Ferdinand Quante

Das Leben ist ein Schokokönig


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Helmut Kohl.

      Der riesige Oggersheimer offenbarte sich vollständig per Statur: prall, proper, voluminös. Der kugelförmige Hauptraum im Mittelteil des Altkanzlers hatte Luftschutzkellerformat, konnte als Halfpipe genutzt werden. Kohl verkörperte Sicherheit plus Lebensfreude.

      Und Steinbrück? Ist mittlerweile so gut wie vergessen. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht vage an kostspielige Steinbrück-Reden, 30.000 Piepen für ein Stündchen belanglosen Palavers. So was bleibt hängen. Auch an Steinbrück selbst. Obschon er fürs maßlose Einsacken von Rednerkohle eigentlich nichts konnte, »das Ganze scheint wohl doch genetisch« (Ehefrau Gertrud; Sekt, Wein, sprudelige Stimmung, wir sitzen zu zweit in einer Potsdamer Pizzerei, »du, Curtis, pass mal auf – noch zwei Fläschchen von dem Roten, Ober! – du glaubst es nicht«). Demnach ist Steinbrück zwölf Monate alt, als er vor der versammelten Verwandtschaft zum ersten Mal »Ma-ma« sagt. Großes Hallo, dann lange Gesichter: Peer krabbelt mit dem Sparschwein herum, verlangt mindestens eine Silbermünze von jedem. Ergebnis: 11 Mark 50, ein schöner Anfang. In der Volksschule legt er nach, 1. Klasse, Lesen: Der kleine meckifrisierte Kerl zitiert zwei Zeilen fehlerfrei aus der Nachkriegsfibel. Die Lehrerin ist begeistert, bis Peer per Kartoffeldruck die Rechnung erstellt: 144,10 Mark. Zahlemann & Söhne.

      »So ging’s fort.« (Gertrud St.)

      Man muss nicht alles glauben, was seinerzeit geredet wurde (Steinbrück scheffele weiter, praktisch per Flatrate, seine Stimme sei mit seinem Girokonto direkt verbunden, jeder kleinste Laut werde dort sofort verbucht, nächtliches Schnarchen bringe ihm stündlich 910 Euro plus MwSt., murmele er im Schlaf vollständige Wörter wie »Eurokrise« oder »Mettwurst«, verdoppele sich der Betrag).

      Monetär ist der gebürtige Hamburger jedenfalls fein raus. Ein Brüderle (FDP) musste jahrelang wochenends Weinkisten ausfahren, SPD-Chef Gabriel verdient sich derzeit mit Kartonstapeln bei Rewe ein bisschen was dazu. Klar, dass da ein Peer Steinbrück Neider hat.

      Merkels Gesichter-Memo

      Merkel dagegen? Keine Neider, da keine besonderen Eigenschaften, und optisch glatter Durchschnitt. Sie wirkt verdächtig unscheinbar. Nach ihrem dritten Wahlsieg munkelte man, ihr rundlicher Leib im Hosenanzug sei nur Tarnung, und wenn sie abends heimkehre zu ihrem Gatten Joachim, sich aus ihrer Verkleidung schäle, Gesichtsmaske und Perücke abnehme, käme da etwas wie Catwoman oder Mutter Teresa zum Vorschein. Mumpitz, sicher, aber berechtigt ist die Frage, was hinter Angela Merkel steckt, schon, dieser Frau, vor der Atomkraftwerke in die Knie gehen und Pleitestaaten im Staube winseln, die, wenn sie wollte, halb Europa im Schuldenklo versenken könnte. Lässt so eine Powerdomina sich nicht täglich eimerweise Kaviar von christdemokratischen Politsklaven in ihre Kommandozentrale schaffen? Wie menschlich und normal ist Angela Merkel?

      Meine Meinung: ganz normal. Z.B. ist sie vergesslich wie jedermann. Sie weiß das. Deshalb engagierte sie mich ja, und als Polit-Sachverständiger konnte ich für sie ein einzigartiges Memo-System entwickeln, das ihr erlaubt, eine hochkomplizierte Politik mit Millionen kleinster Details zu realisieren.

      Der Trick: Merkel orientiert sich geschickt an Gesichtern in ihrer persönlichen Umgebung. Genau deshalb wurde etwa seinerzeit ein Peter Ramsauer überhaupt nur ins Bundeskabinett berufen. Dessen todmüder Blick sollte die Kanzlerin daran erinnern, die Sterbehilfe gesetzlich schärfer noch zu fassen. Rollstuhlfahrer Wolfgang Schäuble ist beispielsweise bis heute nur dazu da, Merkel über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen fortgesetzt nachdenken zu lassen. Andrea Nahles’ rundlich-naives Mondsgesicht erinnert die Spitzenpolitikerin an den bestehenden Mangel an Kinderkrippen. Glatzkopf Peter Altmaier steht für: Achtung, Friseurtermin klarmachen! Der stets gemütlich grinsende Gesundheitsminister Gröhe signalisiert der Kanzlerin: Feierabend für heute! Eine unglaublich präzise Methode, aber anders wäre unser Land auch gar nicht zu regieren. Und die SPD hat sie ja nur deshalb mit in die Regierung genommen, um den wohlgenährten Gabriel um sich zu haben. Damit sie mittags die Essenspause nicht vergisst.

