Hubert Wudtke

Geschichte des Elbdorfes Rissen


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durch das Kirchenjahr geprägt – Rissen ist um 1600 ein ruhiges Dorf in ruhiger Zeit. Ist es das?

      Das nächste Jahrhundert wird für die Grafschaft Holstein große Veränderungen und manche Unruhe bringen. Die europäischen Herrscher verfolgen seit dem Beginn der Moderne verschärft nationale Großmachtpolitiken, führen lang andauernde Erbfolgekriege, nehmen Partei in den Religionskriegen, müssen Revolten (Böhmen) und Befreiungskriege (Niederlande gegen Spanien) hinnehmen und fahren zu Beutezügen über die Weltmeere. Diese Kämpfe und Eroberungen bleiben für die Grafschaft Holstein im 16. Jahrhundert noch Hintergrundsmusik, aber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ändert sich die politische Gesamtlage.

      Turbulenzen in der Grafschaft Pinneberg – 1616 – 1622

      Seit 1616 wird die Grafschaft Pinneberg durch die Großmachtpolitik des Dänenkönigs Christian IV, der Anspruch auf die Herrschaft Pinneberg erhebt, in Turbulenzen gestürzt.

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       König von Dänemark: Christian IV – (1643 Karl von Mander)

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       König von Dänemark: Christian IV – (1625 Pieter Isaacsz)

      Der deutsche Kaiser Ferdinand II bestätigt zwar Graf Ernst III zu Holstein in seinen Rechten, kann ihm aber militärisch nicht zu Hilfe kommen, als Christian IV seine Soldaten in die Grafschaft Pinneberg einrücken lässt.

      Die Einquartierung der Soldaten führt dabei zu Drangsalierungen der Bevölkerung, wie ein amtliches Protokoll nach ihrem Rückzug für Wedel festhält.

      Johan Ladigs sagt aus, dass „sie ihn, seine Frau und Kinder auß dem Haus gejagt. Auch seinen Vatter der 100 weniger 4 Jahre alt, auf sein Bett gezogen und ihm etliche Streiche mit der bloßen Wehr über den Kopf gegeben“ Steffen Beermann wurde von den „Soldaten gahr jemmerlich geschlagen das er schier in seinem eigenen Bludt ersticken müssen“. Hans Röttkers Wittwe gibt zu Protokoll, „dass sie, obwohl ihr Mann schwer erkrankt war, den Cornet Burleben mit 6 Personen und 7 Pferden habe ins Quartier nehmen müssen. Hans Roettker ist wegen des vielen Getümmels und Blasens während der Einquartierung gestorben. 522 Reichsthaler seien ihr an Kosten für die Einquartierung entstanden. Der Cornet gab der Wittwe die Zusage, dass ihr die Kosten erstattet würden. Beim Verlassen des Quartiers gab er ihr 11 Thaler, bevor er davonritt“.

      Für zwei Taler (große Silbermünzen) bekam man zwei Scheffel Korn (ca. 100-150 Liter), der Jahreslohn für eine Köchin betrug 10 Taler, für einen Diener 24 Taler; ein Ratsherr in den Städten verdiente allerdings 1.200 Taler. Ob Soldaten auch in Rissen Quartier genommen haben, können wir nicht sagen. Erst 1622 kann Graf Ernst durch erhebliche Zahlungen an den dänischen König die Besetzung beenden.

      Schiffsexplosion vor Wittenbergen 1622: Waffenschmuggel

      Ein weiterer europäischer Krisenherd führt zu einem spektakulären Ereignis genau vor Rissens Haustür. Am 2. Juli 1622 zwischen sechs und sieben Uhr morgens fliegt vor Wittenbergen „ein Waffenschmuggler auf dem Wege nach Cadiz mit vielen Menschen an Bord in die Luft“ (Vitrinentext: Museum für Hamburgische Geschichte).

      Beim Ausbaggern der Elbe 1976 nah dem Unterfeuer Wittenbergen werden Wrackteile zweier Schiffe gefunden. Hier interessieren nur die älteren Wrackteile eines 30 m langen Schiffes – gebaut um 1600 – und die umfangreichen Reste seiner Ladung. Es werden eine größere Anzahl von Musketen, Pistolen, (geladenen) Kanonen, Stichwaffen, Zinnbarren, 80 Tonnen Rohkupfer und markierte Kupferplatten aus der Slowakei – bestimmt für die spanische Münze – gehoben (Museum für Hamburgische Geschichte: Bracker 1984). Ein Schiff von dieser Größe (30 m; 200 Last) konnte damals nicht nach Hamburg hineinfahren und ist wahrscheinlich in Neumühlen beladen worden – beobachtet von getarnten niederländischen Kampfschiffen?

