Dr. Holger Wyrwa

Hommage an mich


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sie ihre Augen öffnete.

      Es lief perfekt.

      Gudrun rekelte sich. Ein tiefes Stöhnen kam aus ihrem Rachenraum, was mich immer an das Gurgeln eines Ertrinkenden erinnerte, ohne dass die entsprechende Folge eintrat.

      Sie sah mich schläfrig an, während ich aufgeregt aufsprang und mir die Decke dabei von den Knien rutschte.

      „Gudi, Gudi, du bist wieder da!“ rief ich entzückt.

      Ich streckte beide Hände in die Höhe. Ein wenig theatralisch. Ich gebe es zu.

      „Oh, mein Gott. Oh, mein Gott!“ schrie ich begeistert.

      Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie überschwänglich.

      „Was ist los?“ murmelte sie, sichtlich überrascht über meine heftige, für sie ungewohnte Reaktion. Sie wälzte sich schwerfällig auf den Rücken, behielt mich jedoch aus den Augenwinkeln im Blick.

      „Du bist wieder da. Du bist wieder da!“ rief ich nach wie vor entzückt.

      Sie stützte sich mit den Händen ab und richtete sich langsam ein wenig auf.

      „Heh?“

      „Mein Gott, Gudi!“ rief, nein, schrie ich.

      „Ich habe gedacht, du wachst nie mehr wieder auf!“

      Gudruns Gesichtszüge strafften sich. Sie wurde wacher und wacher.

      „Wieso sollte ich nicht aufwachen, Schatz!“ murmelte sie immer noch leicht schläfrig und gähnte.

      Ich schlug beide Hände vor mein Gesicht, und es gelang mir tatsächlich, einige Tränen zu vergießen.

      „Du hast im Koma gelegen, Liebling!“

      „Im Koma!“ echote sie. Ihre Augen verdrehten sich. Erst nach rechts, dann nach links.

      „Ja im Koma, Gudi. Seit drei Jahren bist du nicht mehr aufgewacht. Du warst im Krankenhaus. Vor drei Monaten habe ich dich nach Hause geholt, weil ich es nicht mehr ohne dich ausgehalten habe!“

      Ich küsste wieder ihr Gesicht.

      Sie war plötzlich hell wach. Ihr Blick fiel auf den Kathederbeutel.

      „Du spinnst doch. Was ist das?“

      „Da urinierst Du rein, Gudi!“

      Gudrun wurde bleich.

      „Achtmal täglich wechsele ich den Beutel aus!“

      Ich schob den Kathederbeutel mit dem Fuß vorsichtig unter ihr Bett.

      „Das solltest Du nicht sehen, Schatz!“ erklärte ich ihr mit bedrückter Stimme.

      Eine leichte Panik schoss in ihre Augen.

      „Das kann doch nicht sein!“

      Ich nickte eifrig.

      „Doch, doch, mein Liebling!“

      Mein Gesicht strahlte immer noch vor Freude.

      Ich deutete auf ihren Nachttisch, wo sich die Tablettenschachteln häuften.

      „Sieh mal, die vielen Medikamente, die ich dir geben muss!“

      Ihr Blick verdüsterte sich. Eine schnell aufschießende Panik erreichte ihr Gesicht und breitete sich wie eine sichtbare Infektion aus: Sie erstarrte zu Stein.

      „Wie lange war ich weg, sagst du?“

      „Drei Jahre, liebe Gudi. Drei fürchterlich lange Jahre!“

      Gudrun sah auf ihren Wecker mit der Datumsanzeige.

      Hastig griff sie danach. Sie hielt ihn sich dicht vor die Augen. Wie hypnotisiert starrte sie darauf.

      „12.03.2002!“ brüllte sie entsetzt und schleuderte den Wecker durch die Luft, als wäre er eine gleich explodierende Bombe.

      „Drei Jahre. Drei Jahre!“ schrie sie mit einer für sie bei weitem untypischen Energie.

      Sie weinte.

      „Eine lange Zeit!“ bestätigte ich ihr mitfühlend und setzte mich neben ihr auf das Bett und streichelte zärtlich ihre Wange.

      Sie heulte und heulte, wie ein Kind, das keinen Nachtisch bekommen hat.

      Gudrun ließ sich nicht beruhigen.

