Ingo M. Schaefer

Kein Zurück Ohne Dich


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Laune zu heben. Sie liebten ihn und er sie, aber mit Emma war alles anders, heller, grüner, bunter, aufregender.

      Dann geschah etwas Seltsames. In der Wildnis traf er bemalte Männer, Eingeborene, die seine Eltern umarmten. Louis erfuhr, dass er tiefere Wurzeln zu diesem Land besaß, als er geahnt hatte.

      Emma fürchtete sich vor denen, die sich als ihre Eltern ausgaben. Daher schien ihr Louis wie ein Fenster in ein anderes besseres Leben. Er war der Prinz, der sie retten konnte. Er fürchtete weder den Vater noch die Frau, die sie zwangen, sie Vater und Mutter zu nennen und Dank forderten. Sie erinnerte sich nur vage an ein anderes Leben, das mit jedem Tag verblasste. Über ihre toten Eltern durfte sie nicht sprechen.

      Louis Eltern waren anders. Sie wünschte, sie gehöre dazu. Dann hätte sie es gut.

      Sie trafen sich wieder am Strand nach Sonnenaufgang. Das letzte Mal, nur ahnten sie das nicht.

      „Ich darf nicht mit“, sagte Emma traurig.

      Louis Eltern sollten ein Segelboot von Brisbane nach Perth überführen. Mehr hatte Louis nicht wissen wollen. Seine Eltern planten eine Tagesfahrt. Sie wollten prüfen, ob der Windfänger die Strecke bis nach Perth schaffte. Louis hoffte bis zum Schluss, Emma dürfe für diesen Tag mitkommen. Sogar seine Mutter sprach nach der Outbacktour mit Emmas Eltern. Als sie zurück kam, schüttelte sie nur den Kopf. Dann sprach sie leise mit ihrem Mann, damit Louis nichts mitbekam. Das war gestern.

      „Die sind gemein“, entfuhr es Louis. „Wir werden in Perth wohnen, wissen aber nicht wo. Du weißt nicht, wohin Ihr geht?“

      „Nein. Wir fahren von Ort zu Ort. Ich bin immer in einer anderen Schule.“

      „Das kenne ich. Dad arbeitet auch überall. Er ist Reporter“, sagte Louis. „Wenn man sich an Freunde gewöhnt hat, muss man wieder fort.“ Er suchte am Boden umher, wie während jeder Treffen, um ihr dann einen besonderen Stein oder eine Muschel zu schenken. Er fand nichts.

      „Du bist mein Freund“, sagte sie leise und zaghaft. Mehr sagte ein Mädchen nicht und selbst das war schon viel.

      „Für immer“, sagte er. „Wenn ich dich heirate, dann wird dich niemand mehr herum schubsen.“ Ihm fiel etwas ein. Er grinste. Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen schwarz funkelnden Stein hervor. „Bewahre ihn auf. Wenn du ihn mir morgen gibst, wird dir nie etwas geschehen. Ich gehöre zu dir und du zu mir. Du kannst dann machen, was du willst. Keine Verbote mehr.“

      „Heiraten dürfen nur Erwachsene. Du bist doof. Aber der Stein ist schön. Wo hast du ihn her?“

      Als er es ihr erklärte, wurde ihr flau im Magen. Jetzt erkannte sie, dass er jedes Wort ernst meinte.

      Als der Segler ablegte, winkte sie zum Abschied am Kai und hielt in der anderen Hand seinen Stein. Er winkte zurück.

      Am selben Tag packten der Mann und die Frau schnell die Koffer und zerrten die weinende verstörte Emma ins Auto. Sie versteckte den Stein, der ihr Anker auf Hoffnung war.

      Als sie älter wurde, dachte sie oft an Louis, vor allem, wenn andere Jungen sie enttäuschten. Seinen Nachnamen kannte sie nicht. Mit der Zeit verwischten die Erinnerungen, machten Platz für andere. Den schwarzen Handschmeichler verwahrte sie. Er half ihr und gab ihr eine Vorstellung auf einen Mann.

      Irgendwann.

      Irgendwo.

      Kapitel 1

       Mai 2020

       Fremantle Primary School, Westküste Australien

      Elena White ordnete ihren Schreibtisch für das kommende Bewerbungsgespräch. Sie kannte die junge Frau aus der vielversprechenden Akte und ihren Ruf. Seit die Fremantle Primary School als independent, als unabhängig galt, konnte sie über die Lehrer entscheiden. Seitdem feierte ihre Schule landesweite Erfolge. Emma McIntyre sollte der nächste große Fang werden, um Western Australia weiter voranzubringen. Das Departement hatte die junge Lehrerin zudem empfohlen.

