Uwe Woitzig

Limit up - Sieben Jahre schwerelos


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wusste, das Leben sendet mir immer die Personen, die mich spiegeln. Also schien es irgendwo noch diesen angstbesetzten Sicherheitsfanatiker und kleingeistigen Spießer in mir zu geben. Das würde ich ändern. Den Typen würde ich exorzieren. Mit Tollkühnheit und beispielloser Verwegenheit. Was sollte mir passieren? Knast? Bitte ja. Tod? Immer gerne, am besten im Handstand. Auf einmal dachte ich zurück an einen ganz besonderen Moment, den ich während meiner Haft erlebt hatte:

      Am Silvesterabend lag ich auf meinem Bett und lauschte dem Radiosprecher, der die Sekunden bis zum Jahreswechsel zählte. Vor einigen Wochen war ich zu fünf Jahren wegen schweren Betrugs verurteilt worden. Meine bürgerliche Fassade war zerbröckelt und der von mir erzeugte Popanz des seriösen Geschäftsmannes in die Luft geflogen. Das potemkinsche Dorf zerplatzt wie eine Seifenblase. Um Punkt Mitternacht setzte ein ohrenbetäubendes Gejohle ein. Aus allen Zellenfenstern flogen brennende Toilettenpapierrollen, Flaschen, Gläser und alles andere, was Krach machte oder brannte, und segelte an meinen Gittern vorbei in den Hof. Ich stand auf, trat ans Fenster und genoss einen Schluck Orangensaft, während ich das surreale Inferno auf mich wirken ließ.

      In diesem desolatesten Moment, allein, von der Gesellschaft (aus-) gerichtet, bespuckt und ehrlos, war ich unbeschwert, frei und sehr glücklich. Ohne an die Vergangenheit oder Zukunft zu denken, von der Anstalt versorgt und geborgen in meiner 8-qm-Zelle. Umgeben von allen wesentlichen Dingen und Nahrungsmitteln, die ich mir entweder beim Knasteinkauf besorgt oder per Weihnachtspaket von Viktoria erhalten hatte, fühlte ich mich absolut frei. Ich schaute durch die Stäbe hinauf zu den Sternen und mein Geist verschmolz mit dem Universum. Eine unglaubliche Kraft durchströmte mich. In diesem Augenblick hatte ich verstanden und verinnerlicht, dass die Reduzierung auf das Notwendige einen freien Geist und - Glück erzeugen kann.

      Mir wurde klar, wie ich diese Erkenntnis gerade ad absurdum geführt hatte. Meine erneut aufgeflammte Sucht nach einem Leben auf der Überholspur hatte Bilder und Träume erzeugt, die sich manifestierten und zur sogenannten Realität wurden. Der Dämon begann zu leben, machte sich selbstständig und zwang seinen Schöpfer, nämlich mich, zum Sklavendasein. Meine Schwäche holte Astralgesindel herbei, die das Rohmaterial der wertvollsten unbehüteten Schöpfungskräfte aufsaugten und als Waffe gegen den Menschen verwendeten, der in ihre Falle der Gier und Macht geraten war. Und dieser Mensch war ich..

      *An einem warmen Sommerabend saß ich ein halbes Jahr später mit Maria auf der Terrasse des „Kleinen Seehauses“ in Münsing am Starnberger See. Am Nachbartisch unterhielten sich zwei gut aussehende Pärchen über die Party, auf der sie gestern Abend gewesen waren.

      „Das Catering vom Käfer war wirklich einsame Spitze. Und dieser Klavierspieler, den sie mitgebracht haben, ein Gott auf dem Piano“, sagte eine der beiden Frauen.

      Ich registrierte, wie Maria innerlich zusammenzuckte. Die Erwähnung des Klavierspielers, mit dem sie jahrelang zusammengearbeitet hatte, ließen Erinnerungen an ihre Zeit wach werden, in der sie die Barchefin des Restaurants des berühmten Münchner Feinkosthauses gewesen war. Von da an war sie noch einsilbiger als sonst, weil sie jedes Wort der beiden Pärchen in sich aufsaugte. Bei der Rückfahrt legte sie sanft ihre Hand auf meinen Arm.

      „Ich möchte wieder arbeiten, versteh das bitte. Du holst mir die Sterne vom Himmel herunter, aber du hältst sie nicht fest. Ich bin es nicht gewöhnt, von jemandem so abhängig zu sein, noch dazu von einem so wilden und unberechenbaren Mann, wie Du es bist. Mein Leben lang hatte ich meinen Job und war unabhängig. Lass uns in Freundschaft auseinandergehen. Du willst auf dem Land leben, aber meine Welt ist die Stadt, ist München“, sagte sie leise.

      Ich wusste sofort, dass sie es vollkommen ernst meinte und es zwecklos wäre, es ihr auszureden. Die letzten Jahre hatte sie immer wieder davon geredet, in ihren Job zurückkehren zu wollen. Obwohl ich vorbereitet war, schmerzte es, es so klar und entschieden zu hören.

