Christian U. Märschel

Kiez, Koks & Kaiserschnitt


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beim Sex und schlau.

      Sie konn­te Geld ver­die­nen, fest­hal­ten und hat­te oben­drein noch wel­ches, vom Pa­pa, der war ein ho­hes Tier in der In­du­strie.

      Bei Ma­ma und Pa­pa W. war ich al­ler­dings nicht so be­liebt. Für die war ich eher so eine Art Windhund. Es gibt Leute, die mich durchschauen können, es waren nicht so viele, aber die Eltern W. gehörten dazu, glaube ich.

      Ich war eher ge­dul­det: ‚…wenn das Töch­ter­chen un­be­dingt den will ... aber wir wer­den ihm auf die Fin­ger schau­en!’

      So ei­nen Ein­druck un­ge­fähr hat­te ich von Ma­ma und Pa­pa W. .

      Ir­gend­wann ist El­li nicht mehr da ge­we­sen, als ich in un­se­re hun­dert­zehn Qua­drat­me­ter große Woh­nung in Hamburg-Heim­feld zu­rück­kam, von ei­nem Kun­den­be­such in Frank­furt.

      Sie war lei­der et­was neu­gie­rig und hat ein Päck­chen von Ire­ne ge­öff­net, das mit der Post ge­kom­men war.

      Ire­ne ar­bei­te­te frü­her als Vi­deo-Mo­dell für den sel­ben La­den, für den ich jetzt in­ Am­ster­dam tä­tig bin und hat mich dan­kens­wer­ter Wei­se im­mer mit heißen, selbstgedrehten Videos ver­sorgt und da­mit mei­ne im­mer schon recht schief ge­ar­te­te Lust be­dient.

      Ire­ne ist jetzt mit ei­nem Zahnarzt ver­hei­ra­tet und El­li ist nun Stewardess bei der Airline mit dem Kranich. Bei­des scha­de.

       Auf nach Hamburg

      Nachdem Elli weg war, zurück nach Düsseldorf zu Mama und Papa, zog ich ins Nieb­uhr-Hoch­haus. Wa­rum das so heißt weiß ich nicht.

      Da­mals, als ich noch in Kre­feld wohn­te, ha­ben sie oft im­ Fern­se­hen be­rich­tet von die­sem Haus. Es hat fünf­zehn Eta­gen und je­de Wo­che sprang irgendwo je­mand aus dem Fen­ster. Ver­wahr­lo­sung, auf­ge­bro­che­ne Woh­nun­gen, über­all roch es säu­er­lich nach Pis­se auf den Gän­gen, im Trep­pen­haus Abfall und Kot­ze, mitten darin schliefen Penner den Rausch von billigem Korn aus, den sie eine halbe Stunde zuvor auf der Reeperbahn am Kiosk völlig überteuert erstanden hatten

      Das war da­mals.

      Als ich dort ein­zog, war al­les neu re­no­viert, all die ek­li­gen Mie­ter raus und da­für ein ge­misch­tes Grüpp­chen aus Hu­ren, Zu­häl­tern, Tän­ze­rin­nen und Alt-Luden, die "schon im­mer hier auf dem Kiez" wohn­ten.

      Das Nieb­uhr-Hoch­haus steht am En­de der Ree­per­bahn, in St. Pau­li, dem wie ich fin­de schön­sten Flecken in Ham­burg, wenn nicht so­gar auf der Welt. Sagte ich das schon?

      Ich be­kam ei­ne An­dert­halb­zim­mer­woh­nung im Drei­zehn­ten mit Blick über den gan­zen Kiez und den Hafen, die Landungsbrücken. Für dreizehnhundert Märker, warm.

      Ich lieb­te die­se Woh­nung.

      Der Kiez! - und ich mit­ten drauf, oben drü­ber.

      Nur lei­der noch nicht richtig drin.

      Nach ei­nem hal­ben Jahr zwi­schen Ohn­macht und To­des­sehn­sucht we­gen El­li und der Ein­sam­keit der Großstadt, in der ich kaum je­man­den kann­te, weil El­li mich stän­dig in Be­schlag ge­nom­men hat­te, be­schloss ich, auf dem Kiez mein Geld zu ver­die­nen.

      Ich zog nachts um die Häu­ser und sah bald ein Schild im Fen­ster ei­nes neu zu er­öff­nen­den Ta­ble-Dan­ce-Ladens, auf dem Kell­ner ge­sucht wur­den.

      Kellner! Klar, kann ich, kein Pro­blem.

      Man wird ja wohl noch ein paar Glä­ser auf ei­nem Ta­blett durch die Ge­gend tra­gen kön­nen. Höflich bin ich auch. Ich hatte schließlich eine gute Erziehung genossen.

