Lina-Marie Lang

Angriff der Keshani


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in der Lage, dieser Dinger wieder zu entfernen? Aber Nadira wagte es nicht, das Ashara aus ihrem Fokusstein zu verwenden. Die Energie war begrenzt. Und solange der Sog in Nadiras Geist vorhanden war, konnte der Fokusstein seinen Vorrat auch nicht auffüllen.

      Der Fokusstein nahm eine kleine Menge des Ashara seines Besitzers auf und speicherte es. Diese Menge war so gering, dass sie kaum ins Gewicht fiel. Es war weniger, als die Menge Ashara, sie ein Ashari regenerierte. Zwar wurde der Vorrat langsam aufgefüllt, aber ein Ashari konnte auch bewusst Energie in den Stein leiten, um ihn aufzufüllen. Mit dem Stein stand eine zweite Quelle von Energie zur Verfügung.

      Jeder Ashari konnte nur eine begrenzte Menge von Ashara speichern. War diese Grenze erreicht, war die Energie die sich regenerierte, verloren. Der Fokusstein fing diese überschüssige Energie auf und speicherte sie für später. Die Hauptaufgabe eines Fokussteins war es aber, die Energie zu fokussieren und somit zu verstärken.

      Im Moment war Nadira aber nicht in der Lage, ihren Fokusstein aufzuladen. Das Ashara im Stein war also alles, was sie hatte. Sie musste sehr vorsichtig damit umgehen. Das hieß, sie würde den Ring noch eine Weile tragen müssen.

      ***

      Darec erwachte in einem Bett. Im ersten Moment dachte er, er wäre zu Hause in Seraint, in seinem Bett. Aber das schmerzhafte Pochen an seiner Schläfe rief ihm schnell wieder in Erinnerung, wo er wirklich war. Als er sich auf setzte, verstärkte sich das Pochen noch weiter. Er befand sich in einem einfach ausgestatteten Zimmer. Wahrscheinlich war er irgendwo im Haus der Dynari untergebracht.

      Er stieg aus dem Bett und ging zur Türe. Es war an der Zeit Brancus zur Rede zustellen und mit Dyna Sirynda zu sprechen. Sie musste dafür sorgen, dass Nadira befreit wurde, und Brancus seine Strafe erhielt.

      Darec griff nach der Türklinke und wollte die Türe öffnen, aber sie war verschlossen. Wütend schlug er gegen die Türe und verlangte, dass jemand öffnete, aber seine Forderung wurde nicht einmal einer Reaktion gewürdigt.

      Darec trat an eines der Fenster. Er brauche keine Türe, um aus diesem Zimmer zu entkommen, ein Fenster würde es auch tun. Aber auch diesen Plan musste er schnell wieder verwerfen. Er befand sich mindestens zehn Meter über dem Boden, und es gab nichts, an dem er herunterklettern konnte. Darec saß fest.

      Einige Stunden später, die Darec damit verbracht hatte auf dem Bett zu liegen und ein Loch in die Decke zu starren, wurde plötzlich ein Schlüssel im Schloss umgedreht. Darec setzte sich blitzschnell auf und wollte nach seinem Schwert greifen, aber natürlich hatte man ihm seine Waffen abgenommen. Die Türe wurde geöffnet und Aurel trat, in Begleitung zweier Wachen, in das Zimmer.

      Aurel lächelte ihm zu. In den Händen trug sie ein Tablett, auf dem ein Teller mit dampfenden Eintopf stand. Beim Anblick des Essens fing Darecs Magen an zu knurren.

      „Wie geht es dir?", fragte Aurel, während sie das Tablett auf dem kleinen Tisch am Fenster abstellte.

      „Nicht mit dem Gefangenen sprechen", ging einer der Wachmänner dazwischen.

      „Das ist kein Gefangener, das ist Darec, der Hüter von Dyna Nadira", sagte Aurel in einem belehrenden Ton, der so gar nicht zu ihr passen wollte.

      Darec stand auf und setzte sich an den Tisch. Er schaufelte den Eintopf regelrecht in sich hinein. Er erkannte zwar, dass nicht Aurel ihn gekocht hatte, aber er hatte Hunger. Großen Hunger.

      „Brancus ist außer sich vor Wut", sagte Aurel mit einem Schmunzeln. „Nadira ist entkommen."

      Darec hielt mitten in der Bewegung inne. Der volle Löffel schwebte einige Zentimeter vor seinem Mund und er starrte Aurel darüber ungläubig an. Auf ihrem Gesicht lag ein zufriedenes Grinsen, aber nur bis sie einige Sekunden später von den Wachen gepackt und weggezogen wurde.

      „Ich sagte: Nicht mit dem Gefangen sprechen", sagte er und stieß Aurel aus dem Raum. Aber Aurel hatte die wichtige Nachricht schon überbracht: Nadira war entkommen. Keiner von beiden wusste von dem Problem, dem Nadira gegenüberstand, und keiner in der Stadt wusste von dem Chaos, das noch vor Tagesfrist über Giagan hereinbrechen würde.

