Christian U. Märschel

Kiez, Koks & Kaiserschnitt


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die “Jungs”, die Herbertstrasse.

      Leider war ich nicht der einzige, der Interesse an ihr hatte. Die “Jungs” suchten ständig Nachwuchs-Fachkräfte für ihre horizontalen Lokalitäten auf der Meile und so war Jana schnell auserkoren. Durch ihre Neugier, Naivität und ihr Aussehen war sie gleich in das Auswahlverfahren der Luden gekommen. Ihre Bereitschaft, in jedes Fettnäpfchen mindestens einmal zu treten, kam dabei sehr gelegen.

      Jana wollte alles kennen lernen, gerade alles Schlechte, so schien es mir, schien einen magischen Reiz auf sie auszuüben. Sie wirkte auf mich, solange wie ich sie kannte, immer wie jemand, der eine Art Gefahren-, ja sogar Todessehnsucht hat; Gefahr sucht, um darin umzukommen. Oder zumindest Nachteile zu erleiden. Mir schien es, als wolle sie sich immer irgendwie selbst bestrafen. Ich bin nie dahinter gekommen, für was.

      Sie fragte mich, ausgerechnet mich, ob ich ihr nicht helfen könne, in der Herbert zu arbeiten. Nur mal kurz, sie wollte ‚...mal wissen, wie das ist...’

      Das sollte ein Satz sein, den ich später noch öfters zu hören bekam. Immer kurz vor oder kurz nach einer Katastrophe, die sie angerichtet hatte.

      Ich konnte wählen: entweder tue ich es oder sie tut es selber. Wenn Katastrophe, dann lieber eine, mit der ich zu tun habe und die ich dann vielleicht - wenn nicht verhindern - wenigstens kontrollieren kann.

       Ich verschenke meine Jana

      

      Also bahnte ich ein vertrauliches Gespräch an mit dem einen der “Jungs”, der mir am sympathischsten war.

      Wir trafen uns Nachmittags in einem Bistro draußen an der Strasse - auf der Reeperbahn. Er war mit der Harley gekommen, war schon da, als ich erschien. Der Helm lag auf dem einzigen noch freien Stuhl am Tisch, er räumte ihn beiseite, als ich mich setzen wollte.

      Mein Herz klopfte bis zum Halse. Irgendwie war es aufregend. Ich saß hier im Kiez-Cafe, um mit einem der großen Luden übers Geschäft zu reden. Und doch war es traurig.

      Ich wollte –nein, ich sollte- meine Jana als Hure bewerben.

      Ich wusste gar nicht so genau, was ich sagen sollte, bei der Absprache des Termins - und man muss immer einen Termin machen mit den “Jungs” - hatte ich nur gesagt ‘…es geht um Jana`.

      Der Lude schaute mich an, als ich saß, prüfend, mit einem ganz bestimmten Blick, den ich nur von Hamburger Luden kennen. Aber von allen. Sie gucken alle gleich, finde ich. Ich würde einen Hamburger Luden in Sydney erkennen, allein am Blick.

      Der Blick ist selbstsicher, prüfend, abwartend, sprungbereit, wach, aufmerksam.

      Das sind die Vokabeln, die ich alle aufzählen muss. Das Kinn leicht nach unten geneigt, die Kopfhaltung etwas nach links oder rechts, immer vom Gesprächspartner weg, der Blick aber fest in den Augen des Opfers. Ja, so kam ich mir hier vor, eigentlich wie ein Opfer.

      Zu meinem Erstaunen ergriff er so ungefähr wie folgt das Wort:

      "Du weisst, dass das was wir beide jetzt hier besprechen, strafbar ist?!"

      Huch! Was ist denn nun los? Ich will ihm eine willige Arbeiterin vorschlagen und er hält mir eine Moralpredigt?

      Er sieht mich fest an, lächelt nicht, redet weiter:

      "Auf sowas gibts Knast, und nicht wenig!"

      Dann wird er vertraulicher.

      "Aber ich finde es gut, das Du gekommen bist, erzähl mal, ihr versteht Euch ja ganz gut, die Jana und Du...!?"

      Sein Ton, seine Gesprächsart wurde netter, freundlicher, erst später bin ich dahinter gekommen, dass das alles Masche ist. Masche, erst einschüchtern, dann Vertrauen erwecken, Menschen aushorchen, manipulieren. Tue, als seiest Du ein Freund um mit jemandem über seine Feinde zu reden. So erfährst Du, wie er über dich denkt.

      Ich legte los, sie wolle im Puff arbeiten, ob sie das bei ihm mal ausprobieren könne, bat ihn, sie lieb zu behandeln, sie jederzeit wieder gehen zu lassen.

