G. J. Wolff

Zerstörung


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aber das war unter der alten Regierung. Die neue hat neue Pläne. Und du weißt ja, neue Besen kehren gut.“ Er holte tief Luft. „Die Dinge ändern sich, die Dinge ändern sich dauernd.“ Er atmete nochmals tief durch. „Hoffen wir, dass es nicht so schlimm wird.“

      Damit machte er sich wieder an seine Arbeit und sein Sohn folgte ihm.

      8

      Gleichzeitig machte auch der Großvater seine erste Begegnung mit der agisischen Polizei. „Was ist denn da los?“, fragte der er mehr sich selbst, als die Männer, die um ihn herum standen. Er hatte in aller Frühe gleich nach dem Melken wie jeden Tag die Milch in die Bezirksstadt Goldstritz gefahren und war nun schon wieder auf dem Nachhauseweg. Als er an dem vom Staat beschlagnahmten Gebäude vorbei kam, das die Agisen in den letzten Monaten unter den kritischen und wütenden Augen der Dorfbewohner renoviert hatten, war ihm natürlich sofort die Menge von Menschen aufgefallen, die vor dem Gebäude herumstand. Er hielt seinen Wagen an, stieg ab und ging zu den anderen Dorfbewohnern hinüber.

      „Das siehst du doch!“, fuhr ihn ein Mann namens Rührig, ein Bruder des Bürgermeisters, an. „Heute lassen sie die Katze aus dem Sack.“ Er zeigte auf das Gebäude. „Weißt du, was sie da hinein tun?“

      Der Großvater hob fragend und interessiert den Kopf.

      „Sie setzen uns hier ihre eigene Polizei vor die Nase!“, schrie Rührig wütend.

      Der Großvater sah ihn überrascht an. „Polizei?“

      „Ja, das habe ich doch gesagt. Wir haben ab heute die agisische Polizei im Dorf!“

      Nun schüttelte der Großvater den Kopf. „Aber wir haben doch unseren eigenen Polizisten. Wir brauchen doch nicht auch noch eine agisiche Polizei hier. Es ist doch bisher immer alles gut gegangen. Wir brauchen doch eigentlich gar keine Polizei hier“, murmelte er fassungslos vor sich hin. „Ich habe noch nie die Polizei gebraucht!“

      „Mein Gott, bist du naiv!“, rief ein anderer Mann namens Dengler aus. „Wir brauchen die agisiche Polizei natürlich nicht. Im Gegenteil: Für uns sind die eine Beleidigung, ja sogar eine Bedrohung. Aber die agisische Regierung, die Regierung von denen ...“ Er zeigte auf die Polizisten, die einen Wagen entluden und Einrichtungsgegenstände und Aktenordner hineintrugen. Deutlich zu sehen war, dass jeder von ihnen einen Halfter mit einer Pistole sowie einen Karabiner trug.

      „Die Regierung von denen, die braucht die Kerle, damit sie uns besser überwachen und kontrollieren und natürlich unterdrücken können.“

      Der Großvater brauchte eine Weile, um das Gesagte zu verarbeiten und beobachtete mit offenem Mund, was vor sich ging. „Dann hat mein Schwiegersohn doch Recht!“, murmelte er verstört.

      Inzwischen wurde es lauter und lauter, denn die Menge erregte sich mehr und mehr. Schließlich war der Platz erfüllt von den wütenden Rufen der Dorfbewohner.

      „Verschwindet von hier!“

      „Macht, dass ihr in eure Gegend kommt. Das hier ist unser Dorf. Das ist unser Land. Das ist uns versprochen worden. Hier habt ihr nichts verloren!“

      Die Äußerungen aus der Menge wurden immer bedrohlicher.

      „Packt die Kerle, setzt sie auf ihren Wagen und jagt sie aus unserem Dorf!“

      „Werft die Kerle raus! Werft die Kerle raus!“, skandierten die Leute nun und auch der Großvater beteiligte sich daran.

      Die Menge rückte langsam näher an die Polizisten heran, bis sie sie bedrohlich nahe umstellten. Auch der Großvater wurde von herandrängenden Männern nach vorne geschoben.

      „Werft die Kerle raus! Werft die Kerle raus!“, riefen die Menschen lauter und lauter.

      Dies bemerkten die Polizisten und hielten ängstlich in ihrem Tun inne. Das entging auch ihrem Hauptmann nicht. Er sah kurz auf seine Männer, dann zur Menge, dann trat er einen Schritt nach vorne, zog die Pistole und schoss in die Luft.