      ***

      Callanor und Tinju suchten in den Fässern und Kisten, die im Keller herumstanden, nach etwas Essbaren. Finden taten sie jedoch nichts. Sie konnten aber sowieso nicht bis in alle Ewigkeiten hier unten bleiben. Irgendwann würden die Hausbewohner in den Keller gehen und sie entdecken. Im Moment war es besser, nicht entdeckt zu werden.

      Nadira versuchte ihren Geist zu beruhigen. Sie nutzte dazu eine der Grundtechniken, die die Dynari in der Ausbildung aller Ashari und Dynari verwendeten. In dieser Übung setzte man sich gemütlich hin und versuchte seinen Geist auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Das war überraschend schwierig, wenn man nicht darin geübt war. Aber mit genügend Übung schaffte man es fast automatisch.

      Ohne diese Kontrolle über die eigenen Gedanken und Gefühle war es sehr schwierig das Ashara zu kontrollieren. Deshalb war diese Fähigkeit eine der ersten, die junge Ashari und Dynari in Alluria erlernten.

      Durch den Halsring war Nadiras Geist in Aufruhr. Mit dieser Übung schaffte sie es, zumindest ein wenig Ruhe zu schaffen. Sie schaffte es, einen Platz in ihrem Geist zu schaffen, in dem ihre Gedanken nicht von dem Sog in ein unkontrolliertes Chaos verwandelt wurden.

      „Was machen wir jetzt?", fragte Nadira. Obwohl sie eigentlich die Anführerin der Gruppe war, befanden sie sich in einer Situation, die ihr komplett fremd war. Sie hoffte das Callanor oder Tinju mehr Erfahrungen mit Situationen wie dieser hatten. Oder dass sie zumindest eine Idee hatten, was sie tun konnten. Aber die beiden sahen erst Nadira ratlos an, dann einander.

      „Wir wollten Euch erst mal da runterholten", sagte Tinju.

      „Das habt ihr auch geschafft, und ich bin euch wirklich dankbar dafür", sagte Nadira. „Aber wir können hier nicht bleiben."

      „Der Schlaf scheint Euch gut getan zu haben", stelle Callanor fest. „Ihr wirkt nicht mehr so verwirrt wie gestern."

      Nadira nickte. „Es hat geholfen. Aber das Ding entzieht mir immer noch mein Ashara und es fällt mir schwer mich zu konzentrieren."

      „Wir müssen herausfinden, wie wir das Ding abbekommen", sagte Tinju.

      „Nur wie?", fragte Callanor. „Die Einzigen, die etwas darüber wissen könnten, sind die Dynari. Und wir wissen nicht, ob sie uns nicht sofort in den Kerker stecken würden."

      Mit Sicherheit wissen taten es nur die Keshani. Die würden Nadira aber sicher nicht den Gefallen tun und ihr das Ding abnehmen. Die Einzigen hier in der Stadt, an die sie sich wenden konnten, waren die Dynari. Aber vermutlich wussten die auch nicht mehr als Nadira, denn vor ihrer Reise hatte sie noch nie von diesen Halsringen gehört.

      „Wir sollten hier verschwinden", sagte Nadira. „Vielleicht hören sie uns zu, wenn sie erfahren, in welcher Gefahr Alluria schwebt."

      „Das müssten sie inzwischen wissen", sagte Callanor. „Und sie werden wahrscheinlich jede Hilfe brauchen, die sie bekommen können."

      Nadira war sich nicht sicher, ob sie als Hilfe angesehen wurde. Wenn Brancus die örtlichen Dynari davon überzeugt hatte, dass Nadira eine Verräterin war, dann würde man sie eher als Gefahr einschätzen. Aber hier im Keller zu warten, bis die Guul kamen um sie zu fressen, war auch keine Alternative.

      Sie zogen Umhänge mit Kapuzen an, in der Hoffnung, dass man sie nicht sofort erkennen würde und so schlichen sie aus dem Keller heraus. Der Zugang des Kellers befand sich außerhalb des Hauses. Diese Methode war eigentlich ziemlich unpraktisch, weil man das Haus verlassen musste. Außerdem war es leichter für Einbrecher in den Keller zu kommen, wie Callanor und Tinju bewiesen hatten. Genutzt wurde diese Methode dann, wenn im Haus kein Platz für einen Zugang war. Möglicherweise auch, wenn der Keller erst nach dem Haus gebaut wurde. Allerdings führte das nicht selten zum Einsturz des Hauses. Nadira wusste das, weil dann die Dynari geholt wurden, um die Opfer zu bergen.

      In der Stadt war alles friedlich. Die Menschen schienen unbesorgt ihrem Alltag nachzugehen. Es sah nicht so aus, als befände sich die Stadt in Vorbereitungen für einen