G. J. Wolff

Zerstörung


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nun die Mutter und sah sie liebevoll an. „Aber ich wünsche dir noch viele solcher Tage, ich wünsche dir nur glückliche Tage!“

      „Danke, Mutter!“, hauchte Johanna gerührt und warf sich ihrer Mutter in die Arme.

      „Hoffentlich werden es auch so schöne Hochzeitstage, wie wir uns das wünschen!“, knurrte die Großmutter.

      Alle sahen sie betrübt an und wussten, was sie meinte.

      Hier in dieser Region, in ihren Dörfern, deren Kennzeichen die zwölf Verteidigungsburgen waren, da waren sie in ihrer Heimat, da waren sie unter sich und lebten ihr Leben. Aber in Wirklichkeit waren sie doch Fremde in einem viel größeren Land. Der Bezirk gehörte zu dem Staat Agisien. Und dieses Land betrachtete sie argwöhnisch und neidisch auf ihre Kultur und Leistungsfähigkeit und suchte nach Wegen, sie zu unterdrücken und ihre Lebensweise zu zerstören.

      „Neulich störten Knechte durch lautes Gebrüll und wilden Gesang die kirchliche Feier einer anderen Hochzeit und hörten auch nicht auf, als man sie darum bat. Und auch die Hochzeitsfeier im Gasthaus wurde von ihnen noch gestört.“

      „Ja, die Zeiten haben sich geändert“, ergänzte die Mutter.

      „Daran ist nur dieser schreckliche Krieg und dieser ungerechte Frieden schuld!“, wusste die Großmutter.

      Die Töchter lauschten gespannt ihren Ausführungen, obwohl sie die geschichtlichen Ereignisse genau kannten.

      „Solange wir bei Österreich-Ungarn waren, lebten wir in Freiheit und Frieden. Die Österreicher ließen die Menschen leben. Aber seit wir durch den Versailler Vertrag zu Agisien gekommen sind, geht es uns schlecht. Ununterbrochen werden wir gegängelt und gedrückt. Der König ist vertrieben und die neue Regierung will uns unbedingt zu Agisen machen. Ununterbrochen denken sie sich etwas Neues aus, um uns zu demütigen.“

      Bei ihren Worten herrschte unmittelbar lähmende Stille im Raum. Alle sahen traurig und gedrückt zu Boden. Niemand wagte etwas zu sagen, nicht einmal anzuschauen wagten sie sich.

      „Ach, das muss doch gar nicht so kommen und so sein!“, meinte nun plötzlich die Mutter. Sie fühlte, dass es an ihr lag, die Töchter auf andere Gedanken zu bringen. „Wahrscheinlich wird alles gut. Wenn sie erst begreifen, dass es durch unsere Arbeit auch ihrem Land und ihren Landsleuten besser geht, dann werden sie uns schon die alten Freiheiten wieder gewähren.“ Sie sah ihre Tochter lächelnd an. „Und du, Johanna, du wirst die schönste Hochzeit haben, die dieses Dorf je gesehen hat.“

      „Danke, Mutter!“, rief diese und stürzte sich wieder in die Arme ihrer Mutter.

      Die Mutter drückte sie mit geschlossenen Augen fest an sich. Als sie jedoch die Augen wieder öffnete, sah sie in das traurige und ängstliche Gesicht der Großmutter.

      3

      „Sieh da, der Bürgermeister kommt“, meinte der Vater, sah von seiner Arbeit auf und begrüßte seinen Nachfolger, denn er war vor kurzer Zeit noch selbst Bürgermeister gewesen, hatte das Amt aber wegen der vielen Arbeit auf dem Hof abgegeben.

      Der Großvater, der Vater und die drei Söhne waren im Hof und schlachteten ein Schwein für die Hochzeit, als Bürgermeister Rührig die Türe im Hoftor geöffnet hatte und in den Innenraum des Kastenhofes gekommen war. Die Männer ließen kurz vom Schwein ab, sahen hoch und betrachteten den Bürgermeister skeptisch. Sie hatten ein gutes Verhältnis zu ihm, mochten ihn, aber es ging meistens um nichts Erfreuliches, wenn er kam. Trotzdem begrüßten sie ihn freundlich.

      „Guten Tag, Michael, Gott sei mit dir!“, grüßte der Großvater und die anderen nickten ihm zu. „Was führt dich zu uns? Die Hochzeit ist doch erst am Samstag und du siehst ja, wir müssen für die Schnitzel und den Braten noch sorgen.“ Er lachte und zeigte auf das Schwein.