      Singende Taliban

      Nebenbei bemerkt erweist sich Angela Merkel damit auch als eine sehr menschliche, sehr realistische Herrscherin. Sie verspricht nicht das Blaue vom Himmel, das ganz-ganz Andere, so wie einst Barack Obama. »Change has come to America!«, rief Obama bei seinem Regierungsantritt. Was sollte passieren? Fliegt Wyoming raus? Wird Montana neu gestrichen, Texas tapeziert? Soll Danny deVito höher oder der Mount Rushmore tiefer gelegt werden?

      Am Tag von Obamas Vereidigung reiste ich die US-amerikanische Ostküste entlang. Alles schien möglich. Viele Amerikaner verspürten eine ungekannte Leichtigkeit, kündigten ihr Weight-Watchers-Abo, jeder Zweite zwischen Washington und Boston glaubte, Obama werde morgen mit zwei Gesetzestafeln vom Gipfel der Rocky Mountains herabsteigen oder doch wenigstens Wasser in Krankenversicherungen verwandeln. War er nicht der Präsident, der die Kraft hatte, eine Buslandung Taliban zum Absingen der amerikanischen Nationalhymne zu bewegen?

      Visionäre Höhenflüge dieser Art lassen mich dankbar an einen handfesten norddeutschen Bauern denken. Als er zu Wahlkampfzeiten in seinem Heimatdorf einem Plakat mit dem Slogan »Angela Merkel, gut für unser Land!« begegnete, plädierte er für einen empirischen Test und erbot sich, Teile der Kanzlerin auf seinem Rübenacker auszubringen. Gelobt sei der Bauer! (Belobigung folgt.)

      Hat das Wetter Abitur?

      Der Landmann ist mir auch aus einem ganz anderen Grund präsent. Als er Merkels Bodenwirkung prüfen wollte, scharrte er missmutig mit dem Fuß über die völlig ausgedörrte Scholle, es staubte nicht schlecht nach vierzig Tagen Trockenheit. Zwei Tage später überquerte er seinen Rübenacker im Ruderboot, die Schleusen des Himmels hatten sich geöffnet, 30 Liter Regen auf den Quadratmeter pro Stunde, nachfolgend Frost, dann wieder Sommersonnenschein, der Mann verstand die Welt nicht mehr.

      »Dies Schietwetter bringt uns noch alle um!«, fauchte er und warf dem Klima vor, es hätte wohl in Bremen Abitur gemacht, so blöd wie es da jetzt wäre. Finnische Klimaforscher kamen quasi zeitgleich zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Bestimmte Wetterzonen kennen keinen der fünf Eisheiligen mehr, können Grönland von Hawaii nicht unterscheiden, Sonne, Regen, Eis und Hitze werden wahllos wechselnd angeliefert, frappanter Weise manchmal eben auch nicht. Der Winter 12/13 z.B. wollte gar kein Ende nehmen, Tiefsttemperaturen am Stück bis Ende März, die Menschen liefen dick vermummt herum, zum Teil sogar im Haus, manch einer wusste am Ende kaum noch, mit wem er da eigentlich zusammenlebte. Ein sauerländischer Landrat berichtete mir von einem polizeilich verhafteten Wildschwein. Das Tier war in Skianzug und Mütze in ein Forsthaus marschiert und hatte mehrere Abende mit dem ahnungslosen Förster vor dem Kamin verbracht.

      Die Altmaier-Frage

      Sicher, der Klimawandel geht auf unsere Kappe. Winzige Schadstoffe heften sich an Luft und Feuchtigkeit, machen Umwelt und Eisbären das Leben schwer. Und dem Bundesumweltminister im April 2013 auch. Könne man nicht, stöhnte Peter Altmaier, kaum hatte er an »Müllers Beratungstag« in meinem Sprechzimmer Platz genommen – draußen fiel Hagel, die Sonne schien! –, ja also könne man nicht die Industrie und alle Autos verpflichten, große, gut sichtbare Schadstoffe in die Welt zu blasen? Ich blickte skeptisch in Altmaiers gramverzerrtes Gesicht.

      »Am besten fußballdicke Klumpen, die man per Hand vom Klima wieder abmachen kann«, fuhr er fort. Hm. Er grübelte tatsächlich.

      Tief durchatmend ließ ich ein beruhigendes »Aber Peter …« hören, fast wäre ich dem Minister mit der Hand über den kahlen Kopf gefahren, die Wetterkapriolen setzten dem hartgesottenen Berufspolitiker sichtlich zu. Doch schnelle Lösungen – auch Altmaier weiß das heute – gibt es nicht, zu widerspenstig sind Wetter und Klima, zu komplex vor allem. Sonne, Regen, Schleierwolken, Dunst, Sauwetter, Eisregen, Nebelsuppe, Hurrikan, Lauluft, Frost, Fön, Herbststurm, Hundstage, Niesel, Griesel, Schiesel – wozu das alles? Dieser Aufwand? Und dann noch der in diese ganze Unübersichtlichkeit hineinfahrende Schornstein- und Auspuffdreck, die politische Dimension nicht zu vergessen!