      Die Erfolge der Frau in Queensland fanden Beachtung. Elena wusste, dass Brisbane im Rennen war. Aber sie hatte nicht vor die Segel zu streichen. Fremantle wuchs und ihre Schule musste vorangehen. Das Telefon klingelte. Sie nahm den Hörer ab.

      „Miss McIntyre ist da“, meldete Sylvee, die Schulsekretärin und das Herz der Schule.

      „Vielen Dank, Sylvee. Schicke sie bitte herein!“

      Jemand klopfte - weder aufdringlich noch zaghaft.

      „Herein!“, rief Elena und stand auf.

      Die Tür öffnete sich und eine junge fröhliche Frau trat ein. Sie trug ein dezentes graues Kostüm, passende schwarze Pumps, modernen Kurzhaarschnitt und rote Fingernägel. Elena gefiel alles an der jungen Frau.

      „Guten Morgen, Miss McIntyre! Herzlich Willkommen in Fremantle und vielen Dank, dass Sie kommen konnten!“

      „Hallo, Misses White! Vielen Dank! Fremantle gefällt mir sehr gut“

      Elena nickte und bat sie, sich zu setzen.

      Emma hoffte, die Direktorin sah ihr die Nervosität nicht an. Sie war aus Melbourne angereist, weil sie umworben worden war; aber die Schulleiterin wärmte ihr Herz und die kleine Stadt Fremantle war einfach bezaubernd. Europäischer Einfluss prägte die Westküste im Gegensatz zur eher amerikanischlastigen Ostküste. Tief in ihr fühlte sie sich bereits heimisch.

      Das Gespräch verlief bestens. Die beiden Frauen verstanden sich.

      Elena erkannte Strenge und Güte in Emmas Auftreten, im Blick und der Haltung. Notwendig für diesen Beruf.

      „Ihre Fächer sind Englisch und Deutsch. Und sie haben auch Chemie studiert.“

      „Aber nicht geprüft“, warf Emma ein.

      „Ich bin ehrlich, Emma. Ich brauche Sie schnellstmöglich in allen Fächern. Und was Sie in Melbourne angefangen haben, können Sie hier auch weiterführen. Das Departement hat dafür Gelder, mehr als Brisbane geben wird, für Sie bereitgestellt. Sie sehen, wir Westler kämpfen um Sie.“

      Emma zögerte nicht.

      „Vielen Dank. Ich bleibe in Fremantle. Kennen Sie jemanden, der Zimmer vermietet?“

      „Das ist toll.“ Elena schüttelte Emma die Hand. „Ja, hier kennen wir immer jemanden für etwas. Jetzt würde ich Sie gerne herumführen und dem Kollegium vorstellen.“

      Nach gut zwei Stunden verließ Emma das Schulgelände mit einem anhaltenden Glücksgefühl. Alle hießen sie willkommen. Sie fühlte sich gebraucht und wertvoll.

      Wasser und Strand tauchten vor ihren Augen auf und verschwanden wieder.

      Der alte Chemielehrer, ihr Namensgedächtnis war miserabel, nutzte gleich eine Freistunde, um ihr den Wissenschaftstrakt zu zeigen. Im Gespräch mit ihm verging die Zeit schneller. Der Hausmeister drückte ihr Schlüssel und Hausordnung in die Hand. Ein verschmitzter Kerl schien er zu sein, obwohl Emma ahnte, das er nicht nur sehr ernst, sondern auch sehr hart sein konnte.

      Er war für die wohl sauberste Schule Australiens verantwortlich.

      Der Tag war perfekt und sie begann ihm zu misstrauen. Was würde kommen? Sie beschloss, den Glücksmoment zu genießen, bis er verschwand. Warum sollte sie erwähnen, dass die Ostküste für sie nicht in Frage kam? Wichtige Menschen banden sie an Queensland; die Liste gescheiterter Beziehungen überwog, und die Westküste bedeutete den ersehnten Neuanfang.

       Dezember 2020

       Fremantle Hospital, Westküste Australien

      Klinikdirektor Sahid Chadakis deutete auf die lederne Sitzgruppe.

      „Louis, bitte setzen Sie sich.“

      „Vielen Dank, Mister Chadakis.“

      Louis White