Helmut H. Schulz

Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.


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Kögel betet leise, und Tochter Luise fragt den Alten, ob er das Gebet verstanden habe. Endlich, gegen acht Uhr morgens des 9. März, entschläft Wilhelm, kurz vor seinem 91. Geburtstag; den hätten sie am 22. März feiern wollen.

      Am Nachmittag des Todestages erscheint das amtliche Bulletin: Es hat Gott gefallen, steht da, Se. Majestät den Kaiser und König, unseren Allergnädigsten Herren, nach kurzem Krankenlager heute 8:30 morgens im achtundzwanzigsten Jahre Seiner reich gesegneten Regierung aus dieser Zeitlichkeit abzuberufen.

      Die Stadt Berlin ist verregnet, schlaff hängen die auf Halbstock gesetzten Fahnen an den Masten, aber in der Straße Unter den Linden stehen die Leute dicht an dicht und starren hinüber zu dem berühmten Eckzimmer, wo der Kaiser zu Lebzeiten gelegentlich von der Straße aus gesehen werden konnte. Aufgebahrt liegt er in seinem Sterbezimmer. Erst nach Mitternacht wird die Leiche zur Aufbahrung in den Berliner Dom übergeführt, nachdem Augusta in ihrem Rollstuhl alle Verrichtungen beobachtete, die notwendig vorgenommen wurden. Im Arbeitszimmer Wilhelms nehmen Ärzte eine Balsamierung des Leichnams vor, am offenen Sarg, im so genanten Vortragszimmer aufgestellt, nehmen sie Abschied, im Adjutantenzimmer wird der Sarg geschlossen. Augusta bleibt bis zur Auffahrtsrampe dabei. Gardes-du-Corps trägt den Sarg durch ein Spalier bei Schneetreiben und Wind bis zum Dom. In den Tagen zwischen dem 12. und den 16. März ziehen 200 Tsd. Menschen an dem Sarg vorbei; dann wird der tote Kaiser der Deutschen und König der Preußen im Mausoleum des Schlossparkes Charlottenburg beigesetzt in Nähe seiner Eltern, der Königin Luise und Friedrich Wilhelm III.

      Es war das, was man in Österreich eine schöne Leich’ nennt, und dennoch fehlte manch einem Repräsentanten etwas an Glanz. Augusta, die bis zuletzt bei ihrem sterbenden Gatten blieb, konnte den Bestattungsfeierlichkeiten nicht folgen, sie war zu krank, konnte kaum laufen, aber auch der alte Kanzler fühlte sich nicht gesund genug, seinem Kaiser und König, der ja sein eigenes Werk gewesen, bis zur letzten Ruhestätte zu folgen. Dem Sarg folgten unmittelbar der Kronprinz Wilhelm zwo, immerhin schon 29 Jahre alt, mit einem Trauerflor am Helm, aber es schien, als sei der Kaiser zu alt geworden, um seinen Nachfahren das ungeteilte Glück der Regentschaft zu hinterlassen. Augusta wird ihrem Gatten alsbald nachfolgen, der neue Kaiser kein Jahr regieren und sterben, der Kanzler schon 1890 von dem jungen Mann, einem Enkel des toten Kaisers, davongejagt werden, immerhin noch neun Jahre weiterleben. Zu langer Witwenschaft blieb Augusta nicht Zeit genug; sie war über fünfzig Jahre mit diesem Mann verheiratet. Es war eine seltsame Ehe, die sie führte, im Grunde war es die ihr einzig mögliche.

      DER FÜRSTENHOF ZU WEIMAR

       Weimar, am 17. Oktober 1828...

       Gestern Abend hat der Prinz von Preußen, um meine Hand angehalten. Ein junger Achill! Nun, kein ganz junger vielleicht, aber voller Jugendlichkeit, auf Suche nach einer Minerva? Vielleicht. Schüchtern beinahe, jedenfalls zurückhaltend und von vornehmem Wesen (das zu leiten und zu lenken meine Aufgabe sein wird), trat er herzu, fand keine Worte, und Mitleid überflutete mich. Sein Auftreten erinnert an Hamlet, den unglücklichen Dänenprinzen. Ich weiß wohl, was W. bedrückte und ihn zögern ließ, es ist da eine unerfüllbar gebliebene Liebe zu einer anderen. Sie soll sehr schön sein. Was bedeutet das? Nun, ab jetzt sind wir das vom Schicksal berufene Paar, und wollen den Hunger der Welt nach freier Entfaltung der Menschlichkeit eine Gasse schlagen. Was gilt Preußen, auf das meine Mutter verächtlich herabblickt, was gilt Weimar gegenüber unseren höheren Pflichten, unser Gemüt zu bilden, unseren Geist zu erziehen? Von den Fürstensöhnen Deutschlands ist er der berufene. Seit gestern nun bin ich ihm zur Seite gestellt, ich will, ich darf ihm helfen; eine Elisabeth von Valois, einen Carlos zu Füßen und eine Posa zugleich. So fordern wir unser Jahrhundert in die Schranken: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sir. Ich fühle mich der Aufgabe gewachsen und will mich ihr ganz hingeben. Wilhelm ist älter, reifer, besonnener, wie er da stand und mich auf das Wort warten ließ, das auszusprechen er doch gekommen war. Wir hielten seinen schriftlichen Antrag in Händen, seine Brautwerbung. Aber mein künftiger Gatte schreibt Briefe in einem schönen, leider nicht ganz klarem Stil. Wie nun, kritisiere ich schon? Es ist wahr, dass mir für einen Augenblick der Gedanke kam, du weißt nichts von diesem linkischen und gehemmten Menschen, dessen Briefe eher Vexierspiele, als Wahrheiten sind.

