Sandra Andrea Huber

Fühl, was du fühlst


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das gesamte Badezimmer geschrubbt, sämtliche Armaturen entkalkt und meinen Kühlschrank einmal komplett Grundgereinigt habe. Zumindest in dieser Hinsicht hat sich der spärlich gefüllte Innenraum als vorteilhaft erwiesen. Wäre meine Mutter hier gewesen, hätte sie gewiss ihre Lebensweisheit an den Mann gebracht: Alles ist für irgendetwas gut.

      Geschafft aber zufrieden, sitze ich nun auf dem Sofa und sehe mir eine der x-ten Wiederholungen von Grey´s Anatomy an, als sich ein Schrillen unter die Stimmen der Schauspieler mischt. Nicht das meines Telefons, sondern das der Klingel, wie mir nach einem Augenblick bewusst wird.

      Da ich niemanden erwarte und außerdem nicht scharf auf Besuch bin, beschließe ich kurzerhand das Läuten zu ignorieren. Wer immer etwas von mir will: Sollte es wichtig sein, wird er wiederkommen oder es über einen anderen Weg versuchen.

      Als es nochmals läutet und einen Augenblick später wieder, ruckle ich genervt auf dem Sofa herum und fange an, mich zu ärgern. Wieso geht, wer auch immer da klingelt, nicht einfach wieder weg und lässt mich in Ruhe? Das kann doch nicht so schwer sein? Ich könnte immerhin gerade in der Badewanne sitzen oder Spazieren sein.

      Ich stelle die Lautstärke höher, um das nervige Schrillen zu übertönen und ein paar Sekunden darauf verstummt es tatsächlich, sodass ich mich in Gänze meiner Serie und einer Tüte Lakritz-Schnecken widmen kann.

      Gerade als ich eine äußerst bequeme Position gefunden habe und das Kissen sich perfekt an meine Wange anschmiegt, ertönt ein Klopfen gegen Glas, das mich zusammenzucken lässt. Draußen, vor der Terrassentür, steht Alexander Koller.

      Unwillkürlich werfe ich einen Blick an mir herunter. Dunkelblaue Jogginghose und eine graue Strickjacke, die ihre besten Zeiten schon hinter sich hat. Meine Haare sind wüst zusammengebunden, der Pony ist verstrubbelt und mein Gesicht strotzt nicht unbedingt von makellosem Teint. Keine Frage, ich bin schick genug für meine eigenen vier Wände, aber nicht für Besuch – schon gar nicht diesen.

      Das scheint Alexander Koller jedoch keineswegs zu stören oder zum Rückzug zu bewegen. Abermals klopft er mit der Faust gegen das Fenster, dann formt er mit den Händen einen Trichter und schiebt sich näher an das Glas heran. Zweifelsohne, um besser durch die spiegelnde Scheibe spähen zu können.

      Ich frage mich, wie viel er erkennen kann und was ich jetzt machen soll. Es widerstrebt mir – aus mehreren Gründen – die Tür aufzumachen, aber ihn ohne Reaktion dort stehenlassen, kann ich auch nicht. Die Situation ist ähnlich der von gestern Morgen. Wegrennen funktioniert ebenso wenig wie ignorieren.

      Egal was Anne sagt, dass Alexander Koller hier eingezogen ist, ist alles, nur nicht die perfekte Vorlage für eine romantische Lovestory mit Happy End. Mich persönlich erinnert es mehr an eine subtile Form von Psychoterror, was jedoch auch an meiner verqueren Gefühlssituation liegen kann. So viel Melodramatik wie in den letzten sechsunddreißig Stunden lege ich üblicherweise nicht an den Tag. Ebenso werde ich innerhalb von sieben Tagen nicht von derart vielen Veränderungen überschwemmt. Dass ich heute eine Hose und Weste trage, sollte ich wohl dankend zur Kenntnis nehmen.

      Mit einem inneren Seufzen stehe ich auf, gehe in ruhigen Schritten zur Tür, ziehe den purpurnen Fadenvorhang beiseite und schenke meinem Nachbarn ein mühsames Lächeln. Dann kippe ich den Griff nach unten, ziehe die Tür auf und postiere mich hinter dem Holzrahmen, sodass ich halbseitig verdeckt bin.

      „Hallo.“

      „Hallo“, erwidere ich den Gruß mit einem aufpolierten Lächeln. „Gibt es irgendein Problem?“

      „Problem?“

      „Na, weil Sie auf meiner Terrasse stehen.“ Ich kann nicht verhindern, dass ich die Brauen zusammenziehe. Wenn er hier ist, um sich über mich lustig zu machen, kann er gleich wieder verschwinden. Eigentlich kann er auch so verschwinden. Was will er nur von mir? Ich verlagere das Gewicht auf den anderen Fuß.

