G. J. Wolff

Zerstörung


Скачать книгу

deotische Kultur vernichten!“, meinte der Großvater mit ernster Miene. „Sie werden aus unseren Dörfern agisische Dörfer machen wollen.“

      „Das ist eine logische Absicht eines Staates. Kein Staat hat es gern, wenn fremde Kulturen auf seinem Territorium sind“, urteilte der Vater, der das Gymnasium in der Stadt besucht hatte und vielleicht studiert hätte, wenn er nicht in den Hof eingeheiratet hätte. Er war durch seine Erziehung sowohl gebildet als auch an allem interessiert, was sich ja gegenseitig bedingt, und wusste daher in allem Bescheid.

      Die Großmutter, die Mutter und die Schwiegereltern begleiteten die beiden mit nachdenklichen Mienen. Sie hörten aufmerksam zu.

      „Vielleicht wird es doch nicht so schlimm kommen“, wollte der Schwiegervater die traurige Stimmung aufheitern.

      Aber der Vater winkte ab. „Glaub mir, die werden keine Ruhe geben, bis sie erreicht haben, was sie wollen!“

      „Aber, wir nutzen ihnen doch mehr, wenn sie uns unser Wesen lassen!“, warf der Großvater ein. „Ihre Leute sind ungebildet und faul. Die bringen ihnen doch keine Steuern.“

      Der Vater schüttelte wieder den Kopf. „Das ist ihnen gleich. Es geht hier um das Prinzip!“

      Die Frauen schwiegen mit ernsten Mienen. Sie konnten nicht so recht glauben, was sie hörten. „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird!“, warf die Mutter ein und erklärte es mit einer Bemerkung aus einem Bereich, in dem sie sich auskannte, worüber die anderen schmunzeln mussten.

      Dann spazierten sie zum Gasthaus zurück. Es folgte der Kaffee, schließlich das Abendessen, dann wurde die ganze Nacht zur Musik der Kapelle getanzt. Erst in den Morgenstunden gingen die letzten nach Hause, aber nicht ins Bett, sondern zum Füttern und Melken in den Stall.

      Nun schlief man aus, aß eine Kleinigkeit zu Mittag, aber am Nachmittag trafen sich die Frauen, die an der Hochzeit teilgenommen hatten, zu Kaffee und Kuchen im neuen Zuhause der Braut, die ja in einen anderen Hof eingeheiratet hatte, die Männer saßen in der Gaststube im Gasthaus zusammen und die Jugend feierte nochmals mit Musik und Tanz in dem Raum über der Gaststube, wo auch die Hochzeit stattgefunden hatte.

      Auf dem Weg zur Toilette begegneten sich der Vater und sein jüngster Sohn.

      Der Vater nahm seinen Sohn bei den Schultern und sah ihn einen Augenblick nachdenklich an. „Feiert nur, ihr Jungen!“, sagte er leise. „Feiert nur und genießt das Leben, so lange es noch so geht!“

      Martin wusste, was sein Vater meinte, denn man hatte die Lage schon des Öfteren diskutiert. „Mach dir keine Sorgen, Vater!“, begann dieser lachend. „Wir lassen uns unser Deotentum nicht nehmen. Erstens sind die Agisen viel zu dumm und zum anderen sind wir kampfbereit!“

      Der Vater sah ihn milde lächelnd wegen seiner jugendlichen Unbekümmertheit an. „Wir sind allein in einem fremden Land. Die, die uns helfen könnten, sind weit weg. Möge Gott dafür sorgen, dass der Staat einsichtig wird und uns in Frieden lässt oder die Veränderungen nicht zu heftig für uns werden.“

      „Ach, wir werden uns nichts gefallen lassen, Vater!“, rief der Sohn aus.

      Der Vater sah, dass es sinnlos war, der unbekümmerten Jugend von den Erfahrungen des Alters zu erzählen. Da lächelte er. „Geh feiern, mein Sohn, genieße deine Jugend!“

      „Das werde ich, Vater, das werde ich!“

      Damit trennten sich ihre Wege.

      Auch in den nächsten Tagen trafen sich die Hochzeitsgäste noch mehrfach zum Feiern, bis die Speisen und Getränke aufgebraucht waren.

      5

      „Was ist denn da draußen los?“, rief Martin und sprang vom Mittagstisch auf zum Fenster, an dem die ganze Familie versammelt saß.

