Alexander Schöppner

Sagenbuch der Bayrischen Lande


Скачать книгу

dieser Schätze um so mehr, als die alte

       Zeit und mit ihr die alte Sage gleich einer schwindenden

       Burg hinabsinkt und ein Stein um den andern sich

       ablöst. Wo vollends Heerstraßen und Eisenbahnen die

       Landstriche, vorab der Ebene, durchziehen, ist die

       Sage gar merklich im Abnehmen begriffen. Denn hier

       hat die Aftercultur tabula rasa gemacht und mit dem

       Aberglauben die Poesie verscheucht, also daß keine

       Zeit zu verlieren, der enteilenden nachzugehen, weil

       binnen Kurzem vielleicht der eifrigste Forscher »anstatt

       der Rosen nur mehr dürre Halmen und stachlichte

       Hagenbutten findet.«7

       Von diesem Gedanken beseelt ging ich daran, ein

       Sagenbuch von Bayern herauszugeben, ohne mir je

       träumen zu lassen, durch meine Sammlung fernere

       Arbeiten überflüssig zu machen, im Gegentheil von

       dem Wunsche erfüllt, dadurch weitere Forschungen

       anzuregen und so erschöpfende Monographieen als

       die von H e r r l e i n und B e c h s t e i n , für alle

       Theile des Landes hervorzurufen. Zunächst war die

       Frage nach meinem Leserkreise zu erledigen. Etliche

       Sagenforscher hatten die Gelehrten, etliche das Volk,

       etliche Beide zugleich vor Augen. Mir schien es vor

       Allem ein verdienstliches Unternehmen, d e m

       V o l k e den Sagenschatz des Vaterlandes in die

       Hand zu geben. Das ist der Standpunkt, von welchem

       aus diese Sammlung erwachsen ist. Denn wie die

       Sage ein treuer Spiegel ist, in welchem sich des Volkes

       innerstes Sinnen und Leben, Glauben und Lieben

       offenbart, so hat die Sage hinwiederum für das Volk

       unverkennbaren ethischen Werth, denn sie erfreut, erhebt

       und rührt nicht nur die Gemüter, sondern lehret,

       warnet, tröstet durch die Macht des Beispiels und der

       überall in starken Zügen hervortretenden göttlichen

       Gerechtigkeit8. Die Sage ist die eigentliche und echte

       Volkspoesie. Diese neben dem religiösen Glauben hat

       eine viel höhere Bedeutung für die Veredlung und Sittigung

       des Volkes, als Leute, welche neuerdings über

       die Abhilfe der Nothstände des Volkes geschrieben,

       vermuteten. In dem Grade als trostlose Afterbildung

       und sogenannte Aufklärung das Volk seines Gemütsund

       Gefühllebens beraubte, hat der Materialismus,

       die Ungenügsamkeit und die Unseligkeit zugenommen.

       Die Aufgabe der Lehrer und Erzieher des Volkes

       wird es sein, gegenüber dürrer Verstandescultur und

       einseitiger Unterrichterei mit allen Mitteln auf die Bewahrung

       eines der Natur des Volkes gemäßen edlen

       Gemütslebens hinzuwirken. Wie das geschehen

       könne, mag an anderem Ort entwickelt werden: hier

       genüge die Bemerkung, daß die Beachtung ureigener

       Sitte und alten Herkommens, die Bewahrung heimatlicher

       Geschichte und Sage in örtlicher Beschränktheit,

       kein unbedeutendes Moment wahrhafter Volksbildung

       ist, wie das vor mehr als dreißig Jahren die

       Brüder G r i m m angedeutet haben, wenn sie die

       »deutschen Sagen« mit den Worten einleiten: »Es

       wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter

       Engel beigegeben, der ihn, wann er in's Leben auszieht,

       unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden

       begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch

       widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die

       Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener

       verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche

       Gut der Märchen, Sagen und Geschichte,

       welche nebeneinander stehen und uns nach einander

       die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist

       nahe zu bringen streben.«9

       Dieser erklärten Hauptrücksicht meines Sagenbuches

       auf einen größeren Leserkreis aus dem Volke widerstreitet

       die wissenschaftliche Rücksicht so wenig,

       daß ich nur auf G r i m m ' s Sammlung oder zehn andere

       hinweisen darf, um den augenscheinlichen Be-

       weis zu liefern, wie gut sich jene beiderseitigen Anforderungen

       vereinigen lassen.

       Demgemäß blieb vergleichende Sagenforschung

       zur Gewinnung wissenschaftlicher Resultate von meinem

       Vorhaben ausgeschlossen. Es sollte vorerst das

       Materiale gesammelt und vermehrt, eine Art Codex

       vaterländischer Sage aufgestellt, Zwecke der Forschung

       aber nicht a b gewiesen, sondern nur auf andere

       Zeit und Gelegenheit v e r wiesen werden. Darum

       enthielt ich mich alles Hervorhebens verwandtschaftlicher

       Beziehungen der Sagen, so nah es oft lag, weil

       außerdem die Sammlung einen ganz veränderten Charakter

       annehmen mußte.

       4. Darstellung der Sagen.

       Wie schon angedeutet, enthält dieses Sagenbuch keine

       romantisch umgekleideten Sagen nach Art der Märchen

       von B e n e d i k t e N a u b e r t , T i e k ,

       F o u q u é und Anderen. Das Erste und Heiligste war

       mir T r e u e und W a h r h e i t . Ich habe mit Sorgfalt

       und Mühe der Ursprünglichkeit und Echtheit vieler

       Sagen nachgestrebt und Verdächtiges ferngehalten.

       Aus solcher Rücksicht auf Treue geschah es, daß in

       den meisten Fällen die Sagen mitgetheilt wurden, wie

       sie gegeben waren, mit der eigenen Ausdrucks- ja

       Schreibweise der Erzähler, wo diese nicht allzugrell

       von der üblichen abwich. Es schien auch tadelhafter,

       Alles über Einen Leisten geschlagen, als stylistisches

       Mosaik geliefert zu haben. Zuweilen ist die schlichte,

       einfältige, kindliche Sprache der alten Zeitbücher beibehalten

       worden; zuweilen hat sich die Mundart vernehmen

       lassen, ich hoffe nur zum Vortheil der Sage,

       deren heimischer und örtlicher Charakter dadurch bestimmter

       und lebendiger hervortritt. Die Bedeutung

       der Mundart für Sprachgeschichte und Sprachcultur

       und demnach für jedes