Alexander Schöppner

Sagenbuch der Bayrischen Lande


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Volk hinausgeht, ist nunmehr allgemein anerkannt,

       auch haben G r i m m in den Kinder- und Hausmärchen,

       V o n b u n in den Vorarlberger, B e c h s t e i n

       in den Fränkischen, H e r r l e i n in den Spessartsagen

       u.A. bereits Proben mundartlicher Erzählung geliefert.

       Mehr als diese bedarf die Aufnahme von S a g e n

       a u s d e m M u n d e d e r D i c h t e r der Rechtfertigung.

       Ich weiß, was die streng wissenschaftlichen

       Herrn davon halten. Sie betrachten die Dichter der

       Sagen wie Tempelräuber und ihre Poesie wie Versündigung

       an der Wahrheit. Daher wissen sie nichts Besseres

       zu thun, als poetisch eingekleidete Sagen, wo

       sie sich vorfinden, in die nackende Prosa aufzulösen.

       Auch hier ist gefehlt worden außer und inner der

       Mauern. Es ist wahr, daß die Dichter der Gegenwart

       nicht selten die Sage verfälscht, ihrer wesentlichen

       Grundzüge beraubt und willkürlich auf einen fremden

       Boden übertragen haben; allein es ist Unrecht, auf

       diese Anschuldigung ein Vorurtheil zu Ungunsten der

       Dichter überhaupt zu gründen. Viele von ihnen haben

       die der Sage schuldige Treue so gut gewahrt, als die

       prosaischen Erzähler. Wem ist es unbekannt, wie unsere

       besten und edelsten Dichter, die A r n i m ,

       B r e n t a n o , C h a m i s s o , E b e r t , G e i b e l ,

       G ö t h e , K e r n e r , P l a t e n , R ü c k e r t ,

       S c h l e g e l , S c h i l l e r , S c h w a b und hundert

       Andere, Sagen der Vorzeit in herrlichen Liedern erneuet

       und dem Volke gleichsam wieder gegeben

       haben? Und daß diese Klänge aus dem Munde der

       Dichter von dem Volke mit Lust vernommen werden,

       beweisen wiederholte Sammlungen derselben von

       A u g u s t N o d n a g e l , J . G ü n t h e r , K a r l

       S i m r o c k u.A., obwohl ich die Einseitigkeit solcher

       Bücher nicht verkenne, weil weder alle Sagen sich

       von Dichtern leidlich bearbeitet finden, noch alle zur

       poetischen Behandlung tauglich erscheinen. – Unter

       den von mir aufgenommenen Gedichten befinden sich

       auch historische Volkslieder älterer Zeit. Die bekannten

       Sammlungen von B ü s c h i n g , G ö r r e s ,

       A r n i m und B r e n t a n o , H o r m a y r , S o l -

       t a u , E r l a c h , W o l f f , K ö r n e r , U h l a n d

       u.A. enthalten noch mehrere, als die hier mitgetheilten;

       allein die Trockenheit und Ausgesponnenheit vieler

       Stücke dieser Art machten eine Beschränkung der

       Auswahl wünschenswerth10. –

       Was den poetischen Werth der aufgenommenen

       Stücke angeht, so werden die Kenner dieser Literatur

       finden, daß ich viele mittelmäßige Sagengedichte oder

       wiederholte Bearbeitungen eines und desselben Stoffes

       ausgeschlossen habe. Wenige minder gelungene

       Gedichte sind um ihres strofflichen Werthes willen

       eingereiht worden. Die vaterländische Schule wird

       vieles für ihre Zwecke, namentlich deutschen Unterricht,

       Dienliches in dieser Sammlung finden; wenigstens

       ist es Zeit, Stoffe für Muttersprachübungen

       mehr im Bereiche der Heimat als in Hindostan und

       China, in Lappland und Sibirien zu suchen. Dabei

       will ich mich aber ausdrücklich gegen die Zumutung

       verwahren, als ob dieses Buch u n m i t t e l b a r für

       die Jugend bestimmt sei.

       5. Abgrenzung und Anordnung.

       Das Feld der Sage berührt in weiter, unsteter Begrenzung

       die Geschichte, Legende, Poesie, selbst die Naturwissenschaft.

       Ihr Begriff ist ein unbestimmter,

       mehr durch stillschweigendes Übereinkommen, als

       scharfe Definition festgestellter, daher man in verschiedenen

       Büchern den Umfang des Sagengebietes

       verschieden bezeichnet findet. Ich bemerke hier ausdrücklich,

       was ich Mehr oder Weniger als Andere

       aufgenommen habe. Einmal wurden (nach dem Vorgange

       der G r i m m , deutsche Sagen II. S. XII.) diejenigen

       größeren H e l d e n s a g e n ausgeschlossen,

       welche im eigenen und lebendigen Umfang ihrer

       Dichtung auf unsere Zeit gekommen sind. Alsdann

       waren der L e g e n d e (Heiligen- und Wundersage)

       gegenüber enge Schranken zu ziehen, weil ihr Begriff

       ein so schwanker ist, daß sich Verbürgtes und Unverbürgtes,

       Geschichtliches und Sagenhaftes darin berührt.

       Uebrigens haben die meisten Sagensammler gerade

       dieses Gebiet auffallend vernachläßigt. Was

       A v e n t i n (ann. l. III. p. 363 Ingolst. 1554) über

       die Menge und häufige Wiederholung legendenartiger

       Sagen bemerkt, gibt dem Forscher einen Wink zur

       Behutsamkeit11. Ich stellte an die Mehrzahl d i e s e r

       Sagen zur Aufnahme in diese Sammlung die Forde-

       rung, daß Etwas wirklich vom Volke gesagt, nicht

       bloß in einer Schrift behauptet worden. Noch bemerke

       ich gegen unverständige Folgerungen aus der Aufnahme

       von Legenden, daß ein S a g e n buch kein

       L ü g e n buch ist.

       Schwierig, in vielen Fällen unmöglich war es, eine

       scharfe Grenzlinie zwischen Geschichte und Sage zu

       ziehen. Die Sage ist oft nichts Anderes, als die neben

       der urkundlichen Geschichte bestehende mündliche

       Ueberlieferung. Ich habe mich beflissen, beide Gebiete

       auseinander zu halten, nur einige Ausnahmen sind

       mit historischen Gedichten gemacht. Es gibt nämlich

       gewisse romantische und ritterliche Ereignisse vaterländischer

       Vorzeit, welche gleich Sagen im Munde

       des Volkes leben, auch von den Dichtern besungen

       worden. Ich weiß keinen schicklicheren Ort für Mittheilung

       derselben, als ein Sagenbuch. N o d n a g e l ,

       G ü n t h e r , S i m r o c k haben vor mir das Gleiche

       gethan. Mit ihnen will ich Recht oder Unrecht haben.

       Auch die G e b r ä u c h e und S i t t e n stehen in

       naher Beziehung zur Sagenwelt. Ich höre,