      Sofort war es totenstill auf dem Platz.

      „Geht nach Hause und erledigt eure Arbeit! Hiermit verbiete ich euch, hier herumzustehen!“, schrie er laut.

      Die Dorfbewohner waren für einen Augenblick eingeschüchtert und schwiegen.

      „Geh du nach Hause in eines deiner agisischen Dörfer!“, schrie nun aber der Rührig. „Hier ist ein deotisches Dorf und da hast du nichts verloren.“

      Da ging der Hauptmann so schnell auf ihn zu, dass alle erschraken. Er stellte sich vor Rührig hin und brüllte ihn an. „Das war ein deotisches Dorf, damit du es nur endlich kapierst! Von nun an sind alle Dörfer in unserem Staatsgebiet agisisch. Es gibt keine Exklaven mehr!“

      Rührig ließ sich zunächst nicht einschüchtern. „Wir haben die Zusage des Königs, dass wir hier nach unseren Gesetzen und Bräuchen leben dürfen. Wir haben die Zusage, dass unser Dorf ein deotisches Dorf ist.“

      Der Hauptmann trat noch näher an die Menge heran. „Der König hat den Krieg und gleich darauf seinen Kopf verloren und er ist durch die Revolution beseitigt worden. Nun herrscht unsere Regierung und sie hat euch nichts versprochen. Nun gelten unsere Regeln und unsere Gesetze. Und die besagen, dass jeder Quadratzentimeter unserer Erde uns gehört und wir auf ihm bestimmen. Das ist das Recht jedes Staates. Und für euch gibt es nur zwei Wege: Entweder ihr fügt euch oder ihr verlasst unser Land!“ Er sah mit grimmigem Blick in die Menge.

      Die Menschen schwiegen für einen Augenblick vor Überraschung.

      „Das lassen wir uns nicht gefallen!“, schrie ihn nun Rührig an. „Los, werfen wir die Kerle einfach aus unserem Dorf hinaus!“ Damit wollte er den Hauptmann packen, um ihn auf den Wagen zu schmeißen, mit dem sie gekommen waren.

      Der trat jedoch schnell einen Schritt zurück. „Polizisten, angetreten!“, rief er plötzlich.

      Die Polizisten postierten sich sofort neben ihm.

      „Legt an!“, ertönte es über den Platz und die Männer gehorchten seinem Befehl und zogen ihre Waffen.

      Die Menge wich erschrocken zurück.

      Nun richtete der Hauptmann die Pistole auf Rührig.

      „Noch einen Schritt weiter und ich erschieße dich!“, drohte er und sowohl Rührig, als auch die Menge erstarrte.

      „Ich habe keine Angst vor dir!“, knurrte Rührig ehrlich. „Hier geht es nicht um mein Leben, sondern um unser Volk. Was zählt da mein Leben?“ Er machte wieder einen Schritt auf den Hauptmann zu.

      „Bleib stehen, oder ich erschieße dich!“, drohte er nochmals.

      „Dann packen dich die anderen und lynchen dich!“, rief Rührig und die Menge bestärkte ihn.

      „Dann kommen unsere Soldaten und töten euch alle!“, drohte der Hauptmann.

      Das traf die Leute wie ein Schlag und sie erstarrten. Ungläubig sahen sie den Hauptmann an, begriffen jedoch, dass er vielleicht Recht hatte, verstanden zu ersten Male richtig, was ihnen drohte.

      „Weg mit euch! Geht an eure Arbeit und gebt Ruhe, sonst geht es euch schlecht. Eure Eigenheiten lässt sich mein Land nicht mehr gefallen. Entweder ihr fügt euch oder ihr müsst gehen. Denkt darüber nach!“ Er stand noch immer vor der Menge. „Verschwindet, sage ich, geht an die Arbeit, macht, dass ihr fortkommt!“ Er unterstrich seine Worte durch Bewegungen mit der Pistole.

      Da begriffen die Menschen, dass sich etwas verändert hatte und viele schlichen sich davon.

      Der Großvater stand noch wie erstarrt da. Da zog der Vater, der alles von ihrem Hof aus beobachtet hatte und herangeeilt war, den Großvater weg, setzte ihn auf seinen Milchwagen, sprang ebenfalls auf und lenkte das Gespann zum Hof zurück. Sein Schwiegervater schwieg und starrte nur vor sich hin und der Vater verstand ihn, verstand, dass für ihn soeben eine Welt zusammenbrach.

      9

      „Seht