Sandra Andrea Huber

Fühl, was du fühlst


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nebenan alles ist, nur nicht nett.

      „Was bitte ist daran so schlimm?“

      „Keine Ahnung, vielleicht will ich ihm gar nicht ständig über den Weg laufen. Womöglich ist er ein Serienkiller, der nur den netten Kerl von nebenan gibt.“

      „Also bitte.“

      „Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit ist gering“, räume ich ein. „Aber trotzdem, möglich ist alles.“

      „Ich würde eher davon ausgehen, dass er ein netter Kerl ist, den es lohnt, näher in Augenschein zu nehmen – sofern er Single ist.“

      „Hört, hört, sie hat doch noch so was wie eine moralische Grenze“, fobbe ich meine Freundin. „Und selbst wenn er der nette Typ von nebenan ist – das heißt noch lange nicht, dass ich ihn kennenlernen muss. Auch wenn es dir schwerfällt, es zu glauben: Man kann Single sein, ohne verpflichtet zu sein, auf Tuchfühlung zu gehen, sobald man einem anderen Single über den Weg läuft.“

      „Du könntest ihn dir wenigstens mal genauer ansehen.“

      „Und du könntest mal darüber nachdenken, ob du weniger Liebesschnulzen konsumierst. Manchmal bist du schlimmer als jeder Groschenromanautor. Wahrscheinlich würdest du selbst Jesus verkuppeln, wenn er dir über den Weg liefe und gerade Single wäre.“

      „Mit Jesus bin ich nicht befreundet.“

      „Ich nehme an“, entgegne ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne, „das soll heißen, dass ich mich geehrt fühlen kann, dass du mich verkuppeln willst?“

      „Treffer.“

      „Blöd nur, dass ich überhaupt nicht verkuppelt werden will.“

      Anne seufzt, vielleicht ist es auch ein Stöhnen oder eine Mischung aus beidem. Ihrer Mission tut es allerdings keinen Abbruch. „Was, wenn dieser Alexander Koller der perfekte Mann für dich ist? So, wie du ihn mir beschrieben hast, scheint er nicht gerade schlecht auszusehen – und uninteressiert an dir ist er offenbar auch nicht, wenn er von Kaffee beim nächsten Besuch redet. Ihr könnt auf gute Nachbarschaft machen und lernt euch nebenbei ganz unverkrampft kennen, ohne dass du dich mit irgendwelchen anderen Frauen herumprügeln musst. Wo und wann bekommt man eine solche Chance heutzutage noch?“

      „Das ist wirklich ein ausgesprochen schöner Plan“, sage ich süß, „gäbe es nicht einen kleinen Hacken: Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann.“

      „Sagst du nicht immer, dass du keine Zeit hast Männer kennenzulernen oder dass die, die dir über den Weg laufen, nichts für dich sind?“

      „Das sage ich nicht immer, das habe ich einmal gesagt. Wobei ich vielmehr gemeint habe, dass ich keine Zeit und keinen Platz für einen Mann in meinem Leben habe“, korrigiere ich Annes Ausführung.

      „Und was ist mit dem Geschmachte und Geseufze, jedes Mal, wenn Chris Evans oder Josh Duhamel irgendwo mitspielen?“

      „Das sind Schauspieler, Anne. Die werden von jeder Frau angehimmelt, ohne dass ernsthafte Absichten dahinter stecken. Oder sollte sich Thomas Sorgen machen, weil du jedes Mal in Ekstase verfällst, wenn du Channing Tatum siehst?“

      „Es wäre einfach schön, wenn wir häufiger zusammen um die Häuser ziehen könnten“, schwenkt meine Freundin um. Das Wörtchen ´wieder` hängt fühlbar in der Luft. „Ich kann ja nachvollziehen, dass du dich wie das fünfte Rad am Wagen fühlst, wenn du mit lauter Pärchen unterwegs bist. Aber wenn es dich wirklich so stört, sorg dafür, dass du nicht mehr allein aufkreuzen musst.“

      „War für eine selbstlose Freundin du doch bist. Immer darauf bedacht an die anderen zu denken.“

      „Jetzt komm schon“, seufzt Anne, „ein Mann zum Ankuscheln hat doch wirklich was für sich! Wünscht du dir von Zeit zu Zeit nicht ein paar starke Arme?“

      Nun seufze ich. Es ist nicht ganz gelogen, was Anne da sagt. Ich wünsche mir schon einen Mann, irgendwie und manchmal. Es gibt wiederkehrende Situationen, in denen man quasi genötigt ist, sich einen Mann zu wünschen. Etwa, wenn man sich allein eine Schnulze ansieht, während man obendrein seine Tage samt Bauchschmerzen hat. Oder wenn man eine fette Spinne in seiner Wohnung entdeckt. Das ist aber auch schon alles. Wobei letzteres Problem sich manchmal auch durch meinen Kater löst.

