“

      „Mein Assistent bringt Sie zur Pension“, sagte der Beamte nachdenklich. „Ich denke, es ist wirklich besser, wenn Sie dieses Land zügig verlassen. Ich glaube zwar nicht, dass sie mit dem Tod von Marius Holler direkt etwas zu tun haben. Aber irgendwie stehen Sie mit der Angelegenheit tiefer in Verbindung. Ihre Anwesenheit ist, so fürchte ich, nicht länger hilfreich für unsere weiteren Ermittlungen.“

      Freysing hatte etwas in dieser Richtung befürchtet, konnte sich aber kaum offen wiedersetzen. Er war in diesem Land lediglich Gast ohne jegliche Befugnis, und wenn die Behörden zu dem Schluss kamen, dass sie ihn hier nicht mehr haben wollten, würde er abreisen müssen, EU und Reisefreiheit hin oder her.

      Der Assistent fuhr ihn allein im Skoda zurück zur Pension. Als er dort sein Zimmer betrat – glücklicherweise ohne seinen Aufpasser, der unten am Eingang wartete – traf ihn fast der Schlag. Seine gesamte Unterkunft war völlig durcheinandergebracht, alles lag wild herum und er stellte sofort fest, dass nicht nur sein eigener IPad verschwunden war, sondern auch der Laptop Hollers. Der doppelte Boden der Aktentasche war offenbar schnell gefunden und fachmännisch aufgeschlitzt worden. Das Fernglas mit dem Chip von Kisci war hingegen noch vorhanden, ebenso wie seine Pistole. Sax ordnete und packte eilig seine herumliegenden Sachen, bis nichts mehr im Zimmer auf die fremde Durchsuchung und den Diebstahl hindeutete.

      Hollers Rechner war bereinigt, und auch um sein eigenes Gerät machte er sich keine besonderen Sorgen. Sobald jemand versuchte, das Passwort zu hacken, würde eine spezielle Säurepatrone im Inneren die Speicherplatte es unbrauchbar machen. In Deutschland konnte er schnell einen neuen erhalten. Aber die Tatsache allein, dass man sich dessen bemächtigt hatte, deutete erneut sehr darauf hin, dass er den Hintergründen bereits nahe war.

      Er ging nachdenklich mit seinem Gepäck hinunter und zahlte an der Rezeption die Rechnung. Weder dort noch gegenüber dem Assistenten Blanskos, der sich leicht ungehalten über die längere Wartezeit für das Packen seines unfreiwilligen Schützlings mokierte, teilte er etwas von den beseitigten Zuständen oder gar den Verlusten mit. Der Mann fuhr ihn zum Flughafen, wo er sorgsam darauf achtete, dass sich Freysing auf den nächsten Flug nach München eincheckte. Dann wünschte er ihm eine Gute Reise und verschwand.

      Freysing wartete eine Viertelstunde, während derer er über verschlüsselte Leitung mittels IPhone kurz mit der Zentrale in Berlin telefonierte und diese auf jene fragwürdige Sicherheitsfirma ansetzte, die Steiner ihm genannt hatte.

      Stoessner am anderen Ende der Verbindung hielt das alles, wie befürchtet, ohne weitere Auskünfte des Informanten für sehr vage, zeigte sich aber äußerst beunruhigt über den weiteren Mord. Der Generalmajor informierte Sax, mit Prag sprechen und alles Notwendige in die Wege leiten zu wollen. Manchmal, so waren sich beide einig, hilft ja ein Stich ins Wespennest. Sax konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Stich bereits längst durch den verblichenen Holler erfolgt sei.

      Nach dem Gespräch deponierte er sein Gepäck in der Aufbewahrung, verließ dann das Flughafengebäude und ließ sich von einem Taxi einmal mehr zur Kollárova bringen. Er war in großer Sorge. Wenn in Brno jemand zuerst den BND-Mann aus Prag und dann dessen Kontakt beseitigte, dann konnte auch Irina in Gefahr sein - falls sie mehr wusste, als sie bislang zugegeben hatte. Davon ging Sax nicht unbedingt aus, obwohl sie sehr eng mit Holler zusammen gewesen war, aber die Gegenseite musste in dieser Beziehung nicht unbedingt zum gleichen Schluss kommen. Um Kisci machte er sich nicht ganz so viele Gedanken.

      Unschlüssig, was er genau mit ihr anstellen sollte, falls er Irina tatsächlich antraf, klingelte er an deren Haustüre, kaum dass das Taxi, welches ihn hergebracht hatte, wieder abgefahren war. Er bekam nicht mit, dass auf derselben Straßenseite, aber ein Stück weiter hinunter, in einem älteren blauen Audi 100 die schwarz behandschuhten Finger einer Person zum Klappfach der Armatur fassten, dieses öffneten, eine Pistole mit Schalldämpfer herausnahmen und sie geschickt schussbereit machten. Dann verschwand die Waffe unter dem leichten Sommermantel, den sie trug, und die Klappe wurde geschlossen.

      Sax drückte abermals auf den Knopf.

      „Wer ist denn da?“, fragte diesmal eine sehr wache Stimme aus der Gegensprech-anlage, während er diesen noch bediente.

      „Ich bin´s. Günter.“

      „Na, Sie kommen gerade recht…“ – gab Irina von sich und drückte die Türe von oben auf, sodass er hineingelangen und die Treppenstufen schnell hochsteigen konnte.

      Die Person im Audi war derweil rasch ausgestiegen, hatte die Wagentür sanft zugedrückt und hetzte den Bürgersteig entlang zur Haustüre, um diese mit einem schweren Schuh gerade noch am Zufallen zu hindern und hiernach in den Hausflur zu gelangen. Irina ließ Freysing oben ein und schloss die Wohnungstür, während sie noch leise zu hören vermeinten, daß die Haustür unten, etwas verspätet, ins Schloss schnappte.

      Der Agent blieb im Rahmen der Tür zum Wohnzimmer stehen und starrte auf die Einrichtung. Die Wohnung der Frau war schon beim letzten Mal unaufgeräumt gewesen, aber wie zuvor in seinem Pensionszimmer, wirkte auch hier jetzt alles extrem durcheinandergebracht. Sogar das erotische Poster hing nicht mehr gerade an der Wand.

      „Ich bin gerade erst heimgekommen, und habe das hier vorgefunden!“, sagte Irina schnell, dabei den Kopf schüttelnd. „Vloupání špína pásy! - verdammte Einbrecherdrecksbanden…“

      „Ich glaube nicht, dass das gewöhnliche Einbrecher waren!“, entgegnete Freysing, aber täschelte der Frau dabei mit einer Hand beruhigend den Oberarm. Er spürte dabei muskulöse Festigkeit, aber wenig besonderen Umfang. An der Wohnungstür waren keine massiven Einbruchspuren sichtbar. Sein geschulter Blick erkannte, dass halbwegs Profis am Werk gewesen sein mussten, die keinen Winkel ausgelassen hatten. Wenn Holler bei Irina irgendetwas verstreckt haben sollte, dann war es von ihnen wahrscheinlich auch gefunden worden.

      „Wenn nicht Einbrecher, wer denn sonst?“, fragte sie, und sie gingen hinein.

      „Diejenigen, die Marius umgebracht haben, sind vielleicht noch für einen weiteren Mord verantwortlich. Und Sie haben auch mein Zimmer in der Pension durchsucht. Diese Leute versuchen, etwas zu finden. Möglicherweise war es ja hier.“