      Der Bürgermeister, der natürlich zur Hochzeit eingeladen war, versuchte ebenfalls zu lächeln, aber es fiel ihm sichtlich schwer. „Gott auch mit euch“, erwiderte der Bürgermeister. „Ich freue mich auch schon auf die Hochzeit.“

      „Was führt dich zu uns?“, wollte nun der Vater wissen.

      „Nichts Gutes“, erwiderte der Bürgermeister verlegen und zornig zugleich. „Eigentlich eine Unverschämtheit!“ Er räusperte sich.

      Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an.

      Der Bürgermeister holte einen Zettel aus seiner Jacke und hob ihn demonstrativ in die Höhe. „Das ist eine Anweisung von einer agisischen Behörde aus der Bezirkshauptstadt. Sie bestimmt, dass alle Verwaltungspapiere im Bezirk in agisischer Sprache sein müssen. In der nächsten Woche wird ein agisischer Beamter in meinem Hause zu Gast sein, ihr müsst alle kommen und die Papiere, Pässe, Besitzdokumente usw. umschreiben lassen. Wer nicht erscheint, wird bestraft. Ich rate euch also zu kommen. Ich kann es auch nicht ändern.“

      Die Männer brachen in wütende Flüche aus.

      „Die wollen uns unsere Kultur, unser Deotentum nehmen!“, schrie Martin und auch die anderen stimmten in die wütenden Rufe ein.

      „Seid froh, wenn sich der Kerl nicht auf Dauer in unserem Ort einnistet!“, kommentierte der Bürgermeister schließlich.

      Da schwiegen plötzlich alle und sahen Rührig fragend an.

      „Im Moment sieht es so aus, als ob der Beamte in unser Dorf kommt und dann auch wieder geht.“ Er holte Luft. „Aber wer sagt, dass das so bleibt. Wer sagt, dass die Agisen sich nicht auf Dauer in unserem Dorf festsetzen wollen?“

      „Das, das würden wir nie zulassen, das trauen die sich nicht, das muss verhindert werden!“, riefen die Männer, außer dem Vater, empört durcheinander.

      Der winkte ab. „Ich kann auch nichts tun“, meinte er traurig. „Die Zeiten ändern sich.“

      „Die Zeiten haben sich schon geändert!“, ergänzte nun der Vater.

      „Die Zeiten werden sich erst noch ändern, da könnt ihr sicher sein!“, ahnte der Bürgermeister.

      „Ach, was!“, rief ein Mann namens Schuster, der auf ein Schwätzchen den Hof betreten hatte und das Gespräch verfolgt hatte. „Wahrscheinlich handelt es sich bei all dem nur um einen Irrtum.“ Er winkte ab. „Die Agisen sind doch einfach zu blöd, irgendetwas richtig durchzuführen, das kennen wir doch. Sicher handelt es sich um einen Irrtum, den sie bald wieder zurück nehmen müssen. Dann werden wir, wie so oft geschehen, über ihre Dummheit lachen. So wird es sein!“ Er schlug sich lachend auf die Schenkel und auch die anderen lachten.

      Nur der Vater nicht. Er begrüßte den Mann und sah ihn dann nachdenklich an. „Nein!“, meinte er. „Das alles ist kein Irrtum. Das ist nur der Anfang von etwas richtig Bösem.“

      Er bemerkte, dass seine offenen Worte die Anwesenden sofort verwirrt und ängstlich machten. Da beschloss er, eine andere Taktik zu verfolgen. „Ach, was unke ich hier herum.“ Er sah zu Schuster. „Wahrscheinlich hast du Recht und alles ist ein Irrtum.“ Es freute ihn, dass die Anwesenden sofort wieder beruhigt waren. „Also dann, bis Samstag. Lasst uns unbeschwert feiern, so lange es noch geht!“, entfuhr es ihm aber noch. Wieder bemerkte er die Wirkung seiner Worte. Er wusste, dass es ihm nicht gelang, sich zu verstellen. Da ging er.

      Die anderen sahen ihm nachdenklich nach.

      „Ich werde für uns beten“, hörten sie nun eine Stimme von der Veranda. Sie fuhren herum und sahen die Großmutter, die ihr Strickzeug weglegte und die Hände faltete.

      4

      Am Tag der Hochzeit war das ganze Dorf in die Kirche gekommen, um am Leben des Brautpaars teilzunehmen, die alten Bräuche zu leben und so sich der eigenen Identität bewusst zu sein. Die Hochzeitsgäste waren in der Tracht erschienen, das Brautpaar in der Hochzeitstracht. Während des Gottesdienstes hatte auch der Posaunenchor des Dorfes gespielt.

      Nach der Kirche ging die Hochzeitsgesellschaft ins Gasthaus, wo man zu Mittag aß, man spazierte durch das Dorf, besah