Lina-Marie Lang

Angriff der Keshani


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schrie jemand vor Angst und Schmerz auf. Eine Kreatur stieß ein tiefes, gefährliches Knurren aus. Kurze Zeit später erstarb der Schrei.

      Nadira versuchte sich zur Seite zu drehen. Noch immer war sie nicht in der Lage klar zu sehen. Trotzdem entdeckte sie eine große, schwarze Kreatur nicht weit von ihr entfernt.

      Als Nadira sich auf die Beine stemmen wollte, fegte der Schmerz sie beinahe wieder um. Nur einer gewaltigen Willensanstrengung, und eine kleine Menge Ashara, hatte sie es zu verdanken, dass sie wieder auf die Beine kam.

      Ein dunkles, bösartiges Knurren brachte Nadira dazu sich umzudrehen. Die Kreatur hatte sich ihr zugewandt. Jetzt wusste Nadira auch, was für eine Wesen es war: ein Warg. Nicht der gewaltige Warg, der den Angriff eingeleitet hatte, aber auch dieser Warg war beinahe so groß wie Nadira.

      Sie griff nach ihrem Ashara. Der Warg duckte sich, um sich für den Sprung bereit zu machen. Er würde sie einfach von den Beinen reißen und dann zerfetzten. Aber Nadira war schneller. Der Warg sprang, im gleichen Moment traf ihn der Ashara-Schlag. Der Schlag war so stark, dass der Warg in die brennenden Bäume geschleudert wurde.

      Dort wo der Warg eben noch gestanden hatte, lag eine Gestalt. Nadiras Augen waren immer noch gereizt und sie sah ihre Umgebung nur verschwommen. Das Geklapper von Hufen näherte sich und Nadira erkannte drei Reiter, die sich ihr schnell näherten.

      Einer hielt neben ihr. „Steig auf", sagte er, es war Darec. „Schnell."

      Während Nadira hinter Darec auf das Pferd klettere, stieg ein anderer Reiter ab. Nadira vermutete, dass es Callanor war, aber war sich nicht ganz sicher, bis sie seine Stimme hörte.

      „Er ist tot."

      „Nein", hauchte Nadira. Nicht noch einer, nicht noch ein Toter.

      „Sie kommen", rief eine dritte Stimme, Tinju.

      Ohne zu zögern, riss Darec sein Pferd herum und trieb es an, die anderen beiden folgten ihnen.

      Aurel wartete ein Stück weiter den Weg hinab auf sie. „Wo ist Lledar?", rief sie, als sie sich näherten.

      „Er kommt nicht mehr", sagte Callanor. Da Aurel reglos sitzen blieb, statt ihnen zu folgen, hielten sie an. „Wir müssen weg. Sie kommen."

      „Er ist tot?", fragte Aurel ungläubig.

      Callanor griff einfach nach den Zügeln von Aurels Pferd und führte es hinter sich her. Nach kurzer Zeit übernahm Tinju die Zügel von Aurels Pferd. Einzelne Wölfe schienen den Weg durch den brennenden Wald gefunden zu haben. Callanor blieb ein wenig zurück und beschoss sie mit Pfeilen.

      Nadira konnte nicht erkennen, ob er traf. Aber zumindest kam kein Wolf oder Warg ihnen zu nahe. Sie schafften es noch weiter Zeit für die Menschen herauszuschlagen, die zu Fuß vor den Wölfen fliehen mussten.

      Schließlich kamen sie auf der letzten Landzunge an, auf der sich das Tor nach Giagan befand. Dort wartete Brancus auf sie. „Wo ist Lledar?", fragte er.

      „Er ist tot", sagte Darec.

      „Tot?", ein paar Sekunden schwieg er, dann fuhr er Nadira an. „Wieso hast du ihn nicht geschützt?"

      „Ich hab ihn nicht kommen sehen", sagte Nadira. Sie war von der Aggressivität in Brancus Stimme komplett überrascht.

      „Du hättest ihn schützen müssen", schrie er. „Er war mein Hüter." Brancus gab also ihr die Schuld. „Wegen dir habe ich meinen Hüter verloren. Ich verlange, dass du mir Darec als Hüter überlässt."

      War er jetzt komplett übergeschnappt?

      „Es wäre deine Aufgabe gewesen, auf Lledar aufzupassen", fuhr Darec ihn an, jede Höflichkeit und die offizielle Anrede ignorierend. „Aber du warst zu feige, um zu kämpfen. Wenn es jemandes Schuld ist, dann deine."

