Bernhard Dönhoff

Auf den Flügeln meiner Träume


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unsterblich.“

      „ Oh, das ist wirklich mehr als teuflisch“, grunzte der andere und schlug sich dabei vor Vergnügen auf die prallen Schenkel, dass es nur so klatschte, „ aber sag! Hat der Zauber denn schon irgendeine Wirkung gezeigt?“

      „Das ist ja gerade mein Meisterstück! Ich habe mir gewünscht, dass vielleicht der ein oder andere ins Netz geht. Aber, dass es gleich fünfe sind, das übertrifft doch alle meine Vorstellungen.“

      Nun berichtete Mesop weiter, wie der eine Troll dem anderen Unhold von unserem Schicksalsschlag berichtete.

      Durch Mesops Schrei waren auch wir anderen aufgeweckt worden und in die Küche geeilt. Wir wagten kaum zu atmen, während wir dem Ende der Traumgeschichte unsres Bruders lauschten. Der Vater lehnte am Türpfosten und jeder spürte das Entsetzen in sich hochkriechen, als er nahezu tonlos die Mutter hilfesuchend ansah und verzweifelt fragte: „ Was können wir noch tun?“

      Nie werde ich für den Rest meiner Tage das unbeschreibliche Mitleid in ihrem Blick vergessen, mit dem sie uns lange und eindringlich der Reihe nach anblickte, die Hände faltete und flüsterte : „ Gott sei euren armen Seelen gnädig.“

      Magnus warf sich der Mutter weinend zu Füßen und rief: „ Warum bist du nicht ebenso verflucht auf ewig zu leben, wie wir? Womit haben wir das verdient? Was haben wir getan, dass wir so ins Verderben gestürzt werden?“

      Er sprang, wie von Sinnen auf, und wollte auf die Mutter losgehen, aber der Vater war schneller und hielt ihn mit eisernem Griff zurück. Ehe sich die Situation weiter verschärfen konnte, stand die Mutter auf und legte ihm den Arm um die Schulter und blickte ihm tief in die Augen. Sie erkannte gleichermaßen sein Entsetzen und die maßlose Trauer, die sich in seinem Ausdruck widerspiegelte. Nach beinahe unerträglich langer Zeit antwortete sie: „Oh, mein Sohn! Wie wenig kennst du doch das Herz einer Mutter. Glaubst du, wenn ich auch nur einen Hauch der Verwünschung geahnt hätte, die auf dieser Quelle liegt, hätte ich jemals zugelassen, dass ihr so in euer Unglück rennt?“

      Von neuem sah sie uns der Reihe nach an und fuhr mit brüchiger Stimme fort:

      „ Nur Er allein weiß, wie schwer es mit gefällt ist, wieder und immer wieder nicht von dem Wasser zu trinken, das kühl und klar in der Flasche funkelte, wenn ihr mir davon etwas mitbrachtet. Oft habt ihr mich bedrängt. Oft wurdet ihr alle verärgert oder traurig, wenn ich ablehnte davon zu trinken. Eine innere Stimme warnte mich jedoch jedes Mal davor. Ich habe euch nie von meinen Vorahnungen erzählt, denn ich fürchtete, ihr hieltet es für das Geschwätz einer alten Frau und würdet mich auslachen. Heute weiß ich es leider besser.“

      Magnus löste sich vom Vater, ging auf die Mutter zu, umarmte sie und bat sie um Verzeihung.

      Von Stund an mieden wie die Quelle, ja sogar den Weg, der dorthin führte, in der Hoffnung, dass Mesops Traum halt eben doch nur ein Traum war, aber tief im Innersten unseres Herzens wusste doch ein jeder von uns, dass die Trolle Recht hatten.

      Und mit der Zeit erkannten auch wir die stärker werdenden Zeichen der Vergänglichkeit. Verwandte, Freunde, Bekannte und Nachbarn zogen sich mehr und mehr von uns zurück. Sie fühlten, dass wir anders geworden waren. Anders als sie alle. Während sie und die Mutter von Tag zu Tag älter wurden, hinterließ die Zeit an uns keinerlei Spuren. Anfangs beneideten uns viele um den Zustand, doch nach und nach nahmen Neid und Missgunst mehr und mehr zu. Letztendlich blieb nur noch Hass, nichts als Hass zurück.

      Wir befolgten Mutters Rat, brachen alle Brücken hinter uns ab und zogen in einen anderen Teil des Landes.

      Bald danach rief sie uns zu sich und als wir uns alle um sie versammelt hatten sagte sie: „ Für mich wird es nun Zeit Abschied zu nehmen. Ich kehre in den Schoß der Väter zurück.“ Eine energische Handbewegung von ihr ließ jeden Widerspruch ungesagt.

      „ Schwört mir, dass ihr die Hoffnung auf ein gemeinsames Wiedersehen niemals aufgeben werdet und bleibt treu und ehrlich zueinander.“ Wir gaben ihr stumm nickend das Versprechen. Als der Vater an ihr Bett trat, flüsterte sie ihm zu:

      „ Ich liebe dich und werde euch beschützen, solange wir getrennt sind.“, das waren ihre letzten Worte.

