Ferdinand Quante

Das Leben ist ein Schokokönig


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doch nix

      Hat 1992 Klaus Töpfer in seiner Funktion als Umweltminister zur Aufbesserung der deutschen Staatsfinanzen sieben erstklassige Schlechtwetterfronten an den dürstenden Wüstenstaat Oman verkauft? Zum Schleuderpreis? Ja. Um zugleich aus Gran Canaria überteuerte Hochdruckzonen importieren und dann die per Schiff angelandeten Schäfchenwolken und Südwinde unsachgemäß montieren zu lassen, zu einem fulminanten Herbst nämlich mitten im Mai. Das war schlimm. Fast noch schlimmer die globale Lage: Der Chinese baut deutsches Wetter nach, kopiert es. In Shanghai fiel neulich ein Regen, den selbst ZDF-Meteorologin Inge Niedeck vom letzten Schauer in Dortmund-Aplerbeck nicht mehr unterscheiden konnte. Kriminell, ja, aber auch irgendwo bewundernswert. Obwohl ich nicht glaube, dass die asiatischen Brüder heute schon einen Gelsenkirchener Nachtfrost naturgetreu packen. Oder den ozonlochfreien Deutschlandsommer ’58 mit viel Sonne, Musik und Peter Kraus in kurzen Hosen. Was dann wiederum schön wäre.

      Dass die Klimadefekte die Menschen verwirren, geht auch aus dem Schreiben eines anonym bleiben wollenden Familienvaters hervor, in dem er davon berichtet, wie er und die Seinen sich für den Winter präparieren.

      Opa will nicht Pinguin

       Seit zwei Wochen schon bereiten wir uns auf einen knallharten Winter vor. Ein paar Nachbarn meinten, das wäre übertrieben. Wir sind da anderer Meinung. Wenn man frühzeitig die Körpertemperatur auf 4 Grad runterfährt und den Garten weiß anstreicht, kommt ja nicht nur Vorfreude auf, nein, die ganze Familie ist dann auf kommende echte Schneegestöber viel besser eingestellt.

       Unsere Maßnahmen sind professionell. Der Kalender wird bis Januar vorgespult und das Thermometer so tief gehängt, dass der Ofen einfriert. Allerdings wissen wir nie, ob wir uns als Eisbär oder Pinguin verkleiden sollen. Eisbär ist einfacher, aber jeden Mittag am Loch im Wohnzimmerboden warten, bis eine Robbe auftaucht, nervt gewaltig. Gegen Pinguin spricht, dass Opa keine Lust hat, wochenlang mit einem Ei auf den Füßen durchs Haus zu schlurfen.

       Der Tagesablauf ist genau geplant. Früh um sechs: Mutter brummt mit dem Schneepflug durch alle Korridore, anschließend werden die Kinder freigeschaufelt, der große Schanzentisch festlich eingedeckt, und wenn dann Großmama mit einem Satz frischer Winterreifen in die Küche rollt, ist das Hallo natürlich riesig. Sobald die Kleinen ihr Schälchen Hagelkörner mit Pulverschnee verputzt haben, geht’s für sie durch den Eiskanal runter auf die Straße und dann ab zur Schule.

       Es funktioniert alles prima, ja wir sind richtig glücklich, und speziell nachts, wenn der Deckel der Tiefkühltruhe über uns zuklappt, ist sich die ganze Familie sicher: Wir packen den Winter. Aber eiskalt!

      Family Life

      Ein schönes Beispiel für einen geradezu beglückenden Familiensinn, der heute alles andere als selbstverständlich ist. Über Jahre habe ich Untersuchungen durchgeführt, die belegen, dass immer weniger Bundesbürger wissen, was eine Familie überhaupt ist, wie sie funktioniert, wie man sie bedient und wartet. Selbst altgediente Hasen sind oft ratlos, stellen immer wieder dieselben Fragen: Wo kann ich Familienmitglieder umtauschen, gibt es eine lebenslange Garantie auf alle Teile, und wie lasse ich missratene Familientage annullieren? Und – was genau ist eigentlich eine Familie? Für den einen ist es der Anblick kleiner blockflötender Anzugträger am Weihnachtsbaum, der andere sieht vor seinem inneren Auge zackige Morgenappelle mit schnellem Aufstellen in einer Reihe bei allseits großer Freude, wenn nach dem Durchzählen Vater mit dem Stemmeisen kommt und den Familienzusammenhalt prüft.

      Echt krank

      Die Wintervorbereitungsstory klingt lustig. Was diese Familie (Name mir bekannt) dort treibt, ist allerdings gefährlich. Sie ruiniert ihre Gesundheit. Genauer gesagt: Sie riskiert schwerwiegende akute Schäden (Haut, Gelenke, Organe, Hirn), die ein Hausarzt kaum mehr behandeln kann. Auf zum Facharzt? Die Familie (Hunemann) ist Kassenpatient! Was das heißt, belegt folgende Meldung.

