Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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Farben angeboten. Rot, hat meine Herrin gesagt, rote und weisse Blumen wären schön, aber achte darauf, dass sie ganz frisch sind! Die Auswahl ist gross und ich finde einen Korb voll von frischen Blumen, die Herrin wird begeistert sein.

      Wieder zurück begutachte ich die Arbeit des Thrakers. Der Hof ist gewischt, die Veranda vom nächtlichen Regenwasser befreit, die Liegen sind bereit gestellt. Die Frauen flechten nun Kränze aus den Ranken und den Blumen, und bald sind Hausaltar, Eingang und Torbogen mit Blumen geschmückt. Die Liegen werden mit neuen Tüchern bedeckt. Die Muster spiegeln die Webkunst meiner Herrin wieder und werden den Gästen sicher gefallen. Auch die Blumenkränze, die sich die Gäste aufsetzen können, sind schon bereit. Das grosse Fest kann beginnen.

      Ariston

      Schon seit langem bin ich eigentlich wach. Auf der anderen Seite der Wand, im Frauenteil des Hauses, schläft meine Frau sicher auch nicht mehr, ich kenne sie zu gut, als dass ich mich von der Ruhe drüben täuschen lassen würde. Heute ist schliesslich unser Tag, den wir mit einem grossen Fest begehen wollen. Endlich bin ich, Ariston, der Sohn des Eupeithes, Besitzer eines eigenen Hauses!

      In Athen ist es den Nicht-Bürgern ja im Prinzip nicht erlaubt, Grund und Boden zu besitzen. Wir Metöken sind nur geduldet, soweit wir zur Prosperität und zum Glanz dieser Stadt beitragen. Und meinen Anteil daran leiste ich ja bestimmt: Aus meiner Hand kommen nämlich die Stempel, die zur Prägung der athenischen Eulen, der auf der ganzen Welt bekannten und geschätzten attischen Drachmen und Tetradrachmen, verwendet werden. Diese meine Kunst hat jetzt schliesslich dazu geführt, dass uns die Bewilligung zum Erwerb unseres Hauses erteilt wurde. Das ist aber eine lange Geschichte, die ich vielleicht einmal meinen Enkeln erzählen werde, denn jetzt ist keine Zeit zu müssigen Gedanken über die Vergangenheit, die Gegenwart ruft. Eigentlich wurde ich ja von Theramenes geradezu dazu gedrängt, dieses Haus zu erwerben. Klar, das Haus war von seinem ehemaligen Besitzer in seinem Testament mehr oder weniger gezwungenermassen den Dreissig Regierenden vermacht worden, und Theramenes war mit dessen Verkauf beauftragt. Er wusste, dass ich über die entsprechenden Mittel verfügte, und er wollte die Liegenschaft so rasch als möglich loswerden. Ich hätte sie aber kaum erworben, wäre ihre Lage nicht so ausgesprochen günstig gewesen. Das Haus liegt in einem Wohnviertel südwestlich der Akropolis, in dem eigentlich Handwerker nicht gerade erwünscht sind. Aber meins ist ein recht stilles Gewerbe, das ohne viel Lärm, ohne lästige Gerüche oder grosse Staubentwicklung ausgeübt wird, und der kurze Weg in die städtische Münzanstalt in der Südostecke der Agora machte die Liegenschaft doch sehr attraktiv. So haben wir letzte Woche das Haus übernommen und eingerichtet, und heute werden wir unseren neuen Status gebührend feiern.

      Ich stehe auf, und sofort ist auch Aktivität im Frauengemach zu vernehmen. Ismene hat also wirklich nicht mehr geschlafen.

      Draussen auf dem Hof höre ich die leise Stimme meines Dieners, Panos, der dem Thraker, unserem zweiten Sklaven, Anweisungen für den heutigen Tag gibt. Gut so, Panos ist ein sehr aufmerksamer, verantwortungsbewusster und initiativer Sklave, und man merkt ihm seine Herkunft an – er stammt aus gutem Hause. Ich habe ihn vor vielen Jahren nach der Eroberung von Melos durch unsere Stadt aus der Kriegsbeute gekauft, weil ich damals unbedingt einen Gefährten und Erzieher für meinen Sohn brauchte, bevor ich mit dem athenischen Aufgebot zur Expedition nach Sizilien aufzubrechen hatte.

