Dr. Holger Wyrwa

Hommage an mich


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versuchte, die Aufmerksamkeit meiner Verwandten zurückzugewinnen, indem ich lauter sprach und mehr Bewegung in das Spiel der Puppen brachte. Alles ohne Erfolg.

      Tante Walpurga und Tante Josephine begannen, miteinander zu tuscheln. Onkel Gottlieb schielte mit seinen wässrigen Augen auf die Flaschen Bier, die auf einer Anrichte wie Puppen nebeneinander aufgereiht standen.

      Und selbst meine Großmütter sprachen leise miteinander. Mein Onkel Alexander war eingeschlafen und selbst im Schlaf vergaß er nicht, zu grinsen. Nur meine Eltern hörten mir andächtig zu.

      Doch das reichte mir nicht.

      Meine Stimme überschlug sich. Ich versprach mich. Und schließlich warf ich voller Zorn die Puppen in das Publikum. Eine flog in die Kaffeetasse von Tante Walpurga und ein Strom von milchfreien Kaffee ergoss sich über ihr weißes Kleid, wie Pech über eine von einem Gericht verurteilte Seele. Sie schrie erschrocken mit ihrer heiseren Stimme und machte sinnlose und gleichzeitig lächerliche Abwehrbewegungen mit ihren Oberarmen, an denen lächerlich kleine Flügel aus wabbeligem Menschenfleisch festgewachsen schienen, die nur zum Hängen und nicht zum Fliegen taugten.

      Onkel Alexander schrak auf und Onkel Gottliebs Hände fingen wieder an zu zittern.

      Obwohl ich dies alles nur aus den Augenwinkeln wahrnahm und dabei schreiend und weinend in mein Zimmer rannte, spürte ich einen Anflug von Befriedigung durch meinen Körper strömen.

      Das war der Moment, wo mein Vater zu mir eilte und mir jene Worte anvertraute, die seitdem zum Motto meines Lebens geworden sind.

       *

       14.09.216

       Habe mir in die Schlafanzughose gemacht, konnte den Scheiß nicht bei mir behalten. Habe nichts davon gemerkt. Irgendwann in der Nacht passiert. Bin sofort ins Bad, habe es ausgewaschen, dann trocken gefönt. Gleiches mit dem Bettbezug. So was von peinlich. Darf keiner wissen. Bin froh, wenn ich wieder zuhause bin. Eigentlich überflüssig hier zu sein. Ärzte haben keine Ahnung. Geben mir Morphium, hoch dosiert. Völlig unnötig. Entspannt aber. Trotzdem: Koks ist besser.

       Habe fürchterliche Kopfschmerzen.

       Wieder von dieser Patientin belästigt. Alte Schachtel mit Fischmaul. Versucht penetrant, sich alle zu Freunden zu machen. Verteilt kleine selbstgebastelte Geschenke, die sie von zuhause sich hat mitbringen lassen. Gestern auf meinem Bett ein gehäkeltes Deckchen gefunden. Was soll das? Hat es wohl nötig. Wahrscheinlich sich schon als Kind Freunde gekauft. Unerträgliches Gequatsche, dabei gezierte Stimme, als käme sie aus einem Könighaus. Soll wohl intellektuell und fein klingen. Mann angeblich Arzt. Habe ihn einmal gesehen. Vollgreis mit Bart, praktiziert noch. Typ: Wichtigtuer. Ruht angeblich in sich. Alles nur Show. Arme Patienten.

       15.09.2016

       Visite. Eine Polonaise von Ärzten. Aneinandergeklebt wie Kaugummis. Haben Masken der Wichtigkeit aufgesetzt. Undurchdringliche Barriere aus Kompetenzschrott.

       Habe Samen abgeschlagen. Mühsam. Nächstes Mal vorher Koks nehmen oder ein Gebet sprechen: Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich zum Orgasmus komm. Erfüllst du meine Bitte nicht, sorg auch bei anderen für Verzicht. Gott, bin ich witzig.

       Brauche dringend neues Kopfkissen. Diese platten Kopfkissen hier bringen mich noch um. Meine Sekretärin anrufen. Soll mir meines von zuhause bringen.