      „Ach so, nein, alles in bester Ordnung. Ich dachte nur, ich versuche es mal hinterm Haus, weil ich mir sicher war, dass Sie Zuhause sind.“

      „Ich habe die Klingel nicht gehört.“

      Mein Gegenüber legt den Kopf schief, um die Augen bilden sich kleine Fältchen. „Ich habe nicht gesagt, dass ich geklingelt habe.“

      Als mir mein Fehler bewusst wird, räuspere ich mich verlegen. Verdammter Mist, verdammter.

      „Halb so wild. Wenn ich den Fernseher laufen habe, höre ich es auch oft nicht, wenn jemand anruft oder vor der Haustür steht.“

      Versucht er mir gerade aus der Klemme zu helfen?

      Aus Richtung meines Fernsehers ist ein energisches Wortgefecht zu hören, woraufhin mein frisch gebackener Nachbar neugierig die Ohren spitzt.

      „Ähm“, ich werfe einen raschen Blick auf die Mattscheibe. „Ich war noch auf der Suche nach dem richtigen Sender.“

      Alexander Koller beugt sich mit dem Oberkörper ins Zimmer, späht zum Fernseher und feixt. „Mit Cristina Yang würde ich mich auch nicht anlegen wollen.“

      Ich stutze.

      „Meine Schwester hat ihre Vorliebe für die Serie oft genug mit mir geteilt – oder mich damit gefoltert. Je nachdem, wie man es nennen will. Auf jeden Fall bin ich ziemlich gut ins Bild gesetzt, was den Greyschen Kosmos angeht. Die fundamentale Frage lautet demnach McDreamy oder McSexy?“

      Ich sehe ihn mit großen Augen an, er sieht mich mit großen Augen an. Wartet er allen Ernstes auf eine Antwort?

      „Unentschieden, denke ich.“

      „Und da heißt es immer, Frauen könnten sich nicht entscheiden.“ Alexander Koller schmunzelt. „Aber, um fair zu bleiben, es gibt schlimmere Serien. Die hier hat wenigstens spritzige Dialoge und starke Charaktere.“

      Ich bin positiv überrascht, schenke ihm ein ehrliches, wenn auch nur angedeutetes Lächeln, dann besinne ich mich wieder auf das Wesentliche. „Was wollten Sie denn nun von mir?“

      „T'schuldigung“, entgegnet er und kratzt sich an der Wange. „Ich habe Talent vom eigentlichen Thema abzukommen. Ich wollte Sie für Freitagabend zu mir einladen, als Entschuldigung dafür, dass ich Sie gestern aus dem Bett geworfen habe – und zum Kennenlernen. Immerhin wohnen wir von jetzt an quasi Tür an Tür.“

      Noch jemand, der sich aufgerufen fühlt das Offensichtliche auszusprechen. Vielleicht würde er besser zu Anne passen als zu mir. Erst einen Moment später, zeitversetzt sozusagen, habe ich verarbeitet, was er außerdem gesagt hat.

      „Ähm, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Ich kann hören, wie unbeholfen meine Stimme klingt, was nicht bedeutet, dass ich etwas daran ändern kann. „Wir kennen uns genaugenommen überhaupt nicht und eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit. Sie müssen nichts gutmachen, falls es darum geht – immerhin habe ich nicht nur eingesteckt, sondern auch ausgeteilt.“ Ich suche nach den richtigen Worten, was mir leichter fallen würde, wenn ich wüsste, was an diesem Punkt unserer Unterhaltung die richtigen Worte wären. Damit habe ich nun gar nicht gerechnet.

      Alexander Koller stützt sich mit dem rechten Arm am Türrahmen – meinem Türrahmen! – ab und mustert mich leicht irritiert, ehe sich schließlich ein Ausdruck des Verstehens auf seinem Gesicht ausbreitet.

      „Tut mir leid, das war gemein von mir. Ich hab Sie ja quasi ins offene Messer laufen lassen. Ich gebe Freitag ab zwanzig Uhr eine kleine Einweihungsparty für meine Umzugshelfer und ein paar Freunde. Da die nicht unbedingt leise wird, trifft es sich gut, wenn die Hausbewohner auch da sind. Außerdem müsste ich kein schlechtes Gewissen haben, weil ich Ihnen schon wieder den Schlaf raube.“

      Langsam frage ich mich, ob ich, ohne es zu wissen, ein Abo der Peinlichkeiten abgeschlossen habe. Quasi ein Garant für Fettnäpfchen jeder Art, insbesondere was das Aufeinandertreffen mit meinem neuen Nachbarn angeht. Daran sind ohne Frage Margarete und Anne mit ihrem Gerede über Dates und Love Next Door schuld. Gut, mein Hello Kitty Bademantel ist auch nicht ganz unbedeutend.

      „Wie sieht es aus? Zeit und Lust?“

      „Diesen