Axel Lechtenbörger

Schlafe mein Kind, bevor du stirbst


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zäh wie Brei. Lass mich ihn in Ruhe, will er sie anschreien, doch er bekommt keinen Ton heraus.

      Von der Zimmerdecke regnen plötzlich mächtige Wassertropfen auf ihn herab. Lauras Kopf wird von seiner Brust gespült.

      Maik, du darfst jetzt nicht einschlafen, schreit sie ihn an. Sie springt auf und schlägt ihm mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. Er ist wütend, will sie von sich reißen und ihre Handgelenke fassen, aber er kann sich nicht bewegen.

      Maik, wir müssen gleich zum Tierarzt, die Katzen müssen geimpft werden! Sie schlägt ihm mit der linken, dann mit der rechten Hand ins Gesicht.

      Maik vernimmt unvermittelt den Klingelton seines Handys:

       Die Liebe macht uns stark

      Der Regen, der zunächst von der Zimmerdecke tropfte, steigert sich allmählich zu einem Wasserfall.

       … uns nichts zu trennen vermag

      Irgendwie kann Maik nach seinem Handy greifen, aber alles wirkt so unreal.

      … wir lieben uns so sehr,

      ganz fest und immer mehr.

      Er hört, wie eine Frauenstimme zu ihm spricht, versteht aber nichts von dem, was sie sagt. Er will ihr antworten, aber das Schlafzimmer ist von Wasser geflutet, es strömt ihm in Mund und Nase.

      Maik, wach auf!

      Lauras Stimme holt ihn endlich aus tiefster Besinnungslosigkeit. Er erkennt, dass er zu ertrinken droht und schlägt panisch mit seinen Armen und Beinen um sich. Er spürt etwas Schlammiges unter seinen Füßen und stößt sich mit aller Kraft ab, um im letzten Moment die Wasseroberfläche zu erreichen. Maik hustet und kotzt Wasser. Mit hektischen Armbewegungen schwimmt er über der Wasseroberfläche und die nasse Kleidung droht ihn immer wieder in die Tiefe zu ziehen. Er konzentriert sich. Was war geschehen?

      Schlagartig wird ihm bewusst, dass auf sie geschossen wurde, auf Ronny und ihn. Maik sieht sich um. In etwa hundert Metern dümpelt ein Schlauchboot auf den Wellen. Ein Scheinwerfer gleißt jetzt dort auf und taucht das Kajütboot, in dem er genächtigt hatte, in grelles Licht. Der Lichtkegel wandert über die Wasseroberfläche und kommt ihm gefährlich nah. Rechts von sich erkennt Maik die Anlegestelle. Er holt tief Luft und bevor der Schein der Lampe ihn erreicht, ist er untergetaucht. Der Mantel, der wie eine zweite Haut an ihm klebt, behindert ihn, aber er kann ihn jetzt unmöglich ausziehen. Kurz darauf rauschen die Antriebspropeller eines Außenborders über ihn hinweg. Hastig taucht Maik weiter und hofft in der Nähe des Ufers anzukommen, aber viel Sauerstoff ist ihm nicht geblieben. Das brausende Geräusch der Schiffsschrauben entfernt sich. Mit letzter Kraft taucht Maik weiter, seine Lungen scheinen bersten zu wollen.

      Weiter, weiter, nur noch ein paar Meter, brüllt es in ihm. Sein Selbsterhaltungstrieb setzt ein. Er muss jetzt sofort auftauchen und Luft holen! Jetzt sofort! Er stößt mit seinen Händen gegen einen Pfeiler, schnellt hoch, reißt seinen Mund auf und schnappt pfeifend nach Luft. Gott sei Dank, er hat eine der Bootsanlegestellen erreicht. Maik kann gerade noch erkennen, wie das Boot in Richtung Dyckerhoff-Brücke verschwindet. Er muss jetzt schleunigst aus dem kalten Wasser heraus, schwimmt an eine in den Rhein ragende Stahlleiter heran und klettert daran hoch. Dann überwindet er irgendwie den Zaun des Anlegers, um auf der anderen Seite erschöpft liegen zu bleiben.

      Maik friert fürchterlich. Starke Kopfschmerzen plagen ihn. Er tastet nach seiner Schläfe, wo seine Haut eine hässliche Furche bekommen hat. Eine Narbe mehr oder weniger, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an, geht es ihm sarkastisch durch den Kopf. Aus einem Riss am Ärmel seines Mantels sickert Blut hervor. Er zieht ihn aus und erst jetzt spürt er seine schmerzenden Rippen. Ein Streifschuss, die Kugel war zwischen Arm und Rippen hindurchgefahren und hat dabei Fleisch von den Knochen gerissen. Blut läuft ihm auch von der Schläfe hinab und tropft auf seinen Ärmel.