      *

      Die Geburt eines Kindes ist wie ein Sonnenaufgang. Liebe Leser, gibt es etwas Schöneres als dass eigene Kind bei der Geburt in den Armen zu halten? In dieses kleine zerknitterte Gesichtchen zu sehen und sich der Tatsache bewusst zu werden: Das ist mein Sohn. Es war der schönste Moment in meinem Leben. Wie habe ich mich gefreut. Wie glücklich ich war. Wie nie mehr in meinem Leben zuvor und danach. Ein Triumph meiner Lenden, den ich in den Armen halten konnte. Julius, so nannte ich ihn, strahlte mich an, als er zum ersten Mal seine kleinen Äuglein öffnete. Bereits in diesem Moment wurde mir klar, dass wir beide füreinander geschaffen waren und eine besondere außergewöhnlich starke Verbindung haben und selbst die Liebe eines Kindes zu seiner Mutter bei weitem übertreffen würde. Dieses kleine freundliche Wesen, dieses faltige Menschlein mit den unschuldigen Äuglein. Ich liebte ihn so sehr.

      Nicht das seine Geburt so spektakulär verlaufen wäre, wie die meine. Sie war eher still und unscheinbar. Aber nichtsdestotrotz herausragend.

      Jede freie Minute verbrachte ich mit ihm. Er war so niedlich, mit seinen großen runden Augen und dem perfekt ebenmäßigen Gesicht, wie eine Babypuppe. Ich war geradezu süchtig nach seinem Lachen. Kitzelte ich ihn aus, schrie er vor Wonne.

      Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass die Geburt eines Kindes das Leben eines Mannes schlagartig verändert. Leider auch für Gudrun. Sie litt an einer Schwangerschaftsdepression und interessierte sich lange nicht für unser Kind. Die ganze Last ruhte nur auf meinen Schultern. Aber ich beschwerte mich nicht. Ich hatte die Verantwortung gewollt. Ich musste die Verantwortung übernehmen. Von nun an war nur ich für meinen Sohn da. Selbst als Gudrun ihre Depressionen überwand, war das Verhältnis zwischen mir und Julius ohnegleichen. Vergeblich versuchte Gudrun, den Anschluss zu finden. Es gelang ihr nicht. Ich und Julius waren ein Herz und eine Seele.

      Während seiner gesamten Kindheit und Jugend war ich ihm ein guter Freund, war ihm nahe, immer bereit, meine Arbeit zu unterbrechen, um für ihn und seine Bedürfnisse da zu sein. Mit Neid blickte Gudrun auf unsere herzliche Beziehung. Er kam nicht zu ihr, wenn er Probleme hatte, sondern stets zu mir. Was konnte ich dafür, dass mein Sohn mich ihr vorzog? Sie war nicht gut genug, um auf annähernd gleicher Höhe mit uns zu kommunizieren. Heute ist er Neurochirurg und schon bald wird er Chefarzt der neurologischen Abteilung sein.

      Es gäbe so viele schöne Geschichten über mich und ihn zu erzählen. Doch in meiner Autobiographie geht es leider nur um mich.

       *

       16.09.2016

       Ich habe kein Afterjucken mehr.

       17.09.2016

       Auf dem Flur zwei Schwule gesehen. Einer Patient hier, in einem auffällig unmodernen Bademantel, der andere wohl sein Stecher. Wie schon der Homosexuelle sagt: Wo die Falte ist, da ist das Paradies.

       Halbwüchsige Wichser in weißen Kitteln. Glauben, alles zu wissen. Arrogantes Pack. Keine Ahnung von nichts. Wollen mir was vormachen. Werde hier nicht lange bleiben. Gehe nach Hause. Schon bald. Ich bin Justus Raab. Das werden die schon noch sehen.

       Kindheitserinnerung gehabt. Breitete sich im ganzen Körper aus. Geruch in der Kantine als Auslöser. Bratkartoffeln. Hat mich beinahe zum Weinen gebracht. Aber nur beinahe. Ein Justus Raab weint nicht.

       18.09.2016

       Ich hasse Visiten. Wieder so ein Auflauf von Besserwissern. Alle krank im Kopf. Multiple Deformationen des Großhirns. Diesmal ein großer Junge dabei. Wohl Arzt im Praktikum. Bewegt sich, als hätte er ständig einen Deo-Stick im Arsch.

       Fischmaul trägt ihre nutzlos gewordenen Säugearmaturen mit dem Stolz einer Blinden, die nicht mehr sieht, wie sie auf andere wirkt. Werden in künstlichem Schwebezustand gehalten, fixiert durch Riemen und ausstülpbare Stoffe. Verachtenswert.

       Morgen werde ich über Gudrun schreiben. Oder erst über Lisa? Eigentlich egal. Fange wohl mit Gudrun an. Schließlich wollte sie mich als erste umbringen, Miststück der Superlative. Wird ein Knaller. Es klopft. Besuch. Wie schön.

      ***

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