      Warten bis kein Arzt kommt

       (Berlin) Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt wird für Kassenpatienten immer länger. Damit einhergehend steigt offenbar deren Unzufriedenheit und Unruhe. Laut einer Umfrage der AOK wollen 11 Prozent der Kassenpatienten in der Zeit, in der sie auf einen Facharzttermin warten, ein Medizinstudium absolvieren und sich anschließend selbst behandeln. 24 Prozent sparen auf ein Hasenkostüm, um im Notfall problemlos zum Tierarzt zu kommen. Für 81 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler sind Kassenpatienten ein absolutes Vorbild im Unterricht: »Erst in acht Wochen drankommen? Voll genial!«

       Den Facharzt sehen und sterben

      Der kerngesunde Schüler mag da noch scherzen, nicht so Alte und Todkranke. Für mich unvergessen bleibt das berührende Schicksal von Kassenpatient Wilfried W., dem die Barmer Ersatzkasse Pirmasens »einen lang gehegten Herzenswunsch erfüllte«. Der sterbende Mann wollte wenigstens einmal im Leben eine Facharztpraxis von innen sehen. Auf Initiative der Barmer wurde Wilfried W. schon am nächsten Tag einmal quer durch den Behandlungsraum des Onkologen Dr. Gutzke geführt. Ein Skandal? Nein, zwei. Denn in derselben Ausgabe der Barmer-Mitgliederzeitschrift, die da fast prahlerisch über Wilfried W. berichtete, stieß ich auf diese entlarvende Mitteilung.

       The Barmer-Info for Young People

       »Hi, Folks! Warten, bis der Blinddarm platzt? Ey, shit, nein, muss echt nicht sein! Wir stecken euch hier und jetzt jede Menge schwer abgefahrene Krankheiten, die sich auch nach 40 superlangen Tagen affenblöder Warterei auf den durchgeknallten Doc noch voll geil behandeln lassen. Wie zettbe Ohrenknallen, Sackreißen, Pickeljucken und so. Alles bingo? Okay dann, haut cool rein, lasst die Finger von Leukämie und holt euch nicht den Tripper, eure krasse Ersatzkasse!«

      Käptn Hook in Duisburg

      Als Gesundheitssachverständiger sehe ich die Zweiklassenmedizin längst zementiert, abgesegnet auch von Ersatzkassenseite. Als die deutsche Marine auf ihren Patrouillenfahrten zum Schutz von Handelsschiffen vor der somalischen Küste erstmals einen Piraten einfangen konnte, bat die AOK Duisburg um sofortige Auslieferung.

      »Er wandert bei uns in einen Schaukasten. Unsere Mitglieder sollen sehen, dass gute medizinische Versorgung oft ganz schlicht und preiswert sein kann«, erklärte damals der örtliche Kassenleiter, der den Piraten samt Holzbein, Eisenhakenhand und Augenklappe dann auch fünf Wochen lang im Foyer der Duisburger AOK-Zentrale zeigte.

      Ich erspare mir jeden Kommentar, weise aber daraufhin, dass es annähernd sinnlos ist, am Hirn zu erkranken oder einer irgendwie genetisch verkomplizierten Schistosomiasis. Sich als Kassenpatient auf die gute alte Rachenentzündung zu verlegen, dürfte dagegen goldrichtig sein. Mund auf – Aaaaaaaaaaaa – Rezept vom Hausarzt in Empfang nehmen, fertig. Wie ich überhaupt meine, zehn, zwanzig einfache Beschwerden wären genug. 30.000 Krankheiten kennen wir und nur eine Gesundheit. So kann das nicht weitergehen!

       Können wir auf das Herz verzichten?

       Nein. Als Monopolist auf den Gebieten Blutdruck und Liebesgedichte bleibt es unentbehrlich. Das Herz ist heute Ausrüster von gut sieben Milliarden Menschen sowie 923 Milliarden Säugetieren, Vögeln und Reptilien, ein Global player, kosmopolitisch, aber launisch, praktisch die Diva unseres Leibes. Beschied es sich früher mit einem schlichten Herzkasper, erfindet das tückische Organ nun immer neue, immer undurchsichtigere Kalamitäten: koronare Insuffizienz, Herzwandaneurysma, Aortenklappenstenose sowie Perikarditis und Herzruptur, alles nur zu dem Zweck, mit Bypässen, Stents, Ballondilatationen und brummenden Geräten umsorgt und verhätschelt zu werden. Pervers genug: Es liebt Apparatemedizin (ab 10 Knöpfen und 30 Leuchtdioden aufwärts). Dabei verschanzt es sich feige hinter Fleisch und Knochen. Viele finden, man sollte das Herz aus seinem Verhau hervorvorholen, ihm bei seiner Arbeit einmal genauer auf die Finger (gemeint: Klappen) schauen. Und nur Schlagen, das war einmal. Keiner hat mehr sein Leben lang nur einen Beruf. Auch das