Hubert Wudtke

Geschichte des Elbdorfes Rissen


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      Rissen wird für 224 Jahre ein dänisches Dorf

      Nur 18 Jahre nach dem gewaltsamen Eindringen dänischer Soldaten in die Grafschaft stirbt 1640 der letzte Schauenburger Graf Otto VI., und Christian IV von Dänemark wird der legitime Erbnehmer von Holstein, und Rissen wird ein dänisches Dorf. Die Einwohner Rissens wird das nicht sonderlich irritiert haben. Deutsch bleibt die Umgangs- und Verwaltungssprache, und die Männer werden nun eben dänische Dragoner oder Husaren.

      Zudem ist Christian IV als Herzog von Schleswig und Holstein Mitglied des Deutschen Reichstages, aber er verfolgt eine ganz eigene dänische Machtpolitik im Ostseeraum gegen Schweden und auf der Elbe gegen Hamburg. Er baut das 1617 von ihm gegründete Glückstadt als Konkurrenzhafen gegen Hamburg aus und verspricht sich hohe Zolleinnahmen auf der Elbe, wie er schon als Herrscher über den Öresund sehr zum Ärgernis der Schweden und Russen hohe Zolleinnahmen aus dem Nord-Ostsee-Verkehr verbucht, und er braucht nach seinen Kriegsabenteuern dringend neues Geld.

      Aber Hamburg ist – obwohl holsteinische Landstadt – nicht bereit, sich Christian freiwillig zu unterwerfen. Hamburg verweigert dem König die Erbhuldigung, anerkennt ihn nur als Grafen von Holstein und lässt sich 1628 vom Kaiser Privilegien ausstellen: Ohne Hamburger Erlaubnis darf niemand Befestigungen an der Elbe errichten, niemand Elbzoll erheben und niemand Kriegsschiffe auf der Elbe stationieren.

      Als Christian dennoch Zoll erhebt, kapert Hamburg 1630 in einem nächtlichen Handstreich dänische Schiffe vor Glückstadt, unterliegt aber in den folgenden Auseinandersetzungen der dänischen Kriegsflotte bei Scharhörn. Der Elbzoll bringt kurzfristig der dänischen Krone 80.000 Reichstaler pro Jahr. Aber Christians Großmachtpolitik bringt auch den Krieg nach Holstein zurück, denn die Schweden beginnen sich 1643 gegen Dänemarks Vormachtstellung zu wehren, und schwedische Truppen erobern noch im selben Jahr ganz Jütland und verwüsten in der Nachbarschaft Elmshorn (1643).

      Der Machtkampf mit Schweden führt das ganze 17. und frühe 18. Jahrhundert hindurch zu einer Kette Schwedisch-Dänischer Kriege mit bisweilen erheblichen Verwüstungen in der nahen Umgebung von Rissen. 1657 kommt es zu einer zweiten Verwüstung von Elmshorn und 1713 zum berüchtigten Schwedenbrand in Altona.

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       Altona – Schwedenbrand

      Leben in Rissen nach dem großen Kriege

      Rissen liegt also in einer politisch unruhigen Region, seine verdeckte Lage auf dem Elbhöhenufer zwischen Mooren und Dünen hat aber immer auch als Schutz gewirkt; als Schutz natürlich auch gegen die immer wiederkehrenden Sturmfluten auf der Elbe. Ob aber Wittenbergen in der schweren Sturmflut von 1627 (Allerheiligenflut) mit großen Schäden in der Haseldorfer Marsch, oder in der Fastenabendsflut von1648 mit ihren verheerenden Stürmen, Schaden genommen hat, wissen wir nicht.

      Gefahren drohen auch noch aus einer anderen Richtung. Im Jahr 1628 sterben im nahen Altona pro Woche 140 Menschen an der Pest und in den Jahren 1657 – 1660 innerhalb von zwei Monaten im 4 km entfernten Wedel 150 Menschen. Bleibt Rissen von dieser Seuche verschont?

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       Pestarzt

      Das Taufregister von Nienstedten erzählt uns, dass wenige Jahrzehnte nach dem Kriege und trotz der Seuchen die Rissener zuversichtlich in die Zukunft hineinleben. In den Jahren von 1660 -1698 werden in 53 Familien (40 in Rissen) mindestens 218 Kinder geboren, im Schnitt also 4 Kinder pro Familie.

      Anna und Jochim Wyntapper aus Rissen haben 10 Kinder. 8 Kinder haben die Familien Blome und Minnermann, 7 die Familien Beermann, Biesterfeld, Ramke und Schulte – alle aus Rissen. 9 Familien wohnen in Tinsdahl – Körner, Ladiges, Lüdemann, Martens, Meyer, Meynen, Ramke, 2 mal Witte - und 4 Familien in Wittenbergen – Hadler, Düring, Schulte, Treppenhauer.

