Sylvia M. Dölger

Zum Teufel mit Barbie!


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ihn um den Finger. Wieder und wieder. Das Blond leuchtete auch im Dunkeln.

      »Toll. Glückwunsch.« Sue zog tief an ihrer Kippe.

      »Und, wie läuft es bei dir, Sue?«

      »Gut.« Sie wich Vanessas Blick aus.

      »Wie ist die neue Schule?«

      »Nett.«

      »Na, das freut mich. Tolle Typen?« Sollte sie von Jimmy erzählen? Seit der Junge sie angeschrieben hatte, simsten sie regelmäßig. Er schien ein cooler Typ zu sein. Sie entschied sich dagegen. Vanessa würde sich eh bloß aufregen, dass sie mehr im Real Life leben sollte. Ihre Freundin hielt nicht viel vom Internet.

      »Bisher nicht.« Trotzig reckte Sue ihr Kinn ein wenig. Nur nicht anmerken lassen, welches Loch dieser Small Talk in sie fraß. Was sollte sie die Freundin noch fragen? Ihr fiel nichts mehr ein. Sie drückte ihre Zigarette auf der Fensterbank aus und schnippte sie weg. Von drinnen drangen gedämpfte Stimmen nach außen.

      »Na ja, die Schule hat auch gerade erst angefangen, gell?« Vanessa beobachtete den Zigarettenrauch, der sich im Nachthimmel verlor. Hastig zündete Sue sich eine neue Kippe an. Sie standen immer noch vor der Tür. Das Schweigen war dicker als der Rauch, den sie in die Luft pusteten. Sue formte Kringel aus dem Qualm, ließ sie in die Luft steigen, trat von einem Bein aufs andere.

      »Ich gehe wieder rein. Benni wartet sicher schon auf mich.«

      »Mach das. Ich rauche noch zu Ende.«

      Sue zog ein letztes Mal an der Kippe, drückte sie an der Wand aus, ließ sie auf den Boden fallen und betrat das Chelsea, ohne sich noch mal umzudrehen.

      Die Musik kam ihr nun lauter vor. Sie stellte sich an den Kicker und schaute den Jungs zu. Wenig später gesellte sich Vanessa wieder zu ihren Klassenkameradinnen. Ob es ihnen überhaupt auffiel, dass sie fehlte? Auch egal. Ab und zu verdrückte sich ein Pärchen nach draußen zum Rauchen oder Knutschen. Sie trank weiter Bier, bis sie es nicht mehr aushielt.

      »Ich muss los. Ciao«, rief sie in die Runde.

      »Tschüss, Sue, war nett dich kennenzulernen«, sagte Benni mit undeutlicher Stimme. Die anderen nickten. Sie wirkten ziemlich dicht, konnten kaum noch gerade stehen. Auch Sue schwankte leicht, sie brauchte dringend frische Luft.

      »Wir simsen«, rief Vanessa ihr hinterher.

      Ja, klar! Sims mir doch, wie süß Benni ist.

      »Wen interessiert das denn?«, schrie sie in die Nachtluft, als würde jemand zuhören, reagieren, antworten. Sie torkelte durch die vertrauten Straßen, die plötzlich fremd wirkten. Vanessa und sie hatten gezittert, wenn es Noten gab, gelacht, wenn sie die Jungs ärgern konnten und geweint, wenn sie Liebeskummer hatten. Und jetzt trug Vanessa ein Lippenpiercing, von dem Sue nichts gewusst hatte. Sie konnte sich nicht mehr länger gegen ihre Tränen wehren.

      3 »Thaischlampe!«

      Sue blinzelte. Helles Morgenlicht blendete sie. Pa klopfte schon wieder an die Tür. Sie tastete nach Schachtel und Feuerzeug und zündete sich eine Kippe an. Sie zog daran, hustete. Nur noch nicht aufstehen. Ihr Vater klopfte stärker.

      »Sue, aufstehen. Sag mal, ist das Rauch, der da unter der Tür durchkommt? Musst du denn schon am frühen Morgen rauchen? Sue?«

      »Ich komme gleich.« Eigentlich konnte sie sich nicht beschweren. Sie hatte keine nervigen Eltern, die jeden Spaß verbieten. Ihr Pa war in Ordnung, und ihre Mom fast so etwas wie eine Freundin. Einige Geheimnisse teilte sie mit ihr, aber was wirklich in ihr vorging, wussten sie beide nicht. Manchmal wusste sie es ja selbst nicht.

      Ihr Kopf dröhnte vom Bier. Sie sehnte sich nach frischer Luft, stolperte aus dem Bett und stieß das Fenster auf. Die kühle Herbstluft tat gut.

      Der Main glänzte dunkel. Weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellen. Ohne die Herbstsonne war es novemberkalt. Sie zitterte.

