sollt.
Nach dieser mühsamen Klitterei folgt ein Kapitel der Leiden Werthers und Nicolai-Albert erscheint, um der Ehe die höhere Weihe der Langeweile zu verleihen, in welchem Stande Mann und Frau allein selig werden könnten.
>Albert, nur wieder fein mit dem Kopf durch die Wand, Werther! Als wenn’s nicht von dir selbst käme! Bist ‘n Thor Werther, und hast die arme Lotte auch bethört. Ich habe sie gekannt, ein gutes Landmädchen, lustig, fromm, konnte kleine Spiele spielen, konnte frohen Mutes tanzen, aber auch Kindern Brot schneiden, liebte herzlich häusliches Leben, ob’s gleich wüßte, dass’s kein Paradies, aber doch eine Quelle unsäglicher Glückseligkeit ist. Da liebt’ ich ‘s Mädchen, und wollt sie haben, denn solche Braut brauch ich. Darauf kamst du und stimmtest die Weise viel Töne höher: Da sollt’s lauter inniges Empfindungen sein, lauter starke Anspannen, keine Einschränkung, keine Überlegung, wir hielten’s Herzchen wie ein krankes Kind, gestatteten ihm all seinen Willen, lebten immer in der Zukunft, wo ein großes dämmerndes Ganzes vor unserer Seele ruhte, wo wir unser ganzes Wesen hingeben mochten, uns mit der Wonne eines einzigen großen herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. Dies verschluckte das weibliche zärtliche Geschöpf begierig, und hielt sich am glücklichsten, wenn’s in freundlichen Wahne so hintaumeln konnte.<
Der Denunziant versteht sein bösartiges Geschäft nur allzu gut; denn genau das forderte die junge Generation, die Zukunft, und der wohlfeile Ersatz, den er an Stelle eines ausgefüllten starken Lebens, das die Anstrengung lohnt, zu bieten hat, ist die faule und feige Unterwerfung unter den Zwang des feudalen Staates.
>Hm, sagte Hannes, hol mich der Henker, ‘s hätte auch so kommen können. Ei, freilich wohl, sprach Martin, auch noch auf hunderterlei andere Art. Erschießt man sich aber einmal im Ernst, weg sind sie. Hannes: Hast recht, ich schieß mich nicht
1811 GEBURT UND ERZIEHUNG
Das Kind, wusste Charlotte von Schiller zu melden, liegt so vornehm und so vernünftig, dass man sich gar nicht wundern würde, wenn eine Krone mitgeboren worden wäre. Diesem Kind Augusta, das am 30. September 1811 geboren worden war, die künftige Kaiserin oder bloß Königin anzusehen, dazu gehörte entweder hellseherische Begabung oder die Biegsamkeit eines in höfischer Luft verkrümmten Nackens. Den frühen, gleichwohl völlig aus der Luft gegriffenen Prophetien folgten alsbald die Beobachtungen wachsamer Hofdamen. Die Prinzessin, bemerkt die Schillerwitwe später, hat einen kräftigen Willen und ist so stark und fest; sie läßt nicht los, was sie anfaßt. Zu dieser Zeit war die künftige Kaiserin ein Kleinkind, für das der Ausdruck Prinzessin ziemlich euphemistisch erscheint. Sie zählte erst zwei Jahre und mag nach allem gegriffen haben, was in ihre Nähe kam, wie es einem Kind im unbequemen Steckkissen zukommt. Immerhin aber war Augusta gesund, und die uns überlieferten Bilder einer Frau zwischen fünfzig und sechzig Jahren lassen auf einen hageren, knochigen Typus schließen. Goethe, der sich zu jener Zeit schon angeschickt hatte den Parnass seiner ministeriellen Karriere wieder zu räumen, verfasste ein hübsches Gedicht auf die junge Kaiserin in spé, die freilich erst neun Jahre alt war, aber sich um so lieber von dem inzwischen bekanntermaßen größten Poeten der Deutschen andichten ließ. 1820 war jener ein Greis, aber die junge Dame nahm das Werk des Meisters huldvoll an, und wie sollte sie nicht an einem Musenhof huldvoll gegenüber ihren Anbetern geworden sein? Alle Pappeln hoch in Lüften, jeder Strauch in seinen Düften, alle sehn sich nach Dir um! Schrieb immerhin der Meister der Deutschen neben seinem klassischen Spätwerk. Nach dem die Pappel gefällt, der Duft der Sträucher verweht war, kam allerdings Alexander von Humboldt, auf dessen Urteil vielleicht mehr Verlass ist oder wenigsten sein sollte, und stellte an der inzwischen Fünfzehnjährigen eine ungewöhnliche große Ausstrahlung fest. Ihre Züge sind im höchsten Grade bedeutungsvoll, und ihre ganze Gestalt wird sich, wenn sie nicht ein wenig zu stark sein wird, in einigen Jahren gewiß noch schöner, als sie schon jetzt erscheint, entwickeln.
Nun, ja, wir befinden uns in einem Zeitalter, in welchem die hässliche Herzogin einer bürgerlichen Schönheit allemal vorgezogen wurde. Augusta ist also schön, und was wird die Welt erleben, wenn sie erst ganz entwickelt ist, ohne überflüssiges Fett angesetzt zu haben. Aber lassen wir die gehässigen Bemerkungen zu servilen Lobhudeleien gegenüber einem Kind, einer Heranwachsenden oder einem Duodezhof, und sehen wir nach, wie weit Augusta wirklich über den trüben Durchschnitt der Abkömmlinge von Fürstenhäusern hinausragte. Auch haben wir noch nie neben einem nässenden, wenn auch niedlichem Säugling eine Krone liegen sehen.