      Ich kann nicht sagen, dass er mir das ausdrücklich zugesichert hatte, aber ich spürte irgendwie seine Anerkennung für das was ich tat und er schien zu merken, das es mir nicht leicht viel.

      Die “Jungs” hatten alle gemerkt, dass ich es gut konnte mit Frauen.

      Weil ich immer einen Vertrauensvorschuss gebe, nicht mit ihnen ins Bett will, sondern an ihnen interessiert bin. An ihren Geschichten, ihrem Leben. So jemand ist für Luden Gold wert.

      Später, nach dem die Sache mit Jana begonnen hatte, haben sie mich sogar gefragt, natürlich indirekt, ob ich nicht für sie arbeiten will, um Mädchen zu beschaffen.

      Und schon bald nach diesem Gespräch war meine Jana mit dem Mann zusammen, der mich eingestellt hatte.

      So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

      "Jana kommt ab heute nicht mehr! Sie ist jetzt drüben!" Diese kurze knappe Information ließ keine weiteren Fragen zu. Wo "drüben" war, war mir klar.

      Von den anderen Frauen hörte ich, das sie jetzt zusammen war mit ihm. Mit dem? Meine Jana? Sie hatte sich doch immer mir anvertraut, wir waren doch Freunde, wenn nicht gar mehr, und jetzt - Jana, eine Hure?

      Für mich brach eine Welt zusammen.

      Ab und zu tanzte sie noch im Laden, wenn eine andere krank war oder ausgefallen. Mir wurde jeglicher Kontakt über das arbeitsbezogene Sprechen hinaus - und auch wirklich nur dies! - verboten. Meine Jana, die ich doch so liebte. Ich durfte sie nicht mehr sehen, keinen Kontakt haben, nicht reden, nicht telefonieren, nichts.

      Ich begann wieder, opportunistisch zu werden. Ich stellte mit Mal alles, was ich bis dahin spannend, abenteuerlich, aufregend gefunden hatte, in Frage. Spionierte hinter den “Jungs” her, hinter Jana, tauchte in der Herbertstrasse auf, der für mich verbotenen Zone, machte mich unbeliebt.

      Das war gefährlich.

      Janas Zeit als Liebesdienerin dauert nur kurz. Nach zwei Wochen rief sie an. Sie wolle weg, keine Lust mehr, ist doch nichts für sie. Das sagte sie nicht. Das hörte ich. Wenn sie mich anrief, oder später ich sie, dann hörte sich das wie folgt an:

      Sie, gedehnt: "Halloo, naaa, wollte mal hören, wie’s Dir so geht...!"

      Ich: "Mir gehts gut, Schnullerbacke…", so nannte ich sie immer, wegen Ihrer Hamsterbäckchen, die sie nicht leiden konnte, und die doch so niedlich aussahen und einfach zu ihr gehörten, "…wie geht’s Dir denn?"

      Denn wenn Jana anrief und mich nach meinem Wohlbefinden fragte, dann tat sie dies nicht, weil sie das wirklich dringend wissen musste, sondern weil bei ihr was nicht stimmte mit dem Wohlbefinden.

      "Joohh, so ganz gut eigentlich..."

      Das "..aber!...", was nun eigentlich hätte folgen müssen, habe ich immer deutlich gehört, auch wenn sie es nicht aussprach.

      Dann musste ich fragen. Wie früher, am Anfang. Unterstellen. Mutmassen. Annehmen.

      Ich musste mir vorstellen, wie es ihr ergangen ist in der Zeit, wo wir nicht gesprochen hatten und musste wieder meine Schlüsse ziehen. Grundlage für diese Schlüsse waren nur mein Einfühlungsvermögen in die naive, labile Jana, die ganz viel Liebe und Wärme brauchte, Verständnis, und nicht die raue, harte Welt des Kiez’.

      Sie wollte weg.

      Es war nichts für sie. Raus, nur raus. Aber sie konnte das nicht sagen. Nicht zu den “Jungs”. Sie hatte Angst. Sie hatte es ausprobiert, es war nichts für sie. Nun war sie wieder mal drin in einem ihrer Fettnäpfchen, wollte wieder raus, aber schaffte es nicht allein.

      Ich sprach mit meinem Lieblings-Luden, der wollte nichts davon hören. Das müsse sie selber sagen, meinte er. Sie ist ja erst kurz dabei, da kann sie das noch gar nicht so beurteilen, hieß es.

      Mit anderen Worten: ‘...halt Du Dich da raus!`