Dr. Holger Wyrwa

Hommage an mich


Скачать книгу

Vater.

      Ich war da.

      Einst wurden die Söhne von Göttern in der Stunde ihres Erscheinens in der Welt auf eine besondere Weise begrüßt. Und auch meine Geburt war nicht minder ein Zeichen meiner zukünftigen Bedeutung: Der größte Heiler aller Zeiten zu werden.

      Wäre ich schon damals, als ich roh von der Hand eines Gynäkologen aus dem Leib meiner Mutter gezerrt wurde, Herr meiner Sinne gewesen, hätte ich diesem Augenblick bereits den gebührenden Respekt gezollt.

      Noch heute denke ich oft an diesen Augenblick zurück und stelle ihn mir vor: Die Geburt eines großen Mannes in einem unbedeutenden Stadtkrankenhaus ohne Format und einem Gynäkologen, von dem heute niemand mehr spricht.

       *

       09.09.2016

       Gott sei dank ist meine Verdauung gut. Obwohl. Trotzdem: Lieber einen harten Stuhl als gar keinen.

       Denke schon seit Tagen über einen Titel für meine Autobiographie nach. Habe drei zur Auswahl: „Ich, Justus Raab, Heiler der Welt!“; „Der Königsheiler Justus Raab!“; Ein Meister aus Deutschland: Der Königsheiler Justus Raab“. Ich glaube, ich werde mich für den letzteren entscheiden. Hat die nötige Dramatik. Der Untertitel: Memoiren eines Ausnahmegenies. Muss Ruth morgen davon unbedingt in Kenntnis setzen.

       Platz im Text für folgende Urlaubsgeschichte finden: Neulich sah ich in einem Hotel eine Frau beim Frühstück. Sie schlang gekochte, allerdings vorher geschälte Eier nacheinander herunter, ohne sie zu kauen. Sie legte auf diese unnachahmliche Weise einen Stock von Eiern in sich an. Endlich erschloss sich mir die tiefere Bedeutung des Begriffs Eierstock.

       10.09.2016

       Schlecht geschlafen.

       Im Fernsehen Bericht über Schuga-Daddys gesehen. Widerlich. Diese alten Säcke suchen sich junge hübsche Frauen und bieten ihnen Monatsgehälter dafür an, dass sie mit ihnen ficken und sie nach wohin auch immer begleiten. Wie tief muss man gesunken sein, umso so etwas zu tun. Unbegreiflich. Obwohl, wenn man genug Geld hat.

       Überlege, ob ich den ersten Satz meiner Autobiographie verändern soll. Gefällt mir nicht. Vielleicht so: Fantasien, die sich um geliebte Menschen wickeln, bedürfen nur der Zeit, um in sich zusammenzufallen. Finde es so prägnanter. Austauschen.

       11.09.2016

       Heute von Jasmin geträumt. Kam des Nachts in mein Zimmer geschlichen, wie eine läufige Hündin. Unter dem weißen Kittel vollständig nackt. Hat sich auf mich gesetzt. Mich geritten wie ein wildes Tier. Kittel geöffnet. Geiles Brustfleisch. War völlig wehrlos. Ließ alles mit mir machen. Jasmin geschrien wie ein Pornostar, nur natürlicher. Fiel auf mich. Rutschte in mich rein, verschmolz mit mir, wie zwei Schmierkäse, die nebeneinander liegend von der Sonne erhitzt, ineinander zerlaufen. Schreiend aufgewacht.

      *

      Es war im Herbst 2011, ein regnerischer Tag, in dem sich noch der Hauch eines sich verflüchtigenden Sommers mischte (Ich bin ein wahrer Poet).

      Ich erinnere mich noch genau.

      Ich hatte es eilig an diesem Tag.

      In meiner Praxis wartete ein Patient auf mich, der dringend um einen Termin nachgesucht hatte. Er klagte über Herzschmerzen.

      Ich bin kein Arzt, der leidende Menschen warten lässt. Ein Patient ist jemand, der in besonderer Weise auf meine Unterstützung angewiesen ist und für den ich von dem Moment an, wo er sich mir anvertraut Verantwortung übernehme. Das unterscheidet mich von den meisten meiner Kollegen.

      Ich höre zu.

      Ich stelle Fragen.