Ihr Großvater Karl August, an dessen Vortrefflichkeit kein Zweifel besteht, hatte seinen Sohn Karl Friedrich mit einer Zarentochter vermählt, der Großfürstin Maria Pawlowna. Dieser Karl Friedrich war 1783 geboren worden. Er hat mit 21 Jahren die um drei Jahre jüngere Zarewna geheiratet, und sie von St.-Petersburg nach Weimar gebracht. Immerhin war Großfürstin Maria Pawlowna, nunmehr weimarerische Großherzogin, sicherlich an andere Ausdehnungen gewöhnt, und durfte daher auch einen höheren Anspruch stellen. Nachgesagt wird ihr ein energischer Wille. Übrigens hatte sie am häuslichen Herd einiges miterlebt. Paul I., russisch Pawel Petrowitsch, ein Sohn Katharinas II, war 1796 Zar aller Russen und Reußen geworden, und hatte ein beispiellos brutales Regime aufgerichtet. Als geschworener Feind der Französischen Revolution trat er 1798 der so genanten Zweiten Koalition bei. Seine Generale kämpften nicht ohne Erfolge, da trat Pawel aus dem Freundschaftspakt wieder aus, und suchte die Liebe der Franzosen. Dies hatte einen wichtigen Grund, er war nämlich zum Großmeister der Johanniter gewählt worden, und erhob als solcher Anspruch auf die unter britischer Herrschaft stehende Insel Malta, dem Stammsitz des Ordens. Aber die englischen Verwandten und Freunde wollten das gute und strategisch wichtige Stück Empire nicht herausrücken. Das zog ihnen den Grimm Pauls zu. Der Zar hatte sich auch noch andere, innere Feinde herangezüchtet, nämlich unter den Militärs. Benningsen und die Gebrüder Subow führten sie. Und so fand Pawel Petrowitsch in seinem eigenen Schlafzimmer ein jämmerliches Ende. Als ihm die Verschwörer den sofortigen Rücktritt ultimativ nahe legten, weigerte er sich, und starb mannhaft eigensinnig unter dem erdrosselnden Strick. Da solche kleinen Vorkommnisse unter Fürstendächern nichts Besonderes waren, trat der Sohn Alexander als der Erste seines Namens ohne große Schwierigkeiten innen wie außen die Nachfolge an. Nach ihm kam Nikolaus I., auch ein Sohn des unglücklichen Tyrannen. Alsbald aber hatte sich dieser Zar mit den Dekabristen herumzuschlagen, und machte sich auch einen Namen als blutiger Unterdrücker. So etwa sah es in der Familie der Maria Pawlowna aus, die 1804 als Gemahlin unseres Karl Augusts sozusagen noch einmal davongekommen war. Von den furchtbaren Ereignissen in Petersburg und anderswo hatte die zur Mordstunde ihres Vaters 1801 gerade 15 Jahre alte Prinzessin genügend mitbekommen. Maria Pawlowna, die Enkelin Katharinas der Großen, Tochter des Zaren Paul, Schwester der Zaren Alexander I. und Nikolaus I. kam an einen zwar kleinen, aber säuberlich geordneten Kulturhof. In Alexander I. hat Europa seinen Befreier gefeiert, die Wiederherstellung des europäischen Königtums ist jedenfalls auf ewig mit seinem Namen verbunden. Er starb 1825, und seine Schwester durfte sich also des Glanzes erfreuen, den sein Name über Europa ausstrahlte. Die Großfürstin, alt-russisch und westlich gebildet, zog zur Erziehung ihrer Tochter heran, wessen sie im Weimarischen habhaft werden konnte. Ihr Schwiegervater Karl August war der äußeren Not gehorchend dem von Napoleon über die Fürsten verhängtem Rheinbund widerstrebend beigetreten, aber 1806 stand er wieder im Lager der Verbündeten der Vierten Koalition, preußentreu übrigens, denn seit 1792 und 1793 war Karl August schon mehr als ein Verbündeter Preußens gewesen, ein wahrer Glaubenspreuße. Dass Preußen die Führung in Deutschland zukam, vertrat er mit innerer Überzeugung. Alle diese Wandlungen, auch die der Überzeugungen, hatte Maria Pawlowna mit erlebt, sie genoss und nutzte auch die Segnungen, die dieser Kleinstaat der Klugheit seines Großherzogs verdankte. 1779 hatte die Regierung eine Zeichenschule eingerichtet, 1791 das Hoftheater; 1806 nach den Vereinbarungen des Wiener Kongresses wurde die Landständische Verfassung eingeführt, in einem der ersten Staaten, die sich zur Konstitution verpflichtet hatten. Die Universität Jena blühte auf; Botanische Gärten wurden angelegt und landwirtschaftliche Mustergüter; kurzum, es war eine Lust geworden zu leben, um mit Schiller zu sprechen. In der Tat lebte es sich in Karl Augusts Ländchen vergleichsweise frei und auch ganz gut. 1811, einige Jahre nach ihrer Übersiedlung, brachte Maria