      „Ein Mann wäre schon irgendwie schön“, komme ich meiner Freundin entgegen, um sie auszubremsen. „Aber es ist nicht so, dass ich unbedingt und auf jeden Fall einen brauche. Ich habe einen Job der mir Spaß macht, eine tolle Wohnung, Familie und Freunde, auf die ich zählen kann, wenn es darauf ankommt. Ich kann frei über das Fernsehprogramm oder das Ziel meines nächsten Urlaubs entscheiden, habe mein Bett für mich allein und kann tun, was ich tun will, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Wäre ich mit jemandem zusammen, würde sich das alles ändern, ich müsste Rücksicht nehmen oder auf Dinge verzichten. Warum sollte ich mir also einen Kerl anlachen, wenn ich doch glücklich mit meinem Leben bin, und zwar so, wie es ist? Das wäre doch überaus dumm – um nicht zu sagen, dämlich.“

      „Aus dir schlau zu werden, ist so gut wie unmöglich“, kommt es nun in überfordertem Tonfall durch den Hörer. „Mal sagst du so, mal sagst du so.“

      Ich öffne den Mund, entgegne aber nichts. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll. Nicht mal, wenn ich nur mir selbst antworten müsste, wüsste ich, wie ich mich erklären soll.

      Da ich am Zug bin, jedoch immer noch nicht aktiv werde, unterbricht Anne unser verbales Ping-Pong-Spiel und holt zum Doppelschlag aus. „Bist du mir böse, wenn wir jetzt Schluss machen? Thomas hat Semmeln vom Bäcker geholt und würde gerne frühstücken. Ist das in Ordnung? Wir können ja später noch mal telefonieren, wenn du willst?“

      „Das ist nicht nötig, wirklich. Lasst es euch schmecken und macht euch noch ein schönes Wochenende. Ach, und richte Thomas aus, morgens Semmeln zu holen statt bis mittags zu schlafen, zahlt Punkte auf das Guter-Ehemann-Konto ein.“

      Anne kichert. „Glaub nur nicht, dass er das nicht auch kann. Wenn er bis spät nachts mit den Jungs PSP gezockt hat, sehe ich ihn manchmal erst gegen Nachmittag wieder. Aber so lange das nicht zur Regelmäßigkeit wird, darf er ruhig das große Kind spielen. Vor allem, da er bald der alleinige Brötchenverdiener ist.“

      Ich grinse und sondere zeitgleich ein Glucksen ab.

      „Wir hören uns, Süße.“ Mit diesen Worten legt Anne auf, geht zurück zu ihrem Brötchen holenden Göttergatten und überlässt mich wieder meinem inneren und äußeren Chaos, von dem ich gerne wüsste, welches mich mehr beansprucht.

      Letzteres macht sich umgehend bemerkbar, als wollte es mir antworten.

      Einen Augenblick später weiß ich endlich, warum ich das Gefühl nicht loswerde, schon mal einen ähnlichen Moment durchlebt zu haben, wie neulich beim Italiener, als Anne mir von ihrer Schwangerschaft erzählt hat. Letztes Jahr, als sie mich nachts aus dem Bett geklingelt hat – per Telefon –, um mir von Thomas´ Heiratsantrag zu erzählen, ist die Situation ähnlich verlaufen. Einen in die Länge gedehnten Augenblick habe ich nicht gewusst, was ich sagen soll, war aus dem Häuschen und zugleich überrumpelt.

      5 – Anders als geplant

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      Sonntagabend.

      Eigentlich hatte ich ja geplant ein paar Einkäufe zu erledigen, doch die Scham meinem neuen Nachbarn oder einem seiner Helfer über den Weg zu laufen, ist größer gewesen als das Verlangen nach etwas Essbarem im Kühlschrank. Bei meinem derzeitigen Glück wäre ich ihm gewiss kaum, dass ich einen Fuß vor die Tür gesetzt habe, in die Arme gelaufen – und darauf hatte ich schlicht und einfach keine Lust.

      Das mit dem geplanten Faulenzen hat sich ebenfalls zerstreut. Gestern noch auf Nichts-Tun eingestellt, hat mich plötzlich der gegenteilige Drang überkommen. Ich wollte etwas tun, und zwar so richtig, mit körperlichem