Axel Lechtenbörger

Schlafe mein Kind, bevor du stirbst


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von seinem Bauch, um mit einem dumpfen ›Klock‹ auf den hölzernen Schiffsboden zu fallen. Seine Zunge liegt wie ein Stück faulendes Fleisch in seinem Mund und sein Kopf dröhnt wie nach einem AC/DC Konzert.

      Die zugezogenen Gardinen schwingen hin und her. Das kleine Kajütboot, auf dem er genächtigt hat, schaukelt unruhig auf dem Wasser des Hafenbeckens. Wirre Träume und ein Geräusch haben ihn aufschrecken lassen. Er lauscht. Er hört die Wellen, die an die Außenwand des Bootes plätschern und wahrscheinlich durch ein vorbeifahrendes Schiff ausgelöst wurden.

      Schwindel und Übelkeit überfallen ihn. Da! War da nicht wieder dieses Geräusch? Tatsächlich, jetzt hört er deutliche Schritte auf den Planken. Jemand ist an Bord. Vielleicht der Eigentümer des Bootes? Das wäre natürlich in Ordnung, er hatte ja seine Erlaubnis, hier zu übernachten, aber ist es nicht ein bisschen zu früh für einen Besuch? Vielleicht ist es aber auch ein Einbrecher? Hier würde es für ihn allerdings nichts zu holen geben. Hatte er nach seiner Ankunft etwa vergessen, das Tor des Anlegers, auf dem der Hafen-Brunnen und das alte Vermietschluppchen stehen, hinter sich abzuschließen? In dem Zustand heute Nacht wäre das kein Wunder, so besoffen wie er war. Er schwingt sich aus der Koje und tritt dabei gegen die leere Flasche, die daraufhin bis an die Bordwand kullert. Maik wird es plötzlich schwindelig. Wieder hört er diese Geräusche. Er öffnet lautlos die Tür, um vorsichtig hinauszublicken. Es ist noch dunkel und er sieht kaum etwas. Er vernimmt, wie kleine Wellenberge unregelmäßig gegen die Bootswand klatschen. Er setzt einen Fuß auf das holzbeplankte Oberdeck und hebt die leere Whiskeyflasche an, die er als Waffe in der Hand hält, als er einen Schatten am Bug erkennt.

      »Was haben Sie hier zu suchen?«

      Das Boot beginnt jäh zu schaukeln, wie der Unbekannte sich ihm zuwendet und sich dabei an der Reling festhalten muss, um nicht zu stürzen. Er antwortet nicht.

      »Was haben Sie hier zu suchen? Wer sind Sie?«, wiederholt Maik seine Frage.

      Der Schatten verliert das Gleichgewicht, und wenn er nicht in die Hocke gegangen wäre, dann wäre er jetzt rücklings über Bord gefallen.

       »Ich habe es nicht gewusst, ehrlich«, lallt der Fremde mit weinerlicher Stimme, erhebt sich mit wackligen Beinen und streckt einen Arm aus.

      Maik erwartet einen Angriff und holt ebenfalls mit seiner Whiskeyflasche aus. Er ist zwar ein Krüppel, aber nicht kampfunfähig. Der unbekannte Mann führt die Flasche an seinen Mund und nimmt einige tiefe Züge. Maik entspannt sich etwas. Eine groteske Situation, in der beide eine Flasche in der Hand halten. Wie bei einem Zechgelage, sie brauchten sich nur noch zuzuprosten.

      »Was haben Sie nicht gewusst«, raunt Maik seinem Gegenüber gefährlich ruhig zu und lässt seinen erhobenen Arm langsam sinken, wie er bemerkt, dass ihm keine unmittelbare Gefahr droht. »Dass Sie auf dem falschen Boot sind?«

      Der Fremde verleibt sich in tiefen Zügen den Schnaps ein.

      »Sie sind ja völlig betrunken, Mann. Was wollen Sie?« Maik wird es allmählich zu bunt.

      »Erinnerst du dich nicht an mich?«, lallt der Fremde.

      Maik kann den Typen kaum verstehen.

      »Tut mir leid, aber ich kenne Sie nicht. Und jetzt verschwinden Sie von hier.« Maik deutet auf die Laufplanke. »Dort können Sie das Boot wieder verlassen!«

      Aber der Fremde streckt ihm seine Flasche entgegen.

      »Erinnerst du dich wirklich nicht an mich? Ich bin wohl etwas fülliger geworden und trage einen Bart. Ist ja auch schon ein paar Jahre her.«

      Maik hat jetzt das Gefühl, dass er die Stimme schon einmal gehört hat. Ist das nicht Ronny? Ronny Kuhlmann?

      »Ronny?«, fragt Maik ungläubig. Ronny war ein ehemaliger Kollege von ihm. Er war einer von denen, der den anderen stets die gefährliche Arbeit überließ, selbst aber immer die Lorbeeren einheimsen wollte. Er hat ihn noch nie leiden können.

