Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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und dass das Ganze dann noch viel besser geworden wäre. So viel besser, dass euch im Vergleich dazu das wirklich Geschehene erbärmlich vorkommt. Und jetzt? Könnt ihr wieder umkehren? Macht euch noch mal jemand auf? Nein? Ihr wisst es nicht, denn ihr traut euch bestimmt nicht, eine Rückkehr zu versuchen.

      Das habe ich euch voraus.

      Die Stadt bei den Flüssen, 1. Kapitel

      

      Adam Bocca war ein freundlicher junger Mann von neunzehn Jahren und deshalb sehr überrascht, als er an einem warmen Samstagnachmittag im strahlenden Juni am grünen Ufer der Kirna ordentlich eine aufs Maul bekam. Na gut, ich selber bekam auch einen Riesenschreck, weil alles so schnell ging, dass ich Adam gerade noch auffangen konnte, als er rücklings auf die beiden Mädchen auf der Strandmatte zu stolpern drohte. Und das hätte den Typ, der plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war, sicher noch viel wütender gemacht. Auf einmal war der Typ da, packte Adam an der linken Schulter, drehte den verdutzten Jungen herum und pfefferte ihm eine schallende Backpfeife, dass es nur so klatschte. Das wäre vielleicht der richtige Moment gewesen, uns schleunigst vom Acker zu machen, aber Adam war mutig genug – vielleicht auch schon zu selig angetrunken –, den Ernst der Lage zu verkennen und vor den beiden jungen Damen statt der schmählichen Flucht den aufrechten Widerstand auszuprobieren. Leider blieb es beim Versuch. „Hör mal, Mann…“ sagte Adam mit leicht verwaschener Aussprache, aber der Typ war offensichtlich nicht heran gerauscht um uns irgendwie zuzuhören. Statt Worte zu wechseln, wollte er lieber gleich Taten sprechen lassen. Der Typ schwang einen einwandfreien rechten Haken, mit dem er Adam am Kinn traf.

      Unser guter, argloser Adam! Glück für ihn, dass er wohl wirklich überrascht und auch nicht wenig empört, aber auf gar keinen Fall in Kampfeslaune war. Denn so blieb er ganz locker, und sein Kopf klappte ohne größeren Widerstand nach hinten, wie bei einem Kuscheltier, mit dem man Fußball spielt. Erst jetzt erwachte ich aus einem tranceartigen Zustand der Benommenheit und war in der Lage, Adam aus den Klauen dieses prügelsüchtigen Berserkers zu befreien. Ich hatte schon die üble Ahnung, Adam könnte es mit einer weiteren Probe seiner unwiderstehlichen Verbaldiplomatie versuchen, denn nachdem er sich den Kopf zurecht geschüttelt hatte, machte er den Mund auf. Der Kinnhaken musste ihm aber doch mehr zugesetzt haben, als ich auf den ersten Blick erkannt hatte. Anstatt noch etwas zu sagen, taumelte Adam ein, zwei Schritte rückwärts, so dass das blonde Mädchen gerade noch den Fuß zurückziehen konnte. Nicht auszudenken, wenn Adam der Liebsten dieses Kinnhaken-Bronkos auch noch auf den Fuß gelatscht wäre! Um das zu verhindern und Adams Rückwärtsgang zu stoppen, machte ich einen Ausfallschritt, packte ihn bei beiden Schultern und zerrte ihn flink aus der Gefahrenzone.

      Adam ließ sich bereitwillig wegziehen und ging dann ohne Anstalten mit mir weg, ohne sich auch nur einmal nach dem Typen und seinen beiden Damen umzuschauen. Ich behielt den Gorilla natürlich gut im Auge, indem ich mich auf unserem Abzug (um das klarzustellen: gerannt sind wird nicht) immer wieder nach ihm umdrehte. Aber da war die Gefahr schon gebannt, der Typ warf uns nur einen kurzen bösen Blick hinterher und ein seinem begrenzten Esprit angemessenes „Verpisst euch, ihr Säcke!“, dann widmete er sich seinem freigeboxten Zwei-Personen-Harem. Das blonde Mädchen versuchte ihn wohl auch irgendwie zu beruhigen mit „Hey, Freddy, ist gut jetzt“, sowas in der Art, aber genau habe ich es nicht verstanden. So, so, Freddy, der Rächer der angebaggerten Flussufer-Schönheiten, dachte ich mir. Vielleicht hatte unsere Musiklehrerin doch recht gehabt, als sie uns mit klassischen U2-Songs quälte, denn da heißt es doch wohl sinngemäß, dass jede Schönheit einmal mit einem Idioten ausgehen muss. Kaum zu glauben, dass unser schulischer Bildungskanon solche Perlen der Weisheit bereit hält.

      Schließlich bogen Adam und ich auf unserem Weg zum Kiosk des „Goldenen Erpels“ – dem besten Platz in ganz Kys, um sich beim Sonnenbad am Ufer der Kirna mit frischen Kaltgetränken zu versorgen – um die Ecke. Ich hatte Gelegenheit, meinen auf der Balz misshandelten Kumpan näher zu begutachten. Adam hatte Dusel gehabt, seine linke Backe leuchtete von der Backpfeife zwar in lebensbejahendem Rot und auf derselben Seite schien mir sein Kinn ein wenig geschwollen. Aber er blutete nicht und auch sein Kiefer und seine Zähne waren noch ganz und in einem Stück. Und hey, ehrlich, mehr als mich schnell mit Adam vom Acker zu machen hätte ich echt nicht tun können. Gut, zugegeben, ich hätte ihn überreden können, die beiden Mädchen auf ihrer Bast-Strandmatte erst gar nicht anzusprechen.