      Was ich nicht wuss­te war, was ein Kell­ner auf der Ree­per­bahn wirk­lich macht.

      Er be­scheisst von vor­ne bis hin­ten, wird nach Um­satz be­zahlt und ver­dient ein Wahn­sinns­geld. Damals war das zumindest noch so. Heute leider nicht mehr… Da­zu spä­ter.

      Den Kell­ner­job ha­be ich nicht be­kom­men.

      Da­für wur­de ich Disc­jockey in dem Laden.

      Auch kein Pro­blem!

      Für je­man­den, den Mu­sik bis da­hin nicht die Boh­ne in­ter­es­sierte, der nicht mal wuss­te, wie he­rum ei­ne CD in den Play­er ge­hört - al­les Ler­nens­sa­che.

       Die Kiez - Family

      `Kiez’ ist eigentlich ein Begriff, der glaube ich eher aus Österreich kommt. Ein Kiez ist eigentlich ein Viertel. Mehr nicht. Jedes Viertel ist ein Kiez. Aber der Kiez ist nicht in jedem Viertel. Nur in Hamburg. In St.-Pauli. Auf der Reeperbahn. Nur dort ist der Kiez wirklich Kiez.

      Sechs für mein Leben wichtige, beeinflussende Jahre lang war ich dort. Jahre und Erfahrungen, die mich geprägt haben, meinen Begriff von Menschen verändert haben.

      Nach Ellis Flucht aus unserer gemeinsamen Wohnung und meinem Entschluss, dem Hamburger Kiez auf den Grund zu gehen, habe ich zunächst mich verändert.

      Ich habe neue Leute kennen gelernt, gleich haufenweise. Das war zuvor nie meine Stärke gewesen. Leute, von denen ich mir die für mich, nach meinen Kriterien, am besten geeignetsten aussuchen konnte, Menschen, die für mich Freunde oder gute Bekannte werden sollten, oder Menschen, die mir einfach egal sein sollten.

      Ich mache große Unterschiede zwischen Freunden und Bekannten. Freunde hast Du eigentlich fürs Leben, so habe ich damals gedacht und empfunden, meine Hamburger Zeit hat mich später ein anderes gelehrt.

      Ich war ein ganz normaler, großer Junge, einunddreißig schon, als ich bei meinen täglichen Langeweile - Streifzügen durch Hamburg - St. Pauli immer wieder an dem gleichen Laden vorbeikam, der früher einen Pizzeria war und nun gerade umgebaut wurde. Er nahm mit der Zeit Form und Gestalt an, und bald war zu erkennen, das es ein neuer Table-Dance wurde.

      Seit meinen ersten Fernseh-Eindrücken von der Reeperbahn, damals in Mutters Wohnzimmer, war ich fasziniert von den bunten Lichtern, den leichten Mädchen und Schweren Jungs.

      Damals schon wusste ich, hierher musst Du eines Tages, das ist Deine Welt.

      Nun war ich hier, ohne Kohle und ohne Arbeit, das Schicksal fügte sich, hier Geld verdienen zu müssen, wo ich doch schon hier wohnte.

      Als ich noch mit Elli zusammen war, war ich oft zu Besuch gewesen in einem Table-Dance, "Girlie’s" hiess er. Natürlich ohne Elli. Ich liebte die Atmosphäre, die nackten Mädchen auf der Bühne, eine Erfüllung für den heimlichen Voyeur. Und ich gab dort auch zügig meine letzten Groschen, die mir die intensive vierzehn-Stunden-pro-Tag-Arbeit zusammen mit Elli in unserer gemeinsamen kleinen Promotion-Agentur eingebracht hatte, für leichte Mädchen und Sekt -den Piccolo für fünfundfünzig Mark, die halbe Flasche für zwofünfundachtzig-, gerne aus.

      Der Laden, an dem ich so oft vorbeiging, war kurz vor der Fertigstellung.

      Es war ein warmer sonniger Tag im Mai Neunzehnfünfundneunzig, als im Fenster ein Schild hing:

      ‘Bald Eröffnung! Tänzerinnen und Kellner gesucht`.

      Von wegen Hamburg und hohe Arbeitslosigkeit! Hier wurden noch Leute gesucht. Leute, die was leisteten. Auf dem Kiez.

      Ich war sofort entschlossen, aber noch nicht gleich mutig. Ich strich ein paar Mal um den Laden herum, mit klopfendem Herzen. Ich war damals alles andere als selbstsicher. Endlich ging ich rein.

      Halbdüsteres Licht, rechts in der Ecke eine gelbe Baustellenleuchte auf einem Stativ, die die Baustelle in gleissend helles Licht tauchte. Zwei Männer waren damit beschäftigt, etwas auszusägen,