Sandra Andrea Huber

Fühl, was du fühlst


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Koller denkt nicht mal eine Sekunde nach, ebenso wie er nicht einen Augenblick lang zögert. „Sie kann gerne mitkommen. Restaurant und Kino laufen nicht weg, meine Party dagegen schon. Ist ohnehin lustiger, je mehr wir sind.“

      „Das ist wirklich … nett.“ Wieso muss er in der Tat nett sein, so, wie Annes es vorausgesagt hat? Ich hasse es, wenn sie recht behält, weil sie nicht müde wird, einem das unter die Nase zu reiben. Ich hätte ihn vor verschlossener Tür stehenlassen sollen, Höflichkeit hin oder her. „Ich werde meine Freundin fragen, ob sie einverstanden ist oder ob ihr das zu viel Trubel ist. Sie ist nämlich schwanger.“

      „Tatsächlich?“ Seine Miene wirkt einen kurzen Augenblick lang verschlossen und unergründlich. „Im wievielten Monat ist sie denn?“

      „Sie hat etwas vom fünften oder sechsten Monat gesagt.“ So viel zu einer Lüge, von der Not mal abgesehen.

      „Eine Hausparty mit Musik sollte weder ihr noch dem Baby schaden. Sie können ihr ausrichten, dass wir keine wilde Orgie zelebrieren, es Saft und Wasser und auch etwas zu Essen gibt. Die Chance auf ein bisschen Spaß sollte sie auf jeden Fall nutzen so lange sie kann. Sobald der Nachwuchs da ist, wird für Derartiges erst mal wenig Zeit bleiben.“

      Man könnte fast meinen, er spricht aus Erfahrung. Allerdings kann ich das nicht recht glauben. Ich denke vielmehr, dass er sich nur aufspielt und keinen blassen Schimmer hat, wie das Leben mit Baby aussieht. Gut, ich habe auch keine Ahnung davon, aber ich bin immerhin Annes Freundin und kann mir, im Gegensatz zu ihm, überhebliche Aussagen erlauben.

      Als ich ihm antworte, kann ich nicht verhindern, dass meine Stimme eine Spur kühler und distanzierter klingt, was ich jedoch als positiv empfinde, da ich mich zugleich selbstbewusster und schlagfertiger fühle. „Ich werde sie fragen.“

      „Okay“, Alexander Koller nickt unbeeindruckt, immer noch ein lockeres Lächeln auf den Lippen. „Dann will ich gar nicht länger stören.“

      Ich nicke ebenfalls und will gerade die Tür schließen, als er die Hand hebt und mich daran hindert.

      „Ach ja, da ist doch noch was. Wie wäre es, wenn wir die Förmlichkeiten sein lassen? Das wirkt inzwischen ziemlich fehl am Platz, finde ich, und spätestens Freitag ist es auf jeden Fall überflüssig. Warum also nicht gleich abschaffen? Ich bin Alexander, gern auch Alex.“

      Ich mühe mir ein unbefangenes Lächeln ab, weil ich nicht weiß, ob ich mich über die abermalige Annäherung freuen soll oder nicht. „Sie können mich gern Hannah nennen.“

      „Du kannst mich gerne Hannah nennen“, sagt Alexander Koller alias Alexander alias Alex mit einem Lächeln auf den Lippen.

      Ich blicke ihn irritiert an.

      „Nachdem wir uns gerade darauf geeinigt haben die Förmlichkeiten sein zu lassen, macht es wohl kaum noch Sinn, uns zu siezen.“

      „Ja, das … stimmt.“

      „Du gewöhnst dich schon noch dran. Freitagabend hast du ausreichend Zeit es dir einzuprägen.“

      „Sofern ich komme. Also, kommen kann. Wegen meiner Freundin.“

      Ein – für meinen Geschmack zu sehr wissendes – Grinsen legt sich auf Alexander Kollers Lippen. „Ich wünsch dir noch einen schönen Abend, Hannah.“

      Die Art und Weise, wie er meinen Namen ausspricht, bringt mich kurz aus dem Gleichgewicht. Nicht äußerlich, sondern innerlich, sodass ich mir fast wünsche, er würde meinen Namen nochmals auszusprechen. Allerdings währt dieser Fast-Wunsch nur einen Sekundenbruchteil, weil ich bereits im nächsten Moment meine Balance wieder gefunden habe und mich frustriert frage, ob wir je ein normales Nachbarschaftsverhältnis aufbauen oder ich mich ihm gegenüber für immer wie ein Schulkind fühlen werde, dass sich einen Fauxpas geleistet hat.