      Ich meine, es war ein toller Tag. Wir saßen mit Carlo und den Jungs am Fluss und als nach einem guten Stündchen Faulenzen und dummes Zeug Quatschen unsere Erstausstattung an Reisbier leer gewesen war, hatten Adam und ich von jedem einen Obolus eingesammelt und uns auf den Weg zum Kiosk gemacht, um Nachschub zu holen. Am oberen Ende des Strandbades, da wo die von frisch gemähtem Rasen herrlich duftende Böschung an die Platanenallee grenzte, hatte Adam mich am Unterarm gepackt und mir – bevor ich mich überhaupt erschrecken konnte – zugeraunt „Wow, schau mal!“ Das war ja nun für einen jungen Mann, gerade verzaubert vom Anblick eines hübschen Mädchens, eine ziemlich anständige Ausdrucksweise. Ich hatte erstmal nach einem Eisstand oder einem tollen Auto oder sowas in der Art Ausschau gehalten. Aber Adams Klammergriff hatte sich einfach nicht gelöst und er hatte mich nach links gezerrt. Es muss der Augenblick gewesen sein, in dem das schwarzhaarige Mädchen sich vom Bauch auf ihre rechte Seite drehte, genau die Sekunde, in der mein Blick von ihr gefangen genommen wurde. Adam hatte mich zur Standmatte der beiden gesteuert. Ich hatte zu ihm vielleicht noch etwas in der Art wie „Ähm, was ist den jetzt mit dem Bier“ oder so gesagt, genau weiß ich das nicht mehr; jedenfalls habe ich nicht versucht, mich von ihm loszureißen. Er hätte mich auch gar nicht zur Strandmatte führen müssen, denn ich war mindestens genauso stark und magisch von den beiden Mädchen angezogen wie er.

      Zum Glück hatte er mich wenigstens losgelassen, als wir direkt vor den beiden Mädchen standen, und er zu der Blonden gesagt hatte: „Hallo, ich bin… hier, also… mit meinen Freunden,… bin ich hier. Und ihr?“ Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob ich Adams sensationelle Anmache bewunderte oder seine Dummheit beklagte, die Schwarzhaarige zu übersehen und an der Blonden hängenzubleiben. Wahrscheinlicher ist, dass ich einen herrlichen Augenblick lang gar nichts dachte. Während Adam das blonde Mädchen angesprochen hatte, war ich in eine Art wunderbare Schockstarre beim Anblick ihrer schwarzhaarigen Freundin gefallen.

      Was für wunderbare Haare, langes schwarzes, fast bläulich schimmerndes Haar, sie trug es offen und es fiel ihr auf ihre Schultern, die so schön waren, so ebenmäßig und wohlproportioniert, dass mir der Anblick fast weh tat. Ihre Haut hatte einen dunklen, südländischen Teint mit einem Stich ins Olivgrüne, der vollkommen mit dem Blauschwarz ihres Haars harmonierte. Und ihr Gesicht! Ich will gar nicht erst versuchen, ihre seltsam tiefblauen Augen zu rühmen, ihre kerzengerade Nase, die in ungeschminkter Schönheit strahlende Röte ihrer Lippen oder den sanften Schwung ihrer Augenbrauen, die in einer Linie mit ihren Wangenknochen geschaffen schienen. Mir fehlt bestimmt die Gabe, der Schönheit ihres Gesichts gerecht zu werden, aber ich konnte, als ich da vor ihr stand, drei oder vier Armlängen von ihr entfernt, meinen Blick einfach nicht davon abwenden. Und das, obwohl sie einen Bikini trug und ich – und überhaupt jeder Kerl in meinem Alter und mit meiner Bereitschaft für die Schönheit aller Mädchen – jeden erdenklichen Anlass gehabt hätte, nicht nur auf ihr Gesicht zu achten! Wenn man mich zum Beispiel nach der Farbe des Bikinis fragen wollte… okay, ich gebe es zu, das weiß ich noch, sogar ganz genau, sie trug einen leuchtend grünen Bikini, grün wie ein Baum im Frühling. Aber mal abgesehen davon, hatte ich nur Augen für ihr wunderbares Gesicht. Ein so wunderbarer Kopf auf zwei so schönen Schultern.

      Ich schwamm auf einer Welle stummer Begeisterung, die Antwort der Blonden auf Adams unnachahmlichen Eröffnungszug der Flirtkonversation kam nur dumpf und wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ewig hätte ich in Trance da stehen können. Aber dann kam ja der Typ, der „Ey-quatsch-mein-Mädel-nicht-an“-Platzhirsch, der Mann, der weiß, dass es nur einen geben kann, der doof genug ist, Mädels mit Hieben gegen Nebenbuhler beeindrucken zu wollen. Mädchen wollen das nämlich gar nicht, ganz bestimmt nicht. Oder ich müsste mich von meinem Axiom verabschieden, dass die Welt eigentlich doch schön ist.

      Jedenfalls hatte es „Klatsch!“ gemacht, als der Typ sein Backpfeife verteilt