      Mit dem Tod der Mutter schienen alle Brücken zu unserem alten Leben zerbrochen zu sein und eine namenlose und lähmende Trauer nahm von uns Besitz.“

      An dieser Stelle unterbrach ich wiederum Mordekai: „ Wenn ihr diesen Ort der Verzweiflung doch so sehr hasst und fürchtet, wie konnte es dann passieren, dass ich dich hier fand?“, fragte ich ihn teilnahmsvoll.

      Er sah mich an und antwortete: „ Ja, Miranda, diese Frage habe ich erwartet. Doch höre weiter zu und du wirst die Antwort erfahren.

      Lange Zeit des ruhelosen und gehetzten Umherstreifens lag hinter uns, als wir, wie durch einen magischen Zwang, erneut an diese Stelle des namenlosen Entsetzens zurückkehrten, denn obwohl die Quelle Ursache unserer Qual war, gab uns die Eiche ein Gefühl der Geborgenheit und des Vertrautseins, der schönen Erinnerungen und des verlorenen Glücks ferner Tage.

      Wir setzte uns also in den Schatten des Baumes und kurze Zeit später waren wir auch schon eingeschlafen, als plötzlich unsere jüngster Bruder Mantys aus dem Schlaf aufsprang , uns weckte und mit tränenerstickter Stimme schluchzte:

      „ Ich habe die Mutter gesehen.“ Wir schauten uns alle an. Keiner, nicht einmal der starke Vater, brachte den Mut auf; Mantys etwas entgegen zu halten, spürten doch alle, dass er bis ins Innerste seine Seele aufgewühlt war.“ Ich habe die Mutter gesehen“, fuhr er fort, und während er uns berichtete, was er gesehen und gehört hatte, schöpften wir alle wieder ein Fünkchen Hoffnung.

      „ ... sie saß unter der Eiche, genauso wie wir hier jetzt sitzen, und als sie mich kommen sah, stand sie auf und kam lächelnd auf mich zu, nahm mich in den Arm, und sagte zu mir: „ Nun, mein Sohn, dir fällt ein wichtiger Auftrag zu!“ Und geheimnisvoll fuhr sie fort: „ Sorge dafür, dass einer von euch jedes Jahr, am Tag meines Todes hier ist. Irgendwann einmal und zu irgendeiner Zeit, wird ein Mädchen, das ihr hier trefft, auf euch warten und euch den Weg zu eurer Befreiung zeigen:“ Mantys fragte die Mutter: „ Wie soll das geschehen, woran werden wir erkennen, ob sie die richtige ist,....? Im aufkommenden Nebel verschwindend, rief ihm die Mutter zu: „ Wenn die richtige kommt, werdet ihr es wissen und sie wird euch den Weg zeigen, der euch zu mir bringt!“

      Erschöpft hielt Mordekai hier mit seiner Geschichte inne. Ich bettete seinen Kopf in meinen Schoß und wir schwiegen eine Zeit lang. Dann stand er auf, blickt mich an und schien meine Gedanken lesen zu wollen. Auch ich erhob mich, fasste seine Hände und fragte ihn: „ Was kann ich tun, um dich und deine Familie zu erlösen?“

      Kaum hatte ich jedoch die Frage gestellt, kannte ich schon die Antwort. Mordekai bückte sich und verschloss mit dem Stein wieder die Quelle. Unendlich traurig sah er mich an, drehte sich um und ging, ohne ein Wort des Abschieds den Weg zurück, den er gekommen war.

      Ich wollte ihm nachlaufen, doch eine unbekannte Kraft hielt mich zurück. Lange nachdem er schon fort war, es begann bereits dunkel zu werden, konnte ich mich aus der Erstarrung lösen, und da wusste ich, dass ich nicht die richtige war, die ihn retten konnte, denn ich hatte ihn um Rat gefragt, statt selbst die Entscheidung zu treffen.

      Ich musste noch lange über diese seltsame Begegnung an der Eiche nachdenken. Doch mit den Jahren verblasste die Erinnerung. Ich lernte deinen Großvater kennen, heiratete ihn und schenkte deinem Vater und seinen Geschwistern das Leben. Jetzt aber, da ich alt bin und nicht mehr viele Tage vor mir habe, kehrt die Erinnerung an Mordekai immer stärker zurück. Wo mag er all die Jahre gewesen sein und was werden er, sein Vater und seine Brüder alles erlebt haben. Werden sie sich an das der Mutter gegebene Versprechen haben halten können. Oder ist nur noch Verbitterung, Feindschaft und Hass da?

      Die Großmutter schwieg und sah in Gedanken versunken in die langsam verglimmende Glut des Feuers.

      Gwendollyn sah die alte Frau erstaunt und ehrfürchtig an. Sie spürte, dass die Großmama ihr die Geschichte ihres Lebens anvertraut hatte und ein Band seltsamer Vertrautheit begann die beiden zu umschließen.

      In