      Oh Ronny, welchen Namen wolltest du mir nur nennen?

      Maik muss schleunigst von hier verschwinden und seine Verletzungen behandeln lassen. Ihm fällt die Ärztin ein, vielleicht steht sie ja zufällig bei der Barke.

      Er friert und seine höllisch schmerzenden Rippen plagen ihn. Sein Kopf dröhnt, als würden die Glocken von Rom seinen Abschied einläuten. Er schleppt sich mühsam die Hafenstraße entlang und lehnt sich erschöpft an eine der mächtigen Platanen. Um die Blutung zu stillen, hat er sich seinen Mantel unter den Arm auf die Wunde geklemmt. Das Blut, das ihm mit Wasser verdünnt durch das Hosenbein in den Stiefel rinnt, läuft aus den Löchern der Sohle wieder hinaus.

      Ronnys Worte gehen Maik wieder durch den Kopf.

      »Er wollte dich töten«, hatte dieser zu ihm gesagt.

      Zweimal sollte Maik schon von ihm ermordet werden, heute war es das dritte Mal. Erst jetzt wird ihm das gesamte Ausmaß so richtig bewusst. Ronny war damals die undichte Stelle im LKA gewesen. Er hatte Maiks Ermittlungen verraten. Wer ist diese Person, die ihn töten will? Maik rutscht langsam an der Platane, an die er sich rücklings angelehnt hat, herab. Hier hatten sie sich fotografieren lassen, damals, als sie geheiratet hatten. Laura wollte in ihrem Hochzeitskleid fotografiert werden, hier, in der Nähe der Barke, wo sie gefeiert hatten, erinnert er sich. Was hatten sie für einen Spaß gehabt. Maik lächelt wehmütig. Eigentlich hatten sie damals gar nicht vor zu heiraten. Aber wie das Leben eben immer so spielt. Sie lernten sich zufällig am Ufer des Rheins kennen, wo Maik mit seiner Clique am Lagerfeuer saß, an den Saiten seiner Gitarre zupfte und den Song ›Hurt‹ von Johnny Cash sang. Laura spazierte zufällig mit einer Freundin vorbei, sie blieben stehen und lauschten Maiks Musik. Sie hockten sich auf einen Baumstamm, der dort irgendwann einmal ans Ufer geschwemmt worden war. Laura war fasziniert von seiner Stimme und seinem Gitarrenspiel. Sie sagte ihm später einmal, dass ihr Tränen in den Augen standen, nachdem er ›Hurt‹ gesungen hatte. Sie kamen ins Gespräch und verabredeten sich auf einen Kaffee. Aus diesem Kaffee wurde mehr. Als er ihr offenbarte, dass er bei der Kripo sei, war sie zuerst etwas skeptisch. Aber dann legten sich ihre Bedenken. Sie meinte, er würde mit seinem Job für die Menschen ja auch viel Gutes tun, und wenn ein Mensch sich für etwas entschieden hat, wofür er brennt, dann muss er das auch tun. Sie war nicht der Typ Frau, die jemandem ihre Meinung aufzwingen wollte, er möge aber vorsichtig sein, denn wenn ihm etwas passieren würde, dann würde sie es nicht überleben.

      Wenn er abends später als sonst nach Hause kam und sie schlaflos im Bett lag und auf ihn wartete, tat sie ihm jedes Mal unendlich leid.

      Aber dann wurde ihre Tochter Denise geboren und Maik kümmerte sich liebevoll um beide. Er brachte Denise das Gitarrenspielen bei und Laura schaute glücklich zu, wenn Denise das neu Erlernte auf der Klampfe zum Besten geben konnte. Eines Tages, als er nach Hause kam, hörte er die beiden den abgeänderten Song ›Hurt‹ leise singen, wobei Denise sie mit der Gitarre begleitete. Maik bekam eine Gänsehaut, als er dem abgeänderten Text lauschte:

      Die Liebe macht uns stark

      uns nichts zu trennen vermag

      wir lieben uns so sehr

      ganz fest und immer mehr.

      Er vernahm Lauras sanfte Stimme:

      Uns wird nie etwas trennen

      für immer wir vereint

      mein Herz beginnt zu brennen

      wenn mein Kindlein weint.

      Denise begleitete sich selbst beim Gitarrenspiel und Maik hörte dann ihre glockenzarte Mädchenstimme:

      Ich liebe euch so sehr

      euch beide Tag für Tag

      ich geb´ euch nicht mehr her

      was auch geschehen mag.

      Tränen steigen Maik ins Auge, wie er daran zurückdenkt. Sie hatten das Lied aufgenommen und ihm den Speicherstick geschenkt. Er trägt ihn immer bei sich, wasserdicht verpackt, in der Hosentasche. Er hatte sich ihren Song direkt als Klingelton auf sein Smartphone gespeichert.

      Maik