       Mama sagte, dass diese Werbung etwas zu lange dauerte, um aus dem Herzen zu kommen, riet mir aber zugleich, mich eines solchen Gedankens lieber zu entschlagen. Gleichviel, ich habe ihm mein Jawort gegeben, meine Eltern haben ihm als Schwiegersohn die Arme geöffnet. Der Lebensbund ist beschlossen.

       Maria Pawlowna: Wir wären am Ziel. Was halten Sie von dieser Ehe, mein Freund, einer zwischen Ihrer klugen, etwas kühler temperierten Tochter, und diesem Herren aus dem Kostümfond des Militärs?

       Karl Friedrich: (lachend) Was haben wir zu befürchten, was Sie nicht vorausgesehen haben, Madame?

       Maria Pawlowna: Nun, diese Art Werbung, mitsamt den Nebenumständen war nicht vorauszusehen, wenigstens war sie so nicht gedacht. Als ich Wilhelm umarmte, war mir, als wäre ich an einen Holzklotz geraten. Wäre ich eine Bourgeois würde ich alles für Augusta fürchten.

       Karl Friedrich: Lösen Sie die Verlobung, wir leben nicht mehr im Mittelalter.

       Maria Pawlowna: Unsinn, dazu ist es zu spät. Vielleicht sind diese Sorgen auch unberechtigt und die üblichen, wenn ein junges Mädchen aus dem Hause geht. Ich will Ihnen sagen, worauf sich meine Ängste für die Zukunft Augustas begründen. Sie ist ein Kind dieses Weimar. Hier ist zu viel Gleichnis, zu viel Allegorie, zu viel Wert legen Sie und wir alle mehr oder minder, auf den Gedanken; die höchste Instanz ist der das irdische Missgeschick mildernde und mäßigende Geist. Ist es nicht so? Was hier möglich war - ob es das noch ist, will ich nicht beantworten -, gilt woanders nicht viel.

       Karl Friedrich: Jetzt haben Sie mir auf Ihre Weise beigebracht, wie lächerlich Sie unsere pädagogische Republik der Ideen in einer Welt der Taten finden.

       Maria Pawlowna: Tatsächlich? Das war nicht meine Absicht, aber vielleicht irren auch wir nur, die wir meinen, zu treiben, wo wir bloß getrieben werden. Brechen wir das Gespräch ab, es führt zu nichts, wie ich sehe.

      Es ist heute kaum noch zu beurteilen, wie viel einem breiteren Publikum in Deutschland über dieses kleine thüringische Zentrum zur Zeit Karl Augusts, des Großvaters der Augusta, überhaupt bekannt gewesen ist. Noch fünfzig Jahre nach dem Tode Karl Augusts wird Goethe in den meisten Lexika zuerst als Minister aufgeführt, und an zweiter Stelle, wenn überhaupt, als Dichter. Das literarische Deutschland, zumal die Berliner Salons nach 1820, wussten natürlich Bescheid, aber das klassische Zeitalter war bereits ein für alle Mal abgeschlossen, auch wenn sein strahlendster Vertreter noch hochbetagt in Weimar lebte. Wieland, der erste in der Reihe der Weimarer, starb 1813, gerade er hatte doch eigentlich alle literarischen Moden bis zur Klassik mitbestimmt. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts begann sich Weimar zu einem so eigentümlichen wie überragenden Zentrum der deutschen Kultur zu entwickeln. Was der heutige Besucher und Spurensucher, kommt er nach Weimar, den kleinen Häusern, an denen alles mehr als bescheiden wirkt, nicht ansieht. Gewiss auch steht der Heutige, mehr oder minder ehrfürchtig oder verstört, weil sich ihm der Genius loci nicht erschließt, vor dem Deutschen Nationaltheater, da die Deutschen gar keine Nation mehr sein wollen, nachdem sie zwei Jahrhunderte lang dafür kämpften, eine zu werden, oder er hält Andacht vor den Fürstengräbern mit den letzten Ruhestätten Goethes und Schillers, um zu bemerken, dass sich bei ihm zumindest kein Gefühl höherer Menschlichkeit regt. Erst auf dem Ettersberg stellt er die verwunderte Frage an das Schicksal, wie war das alles nur möglich? Das Interesse an Weimar ist heute rein antiquarisch. Notwendigerweise sieht der Tourist das Denkmal Herders auf dem nach ihm benanntem Platz, und muss im Baedeker nachschlagen, was Herder erfunden hat, die Dampfmaschine oder den Mikrowellenherd. Ferner würde der Wanderer in der Hofkirche die Grabstätten des Dichter Musäus, der Christiane Vulpius, verehelichte Goethe, und das erste Grab Schillers im ehemaligem Kassengewölbe entdecken können. Durchwandelt er den Friedhof, begegnete ihm ein gut Teil deutscher Geistesgrößen und anderer Größen, zu schweigen von den Denkmälern