Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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zustimmen. „Wie kann man nur so … so aggressiv sein?“ wunderte er sich. Tja, Adam, lieber Adam, vielleicht bist du jetzt endlich alt genug, um zu erfahren, dass der Schutz der Kuppel uns nicht vor allem bewahrt? Nein, das sagte ich ihm natürlich nicht, obwohl ich gerade anfing, echt sauer auf ihn zu sein. Das hätte wirklich ganz anders ausgehen können. Wenn Freddy drei, vier Reisbier mehr gehabt hätte und wirklich wütend geworden wäre, hätten wir eine wunderbare Strandbad-Schlägerei lostreten können. Das kam ja schon hin und wieder vor an der Uferpromenade der Kirna, und die Beteiligten durften im Anschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine gründliche Behandlung durch die Secuforce, den größten Sicherheitskonzern in Paneupinia, einschließlich Übernachtung und Frühstück rechnen. Und ich rede noch nicht einmal von der vertanen Chance, die Schwarzhaarige kennenzulernen.

      Hätte ich Adam nicht vor Prügel bewahren müssen, und hätte er mit seinem tapsigen Auftreten nicht sowieso schon alles vermasselt, dann hätte ich es bestimmt hingekriegt, die Schönheit im Bikini mit einem originellen Spruch anzusprechen und nicht nur ihren Namen, sondern vielleicht sogar ihre Nummer zu erfahren. Und dann muss mir unser hauptamtlicher Gutmensch Adam in die Quere kommen!

      Aber ich konnte ebenso wenig wie die anderen Jungs aus unserer Clique dem guten Adam lange böse sein. Er war ein bisschen wie ein kleiner Bruder für uns, auf den aufzupassen wir uns alle Mühe gaben. Die Mühe war auch nicht allzu groß, denn Adam war ein eher schüchterner Junge, der nur selten die Initiative ergriff. Seltsam, ausgerechnet an jenem Samstag war er es gewesen, der die Idee gehabt hatte, an die Kirna zu gehen und uns in die Sonne zu legen. Und dass er aus heiterem Himmel auf die Idee gekommen war, zwei hübsche, ihm aber leider vollkommen unbekannte Mädchen anzusprechen, das passte eigentlich auch nicht so recht zu ihm. Und dann musste es gleich so enden! „Na, komm“, sagte ich zu ihm „kein Alkohol ist auch keine Lösung. Die Jungs warten bestimmt schon auf Nachschub“.

      „Sie hätte mir bestimmt ihre Nummer gegeben“, gab er mir zur Antwort.

      „Wie bitte?“ Das durfte ja wohl nicht wahr sein.

      „Ja, sie hat mich angelächelt, als ich sie nach ihrer Nummer gefragt habe, und wollte sie mir bestimmt gerade sagen, als dieser… dieser Rüpel mich zusammengeschlagen hat.“

      „Adam, das war kein Rüpel, sondern ein Arschloch. Und er hat dich auch nicht zusammengeschlagen, sondern dir ganz sportlich eine gezimmert, weil du seine Perle angequatscht hast. Und, ich muss schon sagen, wenn du echt so doof gewesen sein solltest, sie auch noch nach ihrer Nummer zu fragen, dann hast du es auch echt verdient.“

      „Verdient? Ich kann ja wohl ansprechen, wen ich will, ohne gleich tätlich angegriffen zu werden. Was denkt der Kerl sich denn! Das ist hier doch keine… Fußballkaschemme!“

      Fußballkaschemme, ja, so stellte sich Adam das böse Leben ständig besoffener Sportfreunde vor, barbarische Kerls, die nur darauf warten, unschuldige Mitbürger zusammenzuschlagen. Jetzt war es auch an mir, den lieben Jungen zu beruhigen.

      „Nein, so habe ich das ja nicht gemeint. Klar, der Typ ist ein echter Arsch, sag ich doch. Aber du musst hier am Strand schon ein bisschen aufpassen, welches Mädchen du so mal eben auf ihre Nummer ansprichst. Hast du das eigentlich wirklich gemacht?“

      „Ja klar, du standest doch daneben.“

      „Das schon“, meinte ich, „ich hab’s aber nicht mitgekriegt.“ Hatte ich wirklich nicht, schwarzes Haar und so, was sollte ich tun. „Egal, jetzt lass uns mal das Bier holen gehen, ist ja zum Glück nichts passiert.“

      Später, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, saßen wir wieder mit den Jungs in unserem kleinen Biertrinklager wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der die Wellen des Flusses ans Ufer plätscherten. Der erste, von uns geholte Biernachschub war schon ausgetrunken. Carlo und ein entfernter Bekannter von ihm – der Typ kam wohl aus Vallinigra, stank ziemlich aus dem Mund und kicherte viel und sinnlos vor sich hin, also nicht Carlo, sondern sein Bekannter – hatten die nächste Runde schon geholt, und wir nahmen die ersten Schlucke. Es hatte noch weiter aufgeklart, die letzten Wolken hatten sich entweder ganz verzogen oder in dünne, hohe Schleier verwandelt. Die Sonne stand schon tief über der Stadt und konnte das Ufer ungehindert und mit der vollen goldenen Wucht bescheinen. Wir hatten nicht wirklich ein Auge dafür, waren eher mit einer verbissenen Freude dabei, unsere Flaschen auszutrinken. Unsere Stimmung war wunderbar und beschwingt. Daran konnte nicht einmal Frank Fahrenheit, die alte Nervensäge, etwas ändern, als er sich irgendwann zu uns gesellte und wir ihn widerstrebend bei uns duldeten. Seine doofen Sprüche quittierten wir mit noch dooferen, und so trug „Ferkel-Frank“ zu unserer guten Laune bei, statt sie zu trüben. „Ferkel-Frank“ übrigens wegen seiner Vorliebe für eher ausgefallene Cybersex-Netzinhalte, jeder von uns kannte diese Geschichten und konnte schon deshalb Frank nicht für voll nehmen.