      Die erste Schule – vor 1700?

      Das Gründungsdatum einer ersten Schule in Rissen ist nicht bekannt, aber es muss wohl schon vor 1700 eine Schule gegeben haben, denn bereits aus dem Jahre 1711 liegt uns eine Beschwerde Rissener Bauern beim Landdrosten in Pinneberg über ihren Dorfschullehrer vor, der trotz freiwilliger Gaben an „Rogkorn, Torf und dergleichen“ nicht zufrieden war, sondern noch „unbilliges Schulgeld von Kindern forderte, die nur vier Jahre alt seyen, auch von die, die krank geworden und deßfalls lange Zeit nicht zur Schule kommen können... Daß er im Lehren nichts nütze und gantz nachlässig ist“ (Bredlau RR 1989).

      1757 folgt eine Beschwerde des Lehrers aus Rissen beim Landdrosten über den Zustand der Schule: „Vor Alter und Baufelligkeit kann man nicht mehr sicher über die Diele gehen, weil thüren und wende zerbrochen. Es ist kein Platz in demselben, wo man sich mehr hinsetzen vor Millionen Wantzen, welche sich in diese alte Hütte aufhalten, davon mancher Schweinestall wohl befreit“ (ebenda). Diese Schulkate wird wohl schon einige Jahrzehnte auf ihrem Buckel gehabt haben.

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       alte Schulkate von 1752 – 1968 abgerissen

      Eine neue Schulkate mit einem Schulzimmer von 37,5 qm wird (Ecke Gudrun- / Wedeler Landstraße) gebaut und dient bis 1875 als Unterrichtsstätte. Wir haben schon für die Jahre 1660-1698 dargelegt, dass in Rissen ca. 218 Kinder geboren wurden. Man kann also ungefähr von jährlich 40 Schulkindern im Alter von 6-14 Jahren ausgehen.

      Schule der Alphabetisierung

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       Comenius: orbis pictus – lebendiges Alphabet 1658

      Schulen für das Volk kommen auf den Weg, weil die Schrift und der Buchdruck schon ganz tief in alle Bereiche des Alltags- und Arbeitslebens eingedrungen sind. Die Schrift stützt und erweitert das individuelle Gedächtnis und dringt in Form von Rechnungen, Steuerlisten, Kalendern, Urkunden, Schuldscheinen, Flugblättern, Kirchenliedern und Unterschriften in die Seele, in den Kopf, in die Hand. Zudem gilt seit der Reformation: Jeder soll die Bibel selber lesen können!!

      Die Schriftsprache verändert und dressiert die Maulsprache zum Schrifthochdeutsch. Es genügen weniger als 30 Alphabetzeichen um alles aufschreiben und alles erlesen zu können. Aber es ist eine neue und ganz ungewohnte Kunst, seine Maulsprache anzuhalten, abzuhorchen, einzelne Laute zu isolieren und diesen Buchstaben zuzuordnen, zumal den Kindern ihre vertraute Maulsprache erst noch im Maul ins Hochdeutsche umgeformt werden musste. Die Schule arbeitete dabei mit allerlei Tricks, wie man es am „lebendigen Alphabet“ in einem der ältesten Schulbücher Deutschlands erkennen kann. Selbst die Tiere müssen im Dienste der Alphabetisierung schrifthochdeutsch blöcken, knurren, quacken und summen: „die Krähe krechzet a a = Aa, das Schaf blöcket beee = Bb... die Bremse summet ds, ds =Z,z.

      Das einstige Spezialkönnen der Priester, Mönche und Schreibmeister wird über die Elementarschulen zum Können von jedermann – ein Prozess, der erst nach Jahrhunderten an sein Ziel kommt. Ungefähr um 1900 kann in Deutschland auf Alltagsniveau praktisch jeder lesen, schreiben und rechnen.

      Die ersten Lehrer in Rissen – 1650?

      Hat es vielleicht vor einer ersten Schule schon einen ersten Lehrer in Rissen gegeben? Ist Christopher Otte verheiratet mit Anna Maria der erste Lehrer im Dorf gewesen? Die Nienstedter Kirchenbücher halten fest, dass dem Schneider und Schulmeister Christopher Otte aus Rissen am 11.11.1660 Tochter Anna Hedwig und am 19.01.1664 Sohn Johan geboren werden. Hat Rissen gar schon 1660 eine Schule gehabt?

      Es ist bekannt, dass nach Ausrufen der Schulpflicht Elementarschullehrer einen anderen Erstberuf und noch keine besondere Ausbildung hatten. Lehrerseminare gibt es in Holstein erst ab 1781. Für