      Immer wieder stieß sie gebetsmühlenartig die zwei für sie schicksalhaften Worte aus: „Drei Jahre!“

      Sie weinte ohne Unterlass.

      Ich versuchte, sie zu trösten. Es misslang kläglich.

      Nach einer Weile wurde es mir zu langweilig, und ich ließ sie alleine.

      Ich schloss die Tür hinter ihr.

      Gedämpft, aber immer noch deutlich zu hören, weinte und jammerte sie.

      Ich stellte den Fernseher auf laut.

      Irgendwann am Abend fand sie heraus, dass sie nicht drei Jahre im Koma gelegen hatte.

      Eine ganze Woche sprach sie kein einziges Wort mehr mit mir.

      Es gab Schlimmeres.

      Drei Jahre später ließ ich mich von ihr scheiden. Sie hatte versucht, mir das Leben zu nehmen. Auf eine perfide, hinterlistige Art und Weise.

      Mei lafly riders, wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die Ehe ist ein Gericht, das nur in den Flitterwochen keine Verdauungsbeschwerden bereitet. Aber selbst die Liebe, die immer einem verhängnisvollen Prozess zunehmender Verzweiflung durchläuft, wird, sowohl im Allgemeinen als auch im Speziellen bei weitem, überschätzt. Ich weiß, wovon ich rede. Wie sagte schon der deutsche Philosoph Martin Heidegger: „Die Hölle, das sind die anderen“. Nie ist man dieser Hölle näher, als in einer Ehe und in der Liebe. Wer dem Irrtum erliegt, sich einen eigenen Uterus der Zweisamkeit bauen zu müssen, um vor der Welt unendlicher Auseinandersetzungen entfliehen zu wollen und um sich in die verlogene Sicherheit einer Beziehung zu flüchten, kann nur scheitern. Allerdings dürfen wir dabei nicht vergessen, dass eine kranke Portion an Optimismus zu jedem einigermaßen gelungenen Leben dazu gehört.

      Das Kapitel der Liebe, das Zusammensein mit einer Frau, der man lebenslang vertrauen kann, die einem Geborgenheit gibt, schien für mich abgeschlossen zu sein. Auf ewig. Doch dann lernte ich nur wenige Wochen später Lisa auf dem Oktoberfest kennen. Sie war jung. Hübsch. Vierzehn Jahre jünger als ich. Sehr intelligent, dachte ich damals. Eine Täuschung wie sich langsam herausstellte. Und das Elend begann von neuen und nahm seinen verhängnisvollen Verlauf. Denn auch diese Ehe mit Lisa endete in einer vollständigen Katastrophe. Die Liebe ist eine Illusion, die mit Fantasie gefüttert wird.

      Wie Gudrun war auch sie schon bald von Neid auf mich zerfressen. Und auch sie sann darauf, mein Leben zu zerstören. Über Jahre mischte sie ein toxisches Gift unter mein Essen. Der Name dieses verhängnisvollen Medikamentes: Finasterid.

      Dieses rezeptpflichtige Medikament hatte sie sich, mit einer für mich bis heute nicht vorstellbaren kriminellen Energie, aus dem Darknet besorgt. Nie wäre ich ihr auf die Spur gekommen, ja hätte nicht einmal geahnt, dass es eine solche gab, wenn sie nicht eines Tages eine Nachlässigkeit begangen hätte, die immer dann wahrscheinlich wird, wenn eine Gewohnheit mit der Zeit die Aufmerksamkeit einschläfert. Ein Moment der Unaufmerksamkeit, der mangelnden Koordination zwischen Fuß und Hand und dem bereits zu früh abgewendeten Blick von dem Ort der vermeintlichen Entsorgung dieses toxischen Präparats führte dazu, dass die Packung neben meinen Treteimer fiel und dort, von ihr unbemerkt, liegen blieb. So fand ich in meiner Küche eine leere Schachtel mit der Aufschrift Finasterid. Ich hob sie achtlos auf und war schon im Begriff, sie mit einer nicht weniger achtlosen Bewegung in den Abfallbehälter zu werfen, als mein Handy klingelte. Ich nahm den Anruf entgegen und spielte nachlässig mit der Packung in meiner rechten Hand. Dabei fiel mein Blick auf die Beschriftung. In nur Bruchteilen von Sekunden wurde diese an und für