      Nach der Dusche zog sie Rock und Leggins an, dazu einen warmen Pullover. Ihr Blick fiel auf das Handy-Display. So spät schon? Die Englisch-Hausaufgaben! Sie hetzte durchs Zimmer, raffte ihre Unterlagen für die Schule zusammen, lief die Treppe hinunter, schnappte ihr Pausenbrot, drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und verließ die Wohnung. Mit ihrer Vespa, die sie in grellem Hellgrün lackiert hatte, erreichte sie die Schule in Windeseile, warf sich den Rucksack über die Schulter und rannte zum Gebäude. Hoffentlich konnte sie Englisch bei jemandem abschreiben. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Der Streber Kilian stand vor ihr. Sie bemühte sich, ihn nicht anzusehen.

      »Hey, Sue«, sagte der und suchte ihren Blick.

      »Hi.« Während sie an ihm vorbeiging, drehte sie den Helm mit beiden Händen. Schließlich warf sie den Rucksack auf ihren Platz in der zweiten Reihe und setzte sich. Mit einem Seufzer kramte sie ihr Englischheft aus der Tasche und kaute auf dem Stift herum.

      »Hast du die Übersetzung etwa noch nicht? Du hast aber nicht mehr viel Zeit! In ein paar Minuten klingelt es!«

      »Hast du keine anderen Probleme? Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Kilian!« Sie dehnte das ›A‹, weil sie wusste, wie sehr ihn das ärgerte.

      »Hey, hast wohl schlechte Laune, was!«

      »Was geht dich das an?« Sie sah ihn nicht an, sondern schmierte schnell ein paar Worte aufs Blatt, ohne groß nachzudenken. Warum musste auch ausgerechnet Kilian so früh da sein? Der wohnte doch ganz in der Nähe der Schule. Die anderen schienen mal wieder Verspätung zu haben. Sie warf den Stift hin. So würde sie heute eben keine Hausaufgabe haben. War nicht das erste Mal.

      Kurze Zeit später füllte sich der Raum allmählich. Der Klassenlehrer kam dazu und wollte mit dem Unterricht beginnen, als Christina, Sues Banknachbarin, in den Raum rauschte. Das Mädchen schleuderte die Jacke und ihre Handtasche mit den silbernen Nieten auf den Tisch und warf Herrn Mertens einen provozierenden Blick zu. Ihre langen aufgehellten Haare wirkten verfilzt. Der Pullover entblößte ihre linke Schulter. Wir Mädchen müssen ja zusammenhalten, dachte Sue, während die Stunde begann. Der softe Mertens verlor keinen Ton über Christinas verspätetes Erscheinen, sondern begann mit der Kontrolle der Hausaufgaben. Ausgerechnet heute ging er herum und kontrollierte alle Aufsätze! Er kam näher und näher. Sue warf einen fragenden Blick in die Runde. Christina flirtete mit Rick, eine kleine Gruppe spielte hinter dem Rücken des Lehrers Karten. Niemand beachtete den stillen Hilferuf.

      Verdammt! Gleich würde er bei ihr sein! Was sollte sie tun? In dem Moment wurde ihr unter dem Tisch ein Heft zugeschoben. Unauffällig nahm sie es, sah auf und traf Kilians Sommersprossen. So nah, dass sie sie zählen könnte. Scheiße! Er half ihr! Wenn das die anderen merkten! Aber sie hatte keine Wahl, nahm das Heft. Hoffentlich fiel die Schrift nicht auf. Sie war fast so krakelig wie ihre eigene. Es könnte klappen.

      »Gut gemacht, Sue«, sagte Herr Mertens einen Augenblick später und hakte sie in seinem Notenbuch ab. Er hatte den Trick nicht bemerkt. Im Raum wurde es lauter. Einige kicherten. Natürlich hatten die Klassenkameraden mitbekommen, was passiert war. Würde sie jemand verraten? Sue rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und spürte, wie sie langsam rot anlief. Jetzt hob auch noch Christina die Hand und schnipste mit dem Finger.

      »Herr Mertens, kann ich mich eine Reihe nach vorne setzen?«

      »Warum denn, Christina?«

      »Hier stinkt´s!«

      Sue rutschte ein Stückchen tiefer in ihren Stuhl. Sie musste jetzt die Farbe einer überreifen Tomate haben. Was sollte sie tun?

      »Was ist denn das Problem, Chrissi?«

      Die anderen kicherten hysterisch. Der Lehrer bewegte sich in Richtung des gemeinsamen Pults und schnupperte tatsächlich in der Luft herum. »Also, ich rieche nichts. Du bleibst mal schön hier bei Sue sitzen und beginnst mit der Übersetzung!«

      Obwohl Sue vor Wut kochte, konzentrierte sie sich auf das Schulbuch. Diese Zicke! Irgendwann würde sie es der heimzahlen. Wenn hier jemand stank, dann die! Von Anfang