      Seine trotzige Haltung auf dem Sklavenmarkt gefiel mir damals: Trotz seines jugendlichen Alters, das ihn vor der Hinrichtung bewahrt hatte, zeigte er keine Unterwürfigkeit, sondern er trug sogar einen gewissen Stolz zur Schau. Als ich ihn kaufte, sah er einen Augenblick lang etwas enttäuscht aus, er hatte sich wohl nicht einen Handwerker als zukünftigen Herrn vorgestellt. Ich habe ihn einmal gefragt, was er in diesen Augenblicken gefühlt hätte, und worauf sein stolzes Auftreten auf dem Sklavenmarkt beruhte. Er hat mir dann anvertraut, dass er der einzige überlebende seiner Familie aus der Aristokratie von Melos sei. Auch als Sklave sei er es aber seinen Vorfahren schuldig, nie aufzugeben und seine Herkunft nie durch niedriges, unehrenhaftes Verhalten zu beflecken.

      Der Ausspruch mit dem „nie aufgeben“ hat mich zuerst schon etwas beunruhigt, das könnte ja schliesslich heissen, dass er bei der erst besten Gelegenheit durchzubrennen versuchen würde. Vor allem in der Zeit der sizilianischen Gefangenschaft habe ich mich oft gefragt, ob er wohl bei meiner Frau und den Kindern ausgeharrt habe, und ich war sehr erfreut, ihn bei meiner Rückkehr als – im praktischen, wenn auch nicht im rechtlichen Sinne – effizienten Hausmeister anzutreffen. Mein alter Onkel hat in meiner Abwesenheit das Haus verwaltet und die Geschicke der Familie geleitet. Kurz von meiner Heimkehr ist er aber plötzlich verstorben, und meine Familie stand ohne Schutz und Leitung da. Panos hat nicht etwa die Gelegenheit gepackt und die Flucht ergriffen, er ist bei meiner Familie geblieben und hat sie betreut und beschützt. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Vielleicht werde ich ihm einmal die Freiheit schenken. Darüber muss ich noch nachdenken, aber jetzt ist das Wichtigste, dass dieses Fest ein Erfolg wird. Heute darf nichts schief gehen.

      Ich gehe nach unten, hole mir im Vorbeigehen eine Handvoll Oliven, ein Stück Brot und Käse, mein Frühstück, und gehe dann in den Hof. Panos bemerkt mich augenblicklich und kommt zu mir hinüber.

      „Ich habe dem Thraker klar gemacht, dass der Hof heute wirklich ganz sauber sein muss, damit die Gäste schon beim Eintritt ins Haus eine guten Eindruck erhalten. Ich glaube, er hat es verstanden, obschon man bei seinem barbarischen Dialekt nie ganz sicher sein kann. Ich nehme an, er wird auch die Veranda noch trocken wischen. Dann würde ich jetzt gerne zum Musenhügel gehen, um die für die Kränze benötigten Ranken zu pflücken, solange sie noch vom morgendlichen Tau frisch sind. Ist das in Ordnung?“

      „Ja, klar,“ sage ich „aber nimm doch Niko mit, sonst treibt er hier doch nur Unfug und versäumt die Sklavin.“

      Er nickt, auf seinem Gesicht zuckt ganz kurz ein Ausdruck auf, den ich nicht ganz verstehen kann, aber dann wendet er sich ab und geht ins Haus, um meinen Sohn zu wecken. Kein Problem also, ich kann beruhigt sein, dass die ganzen Vorbereitungen wie am Schnürchen laufen werden, und ich kann mich jetzt meinen täglichen Verpflichtungen zuwenden.

      Ich betrete meine Werkstatt und hole die beiden neuen Stempel für Tetradrachmen, die ich in der Münzstätte abzuliefern habe. Es sind Stempel, die ich als kleine Meisterