Helmut H. Schulz

Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.


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meine Schwäger, entsteigen einer Kutsche, schreiten durch ein salutierendes Spalier, hinein in ein Haus. Das war alles. Darin besteht ein Großteil unseres Lebens. Jeder meiner Schritte wird beobachtet, ich will nicht sagen, ausspioniert. Was ich gestern falsch oder richtig gemacht habe, kann ich am Gesicht meines Gatten ablesen. W. spricht nie aus, was er denkt, er läßt seine Mißstimmungen von mir erraten. Was ihm allein wichtig, ist eine unerbittliche Reputanz; er fürchtet den Klatsch und die Lächerlichkeit wie der Papist den Doktor Luther. Das ist nicht etwa bloß Charaktereigenschaft, sondern der Stil dieses Hofes. Bei offiziellem Anlaß steht der König in der Mitte des Hauptquartiers eines Halbkreises aus Familie; uns gegenüber bilden die Minister, Räte und Höflinge die Linie. In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viele Uniformen gesehen, nicht einmal während des Krieges, bei dem ich allerdings noch so klein gewesen bin, dass mir die bunten Kriegsröcke wie Kostüme erschienen sein mögen. In der ganzen Zeit meines Hierseins habe ich jedenfalls noch keine zehn Sätze persönlicher Art mit einem meiner neuen teuren Verwandten gesprochen; keiner hat mich bisher gefragt, wie ich mich hier fühle, ob es mir wohlergeht, ob mir etwas fehlt, und was mir vielleicht als philiströs an diesem philiströsem Hof auffällt. Meine Schwägerin ist dauernd darum besorgt, sich als künftige Königin nichts zu vergeben, obschon ihr bayrischer Dialekt freundlich genug klingt, und sie das Ableben des Königs erst abwarten muß, um Königin zu werden. Ein Lichtblick könnte ihr Gatte, mein Schwager Friedrich Wilhelm sein; bei all seiner fraglos großen Bildung erscheint er mir aber leider zu kindisch und verspielt.

       Von meinem Herren Gemahl sehe ich wenig, so dass es mich fast wundert, von ihm schwanger geworden zu sein. Und es mag ihm ebenso als wunderbar und fast wie eine unbefleckte Empfängnis vorkommen, dass ich Mutter werde. Andererseits trägt man mir Klatsch genug über die Affären zu, die W. angeblich hat. Man zeigt mir sogar hilfreich die kleinen Kinder, bei denen er die diskrete Vaterschaft ausübt. Was mich betrifft, so könnte ich die jeweilige Frau nur mitleidig nachsehen, da sie kaum mehr von ihm haben dürfte als ich. Die Ärzte meinen, dass ich mit meiner Niederkunft im Herbst rechnen kann. W., den ich auch zu Hause im Waffenrock sehe, nur dass er sich die Freiheit erlaubt, die Knöpfe zu öffnen, was er für den Gipfel der Nachlässigkeit ansieht, muß beim König unbedingt darauf dringen, dass wir besser untergebracht werden. Dazu gibt mir die Mutterschaft ein Recht, ich habe, heißt das, die in mich gesetzte Erwartung pflichtgemäß erfüllt, jetzt heißt es zahlen, Eu. Majestät. Gott, Könige hat Preußen auf lange Sicht ausreichend.

       Weimar ist gewiß kein Louvre gewesen, Schloß Berlin zwar groß, aber in der kalten Jahreszeit höchst unbequem, die unteren Stockwerke stehen regelmäßig unter Wasser, wenn die Spree, ein schmales Flüßchen, nicht breiter als die Ilm, nur dass sie gemächlicher fließt, Hochwasser führt. Dieses Berlin ist ja im übrigen auf einem Sumpf errichtet. Es müßte also schon ein anderes Haus gefunden werden, womöglich nicht in Berlin. W. ist meinen Vorstellungen gegenüber, den König um eine besser Wohnung anzugehen, überraschend aufgeschlossen. Ein männlicher Nachkomme gäbe uns gewiß eine ganz andere Stellung, denn Kronprinz und Kronprinzessin haben keine Kinder, und es wird allgemein erwartet, dass meine Schwägerin auch nicht mehr guter Hoffnung werden kann. In einem solchen Fall wären wir die Eltern des Thronfolgers. Wir leben im übrigen nicht gerade üppig; das Einkommen meines Herren Gemahls wird größtenteils für dessen Repräsentation und womöglich für seine Amouren verbraucht. Die Schwangerschaft setzt mir arg zu, ich bin wohl kaum zur Mutterschaft gemacht, liege viel, häufig habe ich Kopfschmerzen. Sie kommen von einer auf die andere Minute, ich gehorche dann sogar den Ärzten, und verschaffe mir ein wenig Bewegung. Ich würde mehr Vergnügen daran haben, wäre nicht dieses Potsdam vor meiner Tür, und könnte ich mich wirklich ganz natürlich in einem der schönen Parks ergehen. Da dies nicht möglich ist, lese ich Bücher über das glückliche England.