      „Setz dich wieder hin!“, befahl der Großvater grimmig. „Das gemeinsame Essen ist heilig und darf durch nichts unterbrochen werden.“

      Martin achtete jedoch nicht auf die Worte des Großvaters, sondern verharrte gebannt von dem, was draußen vor sich ging.

      „Komm zurück zum Tisch!“, befahl der Großvater erneut.

      Aber inzwischen waren auch die anderen Söhne zum Fenster geeilt, angelockt von lauter Musik. Da begab sich schließlich sogar der Großvater zum Fenster. Nur der Vater und die Frauen blieben am Tisch sitzen und sahen sich ratlos an, der Vater mit trauriger Miene.

      Draußen hielt gerade vor ihrem Haus ein von Pferden gezogener Wagen, auf dem einige Männer von einem Plattenspieler Musik erklingen ließen. Dann wurde die Musik unterbrochen und ein Mann erhob sich, hielt ein Megaphon an seinen Mund und begann zur Menge, die sich inzwischen um den Wagen eingefunden hatte, zu sprechen. „Hört ihr Leute von Deotora!“, begann er.

      „Deotora?“, knurrte der Großvater den agisischen Namen ihres Dorfes. „Heidedorf heißt unser Dorf und dabei bleibt es!“

      „Hört, ihr Leute von Deotora!“, wiederholte der Mann, der eine Uniform trug. „Hört, was der Staat euch zu sagen hat!“

      „Der Staat hat uns nichts zu sagen!“, knurrte der Großvater wieder und die Söhne, die inzwischen neben Martin in den Fenstern lagen, stimmten ihm zu.

      „Da in eurem Dorf auch viele agisische Familien wohnen …“

      „Unsere Dienstboten halt!“, wusste Martin und grinste.

      „Die Dienstboten sind, weil sie zu dumm, zu faul und zu schlampig sind, um sich etwas Eigenes aufzubauen!“, ergänzte Hans.

      „… hat der Staat beschlossen, dafür zu sorgen, dass allen deotischen Einrichtungen der Gemeinde gleichzeitig und selbstverständlich agisische Einrichtungen, und zwar für die agisischen Bürger, zugesellt werden.“

      „Wie bitte?“, fragte der Großvater erzürnt. „Das ist ein deotisches Dorf und das soll ein deotisches Dorf bleiben!“

      „Ihr habt ja gesehen, dass der Staat einige leerstehende Gebäude beschlagnahmt und wieder in Stand gesetzt hat. In diese werden nun die agisischen Behörden kommen. Es werden dies ein Rathaus mit allen nötigen Ämtern, eine Polizei sowie ein Kindergarten und eine Schule sein. Diese werden von nun an hier die Angelegenheiten der agisischen Bevölkerung regeln!“

      „Aber, aber, das ist ein deotisches Dorf! Das ist unser Dorf! Dieses Dorf gehört uns. Die Agisen sind nur Dienstboten hier!“, riefen die Söhne wild durcheinander.

      Da ertönte wieder Musik und der Wagen fuhr unter den wütenden Blicken der Menschen, die sich um ihn versammelt hatten, weiter.

      Die Stube war erfüllt von der hitzigen Diskussion der Familienmitglieder.

      „Das lassen wir uns nicht gefallen! Wir müssen uns wehren!“

      „Denen zeigen wir es!“

      Lautes Stimmengewirr erfüllte den Raum. Und alle waren sich einig.

      „Was wollt ihr denn machen?“, fragte da der Vater plötzlich leise.

      Urplötzlich wurde es still im Zimmer und alle sahen ihn an.

      „Aber, aber wir müssen uns doch wehren!“, meinte Martin hitzig wie immer.

      „Wie willst du dich denn wehren?“ Der Vater sah ihn traurig an.

      „Wir stellen eine Bürgerwehr auf und werfen die Agisen aus dem Dorf!“

      „Damit der Staat Soldaten schickt und uns alle erschießen lässt!“, konterte der Vater.

      Die Anwesenden erstarrten vor Schreck.

      „Gar nichts werden wir tun!“, bestimmte der Vater. „Der Staat hat beschlossen, uns unsere Selbstständigkeit zu nehmen. Und das wird er tun!“

      „Aber, aber …!“, stammelte Martin enttäuscht.

      Die anderen sahen den Vater sprachlos an.

      „Wenn