      Ein paar der Jungs hatten sich unterdessen todschicke Sonnenbrillen auf die Nase gesetzt, andere die Augen geschlossen, was ihnen eine nachdenkliche Miene gab, wieder andere hatten sich einfach mit dem Rücken zur Sonne gesetzt, um nicht geblendet zu werden. So hatte auch ich es gehalten, und vielleicht war ich deshalb der erste, der bemerkte, dass Stella zu uns herüber kam.

      Dass sie Stella hieß, das wusste ich natürlich noch nicht in dem Augenblick, als ich das fantastische schwarzhaarige Mädchen sah, das zusammen mit ihrer schwer bewachten blonden Freundin Adam und mich beinahe in eine schlimme Falle gelockt hätte. Jedenfalls kam sie jetzt auf unsere Gruppe sich hingefläzter und Reisbier trinkender Jungs zu. Kurz blieb sie stehen, schirmte mit der flachen Hand ihre Augen gegen die tief stehende Sonne, orientierte sich und ging dann weiter zu uns hin. Sie hatte eine helle, weite Stoffhose angezogen und ein Oberteil in derselben baumgrünen Farbe, die auch ihr Bikini hatte. Ja, na gut, daran konnte ich mich sofort erinnern, nachdem ich sie an ihrem wunderbaren schwarzen Haar erkannt hatte. Über der Schulter trug sie eine große Stofftasche in einem quietschend leuchtendem Orange. Die tief stehende Sonne beleuchtete sie wie ein Bühnenscheinwerfer, nur eben unendlich viel goldener, wärmer. Der bläulich-schwarze Ton ihrer tief dunklen Haare war dadurch überblendet, es schien nun eher in leichten Rottönen zu glühen. Ihre Haut wirkte noch südländischer und schimmerte wie edles Holz. Ganz unbeirrt und zielstrebig kam sie auf uns zu. Ich verschluckte mich an meinem Bier und prustete Carlo eine ansehnliche Portion aufs Hemd.

      Schließlich blieb sie vor unserer Gruppe stehen. „Habt ihr eins davon für mich übrig?“ fragte sie und deutete auf unseren geschrumpften Vorrat an Reisbierflaschen.

      Carlo, ganz Kavalier, sprang eilfertig auf, rief freudig „Na klar, willst du dich vielleicht zu uns setzen?“ und öffnete – sehr beeindruckender Trick – den Kronkorken einer Flasche mit seinem Ring; was seine Verlobte wohl dazu gesagt hätte? Und warum uns Kerlen immer das Gehirn stehen bleibt, wenn wir in der Nähe von Mädchen wie Stella sind?

      Die anderen, mich eingeschlossen, sagten gar nichts, vielleicht blieb manchen sogar der Mund offen stehen. Und Carlos Begrüßungsrede war ja auch nicht gerade getragen von tiefsinniger Schlauheit. Ob sie sich „vielleicht“ zu uns setzen wollte, na toll. Nee, sie wollte vielleicht auch nur eine Flasche Bier schnorren und sich das Kaltgetränk von ihrem Bronko aus dem Bauchnabel lutschen lassen, Mann, was für eine doofe Frage. Egal, Stella machte es nichts aus.

      Sie setzte sich direkt neben Adam, obwohl da eigentlich kein Platz frei war. Aber der Bekannte von Carlo hatte nicht nur das blödsinnige Kichern eingestellt, sondern war auch erschrocken zur Seite gewichen. Besser für ihn, denn Stelle hätte ihm sonst bestimmt einen aussagekräftigen Tritt verpasst. Sie nahm einen großen ersten Schluck. „Lecker“, konstatierte sie, „und schön kalt.“ Dann noch ein echter Jungensschluck und schließlich – ein waschechter Rülpser: „Uuuualp!“. Carlos Bekannter kicherte natürlich gleich wieder los. Treten konnte sie ihn nicht mehr, jetzt, da sie schon saß. Nur verbal. „Bist du irgendwie doof?“ fragte sie ihn mit eiskalter Stimme. Der Kicherer kicherte nicht mehr, machte leicht den Mund auf, und fing sich gleich die nächste ein. „Halt lieber die Klappe“, schnauzte Stella, und nahm noch einen Schluck. Was für ein sensationeller Einstand in einer Runde ihr bis dahin völlig unbekannter Adoleszenten. Hut ab!

      Aber sie machte auch gleich klar, dass sie nicht (nur) auf Krawall gebürstet