      »Ich habe nicht gewusst, dass er sie töten wollte. Er hat es billigend in Kauf genommen, dass sie dabei sterben würden. Es sollte nach einem Unfall aussehen und du solltest dabei ebenfalls sterben.« Theatralisch streckt er seinen Arm mit der Flasche aus, wobei Alkohol aus dem Flaschenhals spritzt. »Ich weiß jetzt, was für ein Schwein er ist, und deswegen will ich nichts mehr damit zu tun haben.«

      »Du bist ja völlig betrunken, Mann. Womit willst du nichts mehr zu tun haben? Erzähl mir jetzt endlich, mit was du nichts mehr zu tun haben willst!«

      Maik nervt es, er hasst es, mit Betrunkenen zu reden, die in Selbstmitleid zerfließen und nicht auf den Punkt kommen wollen.

      »Es ist fünf Jahre her, seit deine Familie tot ist. Ihr wolltet zu einem Arzt fahren, du warst aber wegen eines kurzfristigen Einsatzes verhindert. Er hat es wie einen Unfall aussehen lassen.«

      Maik atmet schwer. Natürlich weiß er das noch. Es hat sich wie Säure in sein Gehirn eingefressen, nur dass es kein Arzt war, zu dem sie wollten, sondern ein gottverdammter Tierarzt. Anschließend wollten sie den Nachmittag noch für einen Trip in die Fasanerie nutzen, dem Tier- und Pflanzenpark, in dem die beiden Rehkitze Max und Moritz aufgepäppelt wurden, die bei einem Autounfall aus dem Bauch des Muttertieres gerissen und auf die Straße geschleudert wurden.

      »Eigentlich solltest du getötet werden, Maik.« Ronny reißt ihn aus seinen Gedanken.

      Maiks Körper beginnt zu zittern. Was sagt Ronny da? Maiks Ohren rauschen. Seine Worte klingen dumpf, als hätte jemand seinen Kopf mit Watte vollgestopft.

      »Er wollte dich töten, Maik. Dass deine Familie dabei auch draufgeht, interessierte ihn nicht. Bei deinem späteren Crash ging es dann auch schief, Mario hatte dich ja noch rechtzeitig aus dem brennenden Auto herausziehen können.«

      Maik ist fassungslos. Was Ronny ihm da gerade mitteilt, ist im Moment zu ungeheuerlich für ihn.

      »Er lässt dich beobachten, seitdem du aus dem Koma erwacht bist, auch von mir. Er will mit dir ein Spiel spielen«, lallt er mit schwerer Zunge. »Aber auf einmal ist er so merkwürdig.«

      Ronny nimmt einen ordentlichen Schluck aus seiner Flasche, setzt sie wieder ab und stiert ihn aus gläsernen Augen an. Fusel rinnt an seinem Mundwinkel herab. Ganz in der Nähe vernimmt Maik auf dem Wasser einen leise, blubbernden Außenborder eines Bootes.

      »Wer ist das, der mich töten will?« Maik meint, unvermittelt einen unruhigen roten Lichtpunkt an Ronnys Kopf aufleuchten zu sehen, er kann sich aber auch getäuscht haben.

      »Ich werde es dir gleich sagen, du würdest es sowieso niemals rauskriegen«, stammelt er. »Dieses Arschloch. Ich habe es ihm ins Gesicht gesagt, dass ich bei so was nicht mehr mitmachen werde. Vielleicht wird er jetzt auch Ivo auf mich loslassen, aber das ist mir scheißegal.«

      »Wer will mich töten?«, wiederholt Maik seine Frage.

      Wieder taucht ein rotleuchtender Punkt an Ronnys Schläfe auf. Plötzlich spritzt Blut aus dessen Schädel. Ronny kippt rückwärts über die Reling, die Flasche Fusel entgleitet seiner Hand und scheppert auf die Decksplanken. Maik vernimmt, wie sein Körper auf die Wasseroberfläche des Hafens aufschlägt. Über ihm knallt es trocken, daraufhin hört er einen schmerzhaften Aufschrei. Maik blickt nach oben und fast gleichzeitig trifft ihn ein heftiger Schlag gegen die Schläfe. Seine Kappe trudelt davon. Er wird durch die Wucht der Kugel über die Reling geworfen, etwas zippt noch schmerzhaft zwischen seinem Arm und seinen Rippen hindurch. Maik taucht ohne Besinnung in den kalten Fluss. Sein Mantel saugt sich voll und zieht ihn in die Tiefe. Wasser dringt in seinen Mund und in seine Nase, er spürt das aber nicht. Bilder seiner ertrunkenen Frau und Tochter flackern in ihm auf.

      Maik! Lauras Stimme ist unvermittelt in seinem Kopf.

      Sie liegen zusammen in ihrem Bett und sie hat ihren Kopf auf seine Brust geschmiegt. Ihre langen Haare kitzeln an seiner Nase.

      Schläfst du schon?

      Er will schlafen, eine unsägliche Müdigkeit erfüllt ihn. Maik möchte erwidern, dass sie ruhig sein soll,