      Wieder einmal stand ein Abschied bevor. Es gab nichts mehr zu sagen. Ich sah sie an und überlegte, ob ich ihr einen größeren Geldbetrag geben sollte. Doch dann verwarf ich die Idee. Sie hätte es mit einem Schlag für allerlei sinnloses Zeug ausgegeben und wäre wieder mittellos gewesen. Absurderweise suchte sie ihr Leben lang die angebliche Sicherheit einer Geldreserve, aber sobald sie ein wenig Geld angespart hatte, warf sie es mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Ich hatte immer den Verdacht, dass sie sich dann ihres Hauptmotivs um zu arbeiten, das heißt, sich zu beschäftigen, nicht berauben wollte.

       Als wir uns nach einem belanglosen Streit endgültig trennten, kam ich auf die Idee, ihr meinen Range Rover, meinen Porsche, meine wertvollen Uhren und unsere gesamte Einrichtung zu überlassen. Damit hatte sie nicht sofort einen Batzen Geld zum Verprassen auf dem Konto, sondern musste erst ein wenig dafür arbeiten, bevor sie es erhalten würde. Der Erlös sollte locker ausreichen, um ihr die Anmietung und Einrichtung einer neuen Wohnung zu ermöglichen. Und ein nicht unerheblicher Rest würde übrig bleiben als Abfindung und Bonus für mir geleistete Dienste. Seit geraumer Zeit sah ich sie nämlich nicht mehr als gleichberechtigte Partnerin, Geliebte oder Ehefrau, sondern nur noch als Dienerin, die mir den Haushalt geführt hatte. Das hatte sie sehr gut gemacht und dafür sollte sie entlohnt werden. Immer noch dachte ich wie der Kaufmann, der ich nie doch wieder sein wollte. So erfuhr ich am eigenen Leibe, wie die Ehe die Liebe zu einem Geschäftsmodell verkommen lässt.

      Kapitel 8

      Vergiss die ganze Beziehungsgeschichte und lerne, auf eine neue Art in Beziehung zu sein. Sobald du in der festen Beziehung bist, fängst du an, den anderen als selbstverständlich vorauszusetzen. Daran gehen alle Liebesgeschichten kaputt. Die Frau denkt, sie kennt den Mann. Der Mann denkt, er kennt die Frau. Dabei kennt keiner den anderen. Es ist unmöglich, den anderen zu kennen. Der andere bleibt ein Rätsel und ihn für selbstverständlich zu nehmen ist respektlos.

      (Osho)

      Der Adelige hatte mich angezeigt und verklagt. Aber da ich einen sehr gut durchdachten Vertrag mit ihm geschlossen hatte, kam es nur zu einigen heftigen juristischen Scharmützeln, aus denen ich geldmäßig gerupft, am Ego verletzt, frustriert und gelangweilt von einem Leben nach den Normen der bürgerlichen Gesellschaft hervor ging. Ich beschloss, mich diesmal endgültig aus dem Rattenrennen zurückzuziehen, und löste meine Firmen und meine Geschäftsbeziehungen auf. Und meine Ehe. Ich hatte endlich verstanden, dass ich nur deshalb immer wieder Beziehungen zu Frauen eingegangen war, weil meine eigene weibliche Seite noch nicht entwickelt war und ich meine Lebensgefährtinnen praktisch als Substitut benutzte. Diesmal wollte ich daran arbeiten, diesen so lange unterdrückten Anteil meiner Persönlichkeit sich entfalten zu lassen. Dazu musste ich ohne Frauen leben. Ich erwog ernsthaft, in ein Kloster zu gehen und schaute mir einige an. Aber die Gestalten, die sie bewohnten, erschienen mir im Gegensatz zu den schillernden Persönlichkeiten, die ich im Knast kennengelernt hatte, blutleer und wenig authentisch. Sie alle umgab eine Aura des lauernden Misstrauens. Es mag sein, dass sie ihrer dialektischen Theologie selbst nicht so recht vertrauten. Oder weil sie das Eindringen jedes Fremden in ihre eingeschworene Gemeinschaft als einen feindlichen Akt ansahen.

      Wie auch immer. Sie schreckten mich auf jeden Fall ebenso ab wie der minutiös festgelegte Tagesablauf, der kaum Spielraum für eigene Aktivitäten ließ und meine Freiheit dramatisch beschränken würde. Ich verwarf diesen Plan und zog mit meinen beiden Jack-Russell-Terriern Bugsy und Pauline ein gemütliches, 200 qm großen Holzhaus am Schliersee, das mir der Rechtsanwalt eines Knastbruders vermietet hatte. Damit hatte ich ein Refugium, in dem ich mich endlich von den Marktplätzen dieser Welt zurückziehen konnte.

       Schon in meinen ersten Schuljahren war mir die Rolle des Gejagten tausendmal lieber gewesen als die des Jägers. In dieser Zeit spielten wir am liebsten „Foxterrier“, ein Spiel, bei dem der schnellste Läufer zum Jäger bestimmt wurde und alle anderen in alle Richtungen abhauten. Jeder, den der Jäger erwischte, musste ihm helfen, die anderen zu fangen. Eine leichte Berührung reichte. Schließlich jagten alle den Letzten, der damit zum Foxterrier wurde. Wegen meiner ausgezeichneten Kenntnisse des Geländes und meiner selbst gebauten, geheimen unterirdischen Höhlen und Baumhäusern gelang es mir immer wieder, unentdeckt zu bleiben und zum Sieger, zum „Foxterrier“ zu werden.

      Ich liebte dieses Spiel und hatte