      „Hört auf zu streiten", rief Nadira. „Es ist schlimm genug, dass wir noch einen aus unserer Gruppe verloren haben. Wir können nicht auch noch Streit brauchen."

      „Diese Sache ist noch nicht vorbei", sagte Brancus kalt. Aber zumindest schien er vernünftig genug zu sein, um zu erkennen, dass es wirklich nicht die richtige Zeit dafür war.

      „Sie kommen", sagte Callanor.

      Nadira drehte sich um, um zu sehen, wie viele kamen. Sie hatte damit gerechnet, einige einzelne Tiere zu sehen, die durchgebrochen waren. Aber so war es nicht. Ein ganzes Rudel großer, schwarzer Wölfe kam auf sie zu.

      „Sind die Menschen in Sicherheit?", fragte Nadira.

      „Noch nicht", sagte Tinju. Einige Menschen rannten noch immer an ihnen vorbei auf die Stadt zu.

      „Wir müssen sie aufhalten", sagte Nadira.

      Brancus stieß einen Schrei aus. Langsam hob er die Arme in einer beschwörenden Bewegung. Nadira fühlte, wie sich immer mehr Ashara um sie herum sammelte. Dann schoss es plötzlich davon und direkt zwischen den Wölfen schoss eine Wand aus Feuer in die Höhe. Das wütende Knurren der Tiere wurde zu ängstlichem Heulen und Schmerzenslauten. Aber es dauerte nicht lange, bis die ersten Tiere sich durch die Flammenwand gekämpft hatten und weiter auf sie zustürmten.

      Nadira zerschmetterte einige dieser Tiere mit ihrem Ashara.

      „Wir müssen weg, sie schließen die Tore."

      Als Darec plötzlich los ritt gingen Nadiras Angriffe ins Leere. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Tinju Brancus Pferd antrieb. Sie schossen im Galopp auf die Stadttore zu. Der eine Flügel war bereits geschlossen, der andere schwang zu. Sie würden es nicht schaffen. Dann wären sie draußen gefangen.

      „Wartet", rief Darec. Und tatsächlich, das Tor hielt an. Sie schossen durch das halb geschlossene Tor. Kaum waren sie hindurch, erklangen Fluche und hektische Rufe. Nadira sah sich um. Die Wölfe waren fast bei ihnen. Die Wachen mühten sich mit dem Tor ab, um es zu schließen.

      „Zurück", rief Nadira.

      „Wir müssen das Tor schließen", rief eine der Wachen.

      „Zurück, los", rief Nadira. Da die Wachen nicht gehorchten, griff Nadira nach ihrem Ashara und zog sie vom Tor weg. Der erste Wolf war heran, aber ein Feuerschlag traf ihn und schleuderte ihn zurück.

      Ein zweites Mal griff Nadira nach ihrem Ashara und zerrte an dem Tor. Die nächsten Wölfe waren schon fast heran. Plötzlich machte das Tor einen Satz. Mit einem Krachen, das in der ganzen Stadt zu hören sein musste, fiel das Tor zu. Eine Sekunde später krachten mehrere Wölfe gegen das geschlossene Tor, die nicht mehr rechtzeitig anhalten konnten.

      Ein schwerer Riegel wurde vor das Tor gehängt. Sie waren in Sicherheit, aber sie hatten einen hohen Preis bezahlt.

      VERRAT

      

      

      Nadira lies sich erschöpft gegen die Wand des nächsten Hauses sinken. Der Kampf gegen die Wölfe und den Warg hatte sie erschöpft. Ihr Ashara war zwar nicht aufgebraucht, aber deutlich geschrumpft. Außerdem hatte sie sich bei dem Sturz von ihrem Pferd zahlreiche Prellungen zugezogen.

      „Geht es dir gut?", fragte Darec.

      Nadira nickte und versuchte zu lächeln. Ihre Gefährten befanden sich alle in der Nähe. Sie waren nur einige Meter vom Tor entfernt. Weiter die Straße hinunter hatten sich Menschen versammelt. Vielleicht waren es aber auch die Leute, die vor den Wölfen in die Stadt geflüchtet waren.

      Wachen hielten die Menschen vom Tor fern und gleichzeitig versuchten sie herauszufinden, was eigentlich gerade passiert war. Auch zu den Gefährten kam eine Wache.

      „Könnt Ihr mir erzählen, was hier gerade passiert ist?"

      „Ihr habt es doch selbst gesehen", sagte Darec. „Wölfe haben angegriffen."

      „Wölfe greifen keine Stadt an", sagte die Wache.

      „Sie wurden von einem Warg angeführt", sagte Callanor.