      Ich bin besorgt.

      Ich habe Verständnis.

      Wahrscheinlich ist auch dies der Grund, warum ich bei meinen Patienten so beliebt bin. Abgesehen von meinen überragenden Heilungserfolgen natürlich, von denen noch später zu berichten sein wird. Ich habe im Umgang mit meinen Patienten nie meinen Professoren- und Doktortitel heraushängen lassen. So einer bin ich nicht. Ich bin immer ich selbst geblieben. Unkompliziert. Ich werde sterben.

      Ich befand mich also auf dem Weg zu meiner Praxis. Ich hatte noch nicht gefrühstückt an diesem Morgen. Mein Magen rumorte fürchterlich.

      Ich kam an einer kleinen niedlichen Bäckerei vorbei. Die Hausfront stammte aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Leider nicht liebevoll restauriert. Aber immer noch mit dem Charme einer verblichenen Epoche gesegnet. Ich liebte dieses Gebäude. Bäckerei Sonnenfeld, stand auf dem schon im Verbleichungsprozess sich befindenden Schild über der Eingangstür. Seit 150 Jahren ein Familienbetrieb. Alles frisch, alles mit Liebe hergestellt.

      Dort gab es die besten Croissants aller Zeiten. Ich beschloss, mir, wie üblich, zwei Croissants zu kaufen und einen Latte macciato.

      Doch zu meinem größten Bedauern befand sich eine lange Schlange vor der Theke. Und die Bedienung, eine dürre alte Kuh, die nur entfernt einem Menschen ähnlich sah und die neu sein musste, bewegte sich unsäglich langsam im Takt einer immer wieder aussetzenden Herz-Lungen-Maschine.

      Ich war betroffen, geradezu entsetzt.

      Ich hatte es eilig.

      Ein Patient wartete auf mich.

      Womöglich ging es um Leben und Tod.

      Ich schüttelte den Kopf. Noch während ich es tat, bewegte ich mich an der Schlange vorbei und zwängte mich zwischen der Kundin, die gerade bedient wurde und dem, der hinter ihr stand.

      Die Proteste waren ungeheuerlich.

      Es war unglaublich.

      Mein Gott, regten die sich auf.

      Was mir denn einfiele, schrie eine aufgebrachte Frau, die aussah, als würde sie jeden Moment kollabieren. Ihr Gesicht rundete sich beim Sprechen, als blase sie gerade einen Luftballon auf. Dabei produzierte sie unansehnliche, kleine rote Flecken an Hals und Wangen.

      Ein Mann, der weit hinten stand, forderte mich mit unverschämter, quäkender Stimme auf, mich gefälligst wie jeder anzustellen und zu warten.

      Wie unsäglich dumm Menschen sein können.

      Schließlich war ich nicht jeder.

      Und so musste ich mich bedauerlicherweise damit abfinden,

      dass diese durch die Reihe verblödeten Kreaturen mir den nötigen Respekt versagten. Der direkt hinter mir Stehende sagte überraschenderweise überhaupt nichts, kuschelte sich jedoch nur auf unverschämte Weise an mich.

      Ein Frotteurist.

      Wie ekelhaft.

      Einer von diesen Menschen, die sich vorzugsweise in überfüllten U-Bahnen und Bussen an einem reiben, um so ihren sexuellen Bedürfnissen nach zu kommen.

      Jedem sein Vergnügen, ist meine Devise, solange es nicht mich betrifft.

      Ich stieß ihm kurzerhand meinen Hintern in sein sich gerade erhärtendes Genital.

      Er quiekte einmal protestierend auf.

      Von meinem Blick bestraft, sah er betroffen zur Seite.

      Einmal war es Leuten tatsächlich gelungen mich von meiner mir angestammten Position zu vertreiben, so dass ich mich tatsächlich gezwungen sah, meine Stellung aufzugeben, und mich wie ein geprügelter Hund als letzter in eine Reihe stumpfsinniger Zombies einzuordnen. Und obwohl sie sich nicht abgesprochen hatten, verbrüderten sich diese Kretins spontan. Sie folgten einem niederträchtigen und unausgesprochenen kollektiven Impuls der Solidarität und verabredeten sich stillschweigend dazu, sich bei ihren Einkäufen jetzt besonders viel Zeit zu