      Seit 1568 kämpfen die niederländischen Provinzen gegen die spanische Monarchie und die katholische Inquisition einen 80 Jahre andauernden Befreiungskampf. Die Niederländer vernichten 1607 die Reste der spanischen Armada, verhängen Blockaden und kapern auf allen Meeren und Flüssen spanische Schiffe. 1628 kapern sie die spanische Silberflotte vor Kuba. Mit dem erbeuteten Silber im Wert von 15 Millionen Gulden können sie nun leicht den Krieg gegen Spanien finanzieren und ausweiten.

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       Schiffsexplosion vor Wittenbergen (eine Montage)

      Ob der Wittenbergener Blockadebrecher durch einen Unfall, durch Sabotage oder durch Beschuss niederländischer Kaperschiffe (Ausliegerschiffe) zur Explosion gebracht worden ist, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.

      Rissen und der 30jährige Krieg

      Der Ausbruch der Religionskriege 1618 in Süddeutschland und Böhmen wirkt sich bis 1625 nicht auf die Grafschaften Holstein, Schleswig und das Königreich Dänemark aus, diese erleben eine wirtschaftliche Hochphase.

      Aber 1625 tritt Christian IV. von Dänemark – unterdes gewählter Kriegsoberst des Niedersächsischen Kreises – in den Krieg ein, um säkularisierten Kirchenbesitz südlich der Elbe zu erwerben und Dänemark weiter zu einer Großmacht zu entwickeln. Aber nach seiner Niederlage 1626 bei Lutter am Barenberg (Vorharz) ziehen nun die Heere Wallensteins und Tillys über die Elbe und belagern die Festungen von Glückstadt, Krempe und Pinneberg in der Absicht ganz Jütland zu besetzen. Tilly wird bei der Belagerung von Pinneberg verletzt, scheidet aus den Kämpfen aus, und Wallenstein gelingt kein durchgreifender Erfolg, denn ohne Schiffe kann er die dänischen Inseln nicht besetzen. In dieser Zeit wird in den Marschen die Hatzburg zerstört.

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       Wallenstein

      1629 endet dieser Teilkrieg im Norden. Christian verzichtet im Frieden von Lübeck auf seine niedersächsischen Gebiete, und Wallensteins Heere ziehen sich wieder über die Elbe zurück. Häufig wird von großen Zerstörungen und großem Leid der Bevölkerung gesprochen. In Süd- und Ostdeutschland führen Krieg und Seuchen zu einer ökonomischen Verelendung und einem Bevölkerungsverlust von über 40%.

      In der nächsten Folge werden wir über die Folgen des Krieges für Rissen und Umgebung berichten und werden klären, warum Christian IV doch noch Graf von Holstein wird und Rissen ein dänisches Dorf.

      Rissen und Umgebung: die Kriegsfolgen

      Der von Christian IV in die Grafschaft Holstein importierte Religionskrieg bewirkt, dass drei Jahre lang die durch- und abziehenden Truppen „aus dem Land gelebt“ haben. Belege aber für größere Verwüstungen in Rissen und in der nahen Umgebung finden wir nicht. Die Steuerlisten für Rissen von 1633 zeigen klar, dass die Zahl der Hufner (24) nicht abgenommen hat und die Bauern ihre Grundsteuern und ihren „Zehnten“ bezahlen konnten.

      In Rissen soll ein Hof zerstört worden sein. Für den Nachbarort Sülldorf schreibt Schröder 1986 kurz und bündig: „Im Dreißigjährigen Krieg hat es keine Verwüstung in Sülldorf gegeben“. Für Wedel haben wir zwei Hausverkäufe gefunden, bei denen die Verkäufer die Belastungen durch „das leidige Kriegswesen“ (1. Mai 1633: Detleff Gerdeß) als Grund für den Hausverkauf angeben. Hanß Ladigsen aus der Mühlenstraße zu Wedell führt noch genauer aus, dass er sein Haus verkauft, weil er Geld braucht, weil ihm „durch die continuierende kriges pressuren, fast biß uff den untersten grad, außgesogen undt erschöfft worden, gleich woll aber zu dieser Zeit geldeß bedurffigth, undt sonsten nicht zu rathen gewust“ (16. April 1633).

      Nach Abzug der Truppen erholt sich das Land, die Agrarwirtschaft floriert wieder, und