      Mittlerweile war der Gatte und Prinz von Preußen zum kommandierenden General zweier Korps aufgerückt. Damit stand ihm als Chef eine Dienstwohnung zu, das Schwedter Palais, in der Straße Unter den Linden am Opernplatz, No. 9. Das Gebäude hatte eine lange Geschichte. Irgendein Oberst baute es; im Laufe der Zeit ging das Haus in Eigentum des Markgrafen von Schwedt über, einer Garnisonstadt in der Neumark, unweit Frankfurts. Der Markgraf folgte mit dem Ankauf eine Gewohnheit des märkischen Grundadels, sich in Berlin Stadthäuser zuzulegen, in denen die Familien im Winter oder besuchsweise Quartier bezogen, empfangen und Gesellschaften geben konnten. Wirkliche Palais, also richtige Paläste, fanden sich darunter allerdings nur wenige. Den meisten von ihnen blieb ein provisorischer Charakter, und sie pflegten häufig die Besitzer zu wechseln. Aus den Händen jenes Schwedter Herren war das Palais, völlig heruntergekommen, in den Besitz des preußischen Kriegsministeriums gelangt. Der General Tauentzien bewohnte es während der preußischen Erhebung und der Befreiungskriege.

      Das Schwedter Palais war eine zweistöckige Bruchbude mit einer Mittelauffahrt, aber einem Schilderhaus für die Wache; denn es handelte sich um ein Stabsquartier. Als Augusta dieses Haus zum ersten Mal einer Musterung unterzog, in das sie von Potsdam aus ein- und umziehen sollte, war sie empört. Sie wehrte sich, ließ ihren Schwiegervater wissen, das dieses ganze, ihr zugemutete Anwesen zu klein, zu einfach, zu wenig repräsentativ sei, abgesehen von seinem jämmerlichen baulichen Zustand. Es war der erste Versuch Augustas, sich unter den neuen Verhältnissen zu behaupten.

      Bei den Verhandlungen mit ihrem Schwiegervater, dem sparsamen König Friedrich Wilhelm III., war es ihr gelungen, ihren Gatten und General auf ihre Seite zu ziehen. Friedrich Wilhelm III. hatte finanziell schwere Zeiten durchgemacht; während des erzwungenen Aufenthaltes nach der Niederlage und Flucht aus Berlin 1806 in Ostpreußen hatte die kleine Familie selbst Mangel an Lebensmitteln, also bittere und wirkliche Not, erlitten. Sein eigenes Lusthaus in Paretz, das er aus einem kleinen Gutshof hatte umbauen lassen, war mit sehr geringen Kosten angekauft und verändert worden, im Grunde genommen nur eine Kate. Jetzt, in besseren Zeiten, hatte er das Sparen als eine Tugend beibehalten. Ihm Geld zu entlocken, war immer schwierig, in diesem Falle handelte es sich um viel Geld. Und General Wilhelm war nicht einmal Kronprätendent. Aber Augusta hatte große Pläne mit dem Haus. Zunächst sagte ihr die Lage mitten in der Stadt, aber nicht zu nah am Schloss durchaus zu. Und endlich wusste sie sich auch in der Vorhand, eine richtige Bleibe konnte ihr nicht länger vorenthalten werden, zumal auch die Prinzen mittlerweile mit eigenen Schlössern versorgt wurden. Es reizte sie auch, sich als Innenarchitektin zu versuchen. Band die Gatten sonst nichts aneinander, so wusste Augusta in der Generalsseele Wilhelms die Sehnsucht nach einem Schloss anzustacheln. Die Pläne waren auch insgeheim weit gediehen. Er bat den Vater, ihnen den Abriss des Schwedter Palais und den Bau eines Hauses an Stelle des alten zu gestatten, und vor allem, diesen Neubau zu finanzieren. Er versüßte seinem König den Plan durch das Beilegen eines Schinkelschen Gutachten, das die Kosten für Abriss und Wiederaufbau auf runde 340 Tsd. Thaler veranschlagte. Schinkel, Geheimer Rat und König der Baumeister des Neoklassizismus, führte jedoch städtebauliches ins Feld; von ihm stammen sicherlich die Hinweise darauf, dass der Opernplatz, die Straße Unter den Linden, weiter Schloßbrücke und Schloßplatz zu einem ansehnlichem Ensemble gestaltet werden könnte. Viel mehr an sehenswerter Architektur gab es Berlin nicht, als das, was in der Straße Unter den Linden und um das Schloss herum erbaut worden war, bzw. noch gebaut werden musste. Längst war beschlossen, eine Statue Friedrichs II. in Nähe des neuen Hauses, wenn es denn dazu kommen sollte, aufzustellen.

      Wanderer, ungeduldiger, Autofahrer, nervöser, kommst du in diese Gegend Unter den Linden, Opernplatz, könntest du im raschen Vorbeifahren all dieser Umstände gedenken. Möglicherweise hat heute, also zur Zeit deiner Durchfahrt, irgendeine Bank den Opernplatz vom freigiebigen Berliner Senat zum Geschenk erhalten, und einen der zahlreichen Geniearchitekten beauftragt, eine gläserne Kiste von 240 Meter Höhe darauf stellen zu lassen. Würdest du schließlich mit dem außen angebrachten gläsernen Fahrstuhl hinauffahren dürfen, könntest du von dessen höchstem Stockwerk aus bis zum Babelsberg blicken, wo noch ein Haus des Prinzenpaares steht, worauf wir gleich zu sprechen kommen werden. Es war, wie alles in Preußen, eine Frage des Geldes.

      Preußische Prinzen hatten entweder einen besonderen Etat, oder sie bezogen Gehälter; Renten oder Einkünfte aus kapitalistischen Unternehmungen besaßen sie damals nicht, weil es noch keine nennenswerte Industrie in Preußen gab. Das änderte sich erst unter dem Kaiser Wilhelm,