      „Danke, du auch.“

      Er bedenkt mich mit einem letzten Lächeln. „Ich würde mich wirklich freuen, wenn du kommst. Egal ob mit oder ohne Begleitung.“

      *

      *

      *

      „Wieso hast du denn das gesagt?“

      Nachdem ich den Montagvormittag mit dem Setzen einiger Artikel und der Suche passender Bilddateien verbracht habe und der Zeiger der Uhr auf kurz nach halb eins gewandert ist, habe ich Annes Büronummer gewählt, um ihr von der Einladung zu erzählen, die nach meiner kleinen Notlüge auch sie einschließt. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass sie meine Geschichte kommentarlos zur Kenntnis nimmt. Gehofft habe ich es trotzdem.

      „Ich weiß auch nicht, ich habe irgendwie …“, ich suche nach dem richtigen Wort, „Panik bekommen.“ Wohl etwas übertrieben. „Ich hatte nicht vor, ihn so schnell wiederzusehen oder mich mit ihm unterhalten zu müssen. Dass er vor meinem Wohnzimmer steht und mich zu sich einlädt, war nicht abgesprochen. Wenn es nach mir geht, muss ich nicht unbedingt ein inniges Verhältnis zu ihm aufbauen. Mit den anderen Bewohnern habe ich schließlich auch keines - was vollkommen in Ordnung ist. Mein Plan auf ihn bezogen ging mehr in Richtung Gras über die Sache wachsen lassen.“

      „Die anderen Bewohner sind aber auch nicht in deinem Alter – oder Single.“

      „Ich weiß nicht, ob er Single ist!“, entgegne ich mit Nachdruck.

      „Er ist allein eingezogen, oder?“

      „Vielleicht ist seine Freundin Model und wohnt in Mailand oder New York und sie sehen sich nur alle paar Monate, wenn sie nach Deutschland kommt oder er sie besucht.“

      „Die Wahrscheinlichkeit, dass du Recht hast, ist gleich null“, entgegnet Anne trocken. „Dass du glaubst, er könnte ein Model zur Freundin haben, verrät mir allerdings mehr über sein Äußeres, als du mir bisher gesagt hast.“

      „Der Ansicht bin ich nicht“, übergehe ich ihren Einwurf, „aber wir können ja Freitag weiterdiskutieren, wie man die Wahrscheinlichkeit mathematisch richtig ausdrückt. Wäre das ein fairer Deal?“

      „Ich kann Freitagabend nicht.“

      „Warum nicht? Was ist am Freitag?“

      „Thomas und ich sind mit Silvia und Jan verabredet. Wir haben Musicalkarten und fahren nach Stuttgart, das ist schon seit Weihnachten ausgemacht.“

      „Und was soll ich jetzt machen?“

      „Sag einfach, dass ich keine Lust hatte, euch aber viel Spaß gewünscht habe.“

      „Anne!“, empöre ich mich.

      „Was denn? Von mir aus sag, dass ich krank geworden bin, wenn dir das lieber ist.“

      „Aber dann muss ich ja trotzdem hingehen und das will ich ja gar nicht. Deswegen habe ich doch überhaupt gesagt, dass ich schon mit dir verabredet bin.“

      „Wenn du nicht hingehen willst, warum hast du ihm das dann nicht einfach gesagt?“

      „Klar, ich sage ihm direkt ins Gesicht, dass mir nicht der Sinn danach steht, zu seiner Party zu gehen. Das wäre bestimmt taktvoller gewesen und er hätte auch ganz bestimmt nicht gefragt, warum ich nicht kommen will.“

      „Eine berechtigte Frage. Warum sträubst du dich so davor, hinzugehen?“

      Ich sauge einen großen Schwung Luft ein. Sollte Anne mir nicht den Rücken stärken und sich mit mir zusammen eine Lösung überlegen, die mich aus der Zwickmühle herausbringt? Es kommt mir fast so vor, als stünde sie auf Alexander Kollers Seite.

      „Ich weiß nicht, warum ich unbedingt hingehen sollte. Bist du mit jedem deiner Nachbarn per Du? Verspürst du das Bedürfnis, jeden von ihnen näher zu kennen? Willst du wissen, wie es in seiner Wohnung aussieht und was er im Kühlschrank hat? Manches sollte man gar nicht wissen, glaub mir.“

      „Langsam fange ich an, mir Sorgen um dich zu machen. Wenn du mich fragst, gibt es einen ziemlich guten Grund, warum du hingehen solltest. Nämlich den, dass dein letzter