Alexander Schöppner

Sagenbuch der Bayrischen Lande


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aus begrün-

       deter Furcht, von den »studierten Herren« des Aberglaubens

       willen verspottet oder verlacht zu werden.

       So sagen- und märchenreich die Spinnstube ist: in

       dem Augenblicke, wo ein Studierter eintritt, verstummt

       sie. Zum Andern scheint der Gewinn aus Mittheilung

       noch unbekannter lebender Sagen zu hoch

       angeschlagen worden zu sein. Ein großer Theil der

       Sagen findet sich in Zeit- und Reisebüchern, Landesund

       Ortsbeschreibungen, belletristischen, Unterhaltungs-

       und andern Blättern bereits aufgezeichnet, so

       daß es nicht sowohl einer Reise durch das Land, als

       durch die Literatur des Landes bedarf, um eine sehr

       große Anzahl jener Sagen kennen zu lernen. So fand

       ich viele Sagen, welche mir als neue und unbekannte

       warm aus dem Volksmunde mitgetheilt wurden, bereits

       in Schriftquellen aufgezeichnet; daher ich vermute,

       daß die Herausgabe einer bayerischen Sagensammlung

       auch darum hinausgeschoben wurde, weil man

       zuviel von Originalmittheilungen erwartete und

       immer vergebens wartete. Es soll damit nicht im Geringsten

       verkannt werden, welcher Schatz von Sagen

       noch aus dem Volke zu erheben sei; man will nur andeuten,

       auf welchem Wege wenigstens ein Anfang gemacht

       werden konnte. Denn es war eine schöne und

       verdienstliche Arbeit, wenn man einstweilen die g e -

       s c h i c h t l i c h e n Sagen des Landes gesammelt

       hätte. Die Gebrüder Grimm hatten ein Beispiel gege-

       ben. Unter 951 von ihnen gesammelten Sagen find

       schwerlich dreißig nicht aus Schriftquellen geschöpfte.

       Deßgleichen – um etliche Beispiele zu bringen –

       sind die märkischen Sagen von A. K u h n , die preußischen

       von T e t t a u und T e m m e , die deutschen

       von J . W . W o l f beinahe ausschließlich aus

       Schriftquellen gesammelt.

       Den Vorwurf, welcher überhaupt wegen der Aufnahme

       von Sagen aus Chroniken gemacht werden

       könnte, hat bereits T e m m e (die Volkssagen von

       Pommern und Rügen. Berlin, 1840 S. VIII.) zurückgewiesen.

       Nicht der Chronikschreiber hat die Sage erfunden

       und gemacht; sie existirte vielmehr im Volke,

       der Chronikschreiber fand sie schon vor und theilte

       sie nur weiter mit. »Es ist hiernach also die Aufnahme

       der Sage in die Chroniken gerade ein Beweis für ihre

       Echtheit als Sage; denn das Volk hatte sie sich so

       ganz und gar zu eigen gemacht, daß selbst der gelehrte

       Chronikant sie gläubig, als Wahrheit mittheilte.

       Rührte aber auch die Sage wirklich von dem Chronikanten

       als dessen Erfindung her, so würde sie auch

       hierdurch nichts von ihrem Charakter verlieren. Denn

       auch die echteste Volkssage ist, sofern sie nicht einen

       geschichtlichen Boden hat, zuerst von Einem, gläubig

       oder ungläubig, aufgenommen und weiter erzählt, und

       so zur Sage geworden. Ob dieses ursprüngliche Erzählen

       von Einem aus dem Volke oder von einem

       Chronisten ausgegangen ist, bleibt gleichgültig, denn

       die Sage ist nur dadurch geworden, daß das Volk sie

       in sich aufnahm, sie als einen denkwürdigen Theil

       seines Lebens betrachtete, als solchen sie zu seinem

       Eigenthum machte und sie weiter erzählte. Auch das

       läßt dieser Gattung der Volkssagen sich nicht zum

       Vorwurfe machen, daß sie nicht mehr im Volke leben,

       sondern nur noch in den todten Büchern stehen. Es

       genügt, daß sie einmal als Sage des Volks wirklich

       gelebt haben.«

       Haben wir nun seit den Aufrufen von R a d l o f

       und D o c e n auf eine das Königreich Bayern umfassende

       Sagensammlung vergebens gewartet, so ist dagegen

       für einzelne Gebiete und Oertlichkeiten mitunter

       Erhebliches geschehen. Einer der ersten Versuche

       dieser Art waren die S a g e n u n d L e g e n d e n

       d e r B a y e r n in einer Reihenfolge von Romanzen

       und Balladen. Von A d a l b e r t M ü l l e r und

       F r a n z X . M ü l l e r . Regensburg 1833. Die wenigen

       (27) hier mitgetheilten Sagen sind poetisch behandelt

       und gehören nur der Oberpfalz, Ober- und

       Niederbayern an. Auf Quellen wird nicht verwiesen.

       Uebrigens sind die Herausgeber treue Erzähler und

       begabte Dichter, leider – was Süddeutschen oft widerfährt

       –4 nicht der verdienten Beachtung gewürdigt. –

       Ein neuer Versuch wurde in den G e s c h i c h t e n ,

       S a g e n und L e g e n d e n d e s B a y e r l a n d e s

       von B. M e r t e l und G. W i n t e r gemacht. Die

       Herausgeber dieser seit 1845 zu Nürnberg ohne Verlagsangabe

       in vier Bändchen erschienenen Sammlung

       haben die Sagen keineswegs in ihrer Einfachheit und

       Treue belassen, sondern auf unverantwortliche Weise

       umgestaltet, erweitert, in Erzählungen und Novellen

       verwandelt. Das Gleiche geschah in einem früheren

       Buche: B a y e r i s c h e V o l k s s a g e n von H.

       W i l l i n g . Nürnberg 1826. 2 Bdchen., worin von

       »Volkssagen« in der That keine Spur zu finden. Dieser

       Art sind manche der schönsten und gehaltvollsten

       Sagen von unverständigen Schreibern für Unterhaltungsblätter

       bearbeitet, zugestutzt, entstellt und vernichtet

       worden. –

       Nach solchen Verirrungen mußte F . P a n z e r ' s

       B e i t r a g z u r d e u t s c h e n M y t h o l o g i e .

       München 1848. allen Freunden vaterländischer Sagenkunde

       willkommen sein. Der Verfasser hat sich indessen

       nur das Feld der mythischen Sage und auch da

       wieder die Sage von den drei Schwestern zur besonderen

       Aufgabe gesetzt, so daß seine Schrift nicht als

       Sagensammlung von Bayern, sondern als eine Monographie

       zur deutschen Sage, geschöpft aus bayerischen

       Quellen, zu gelten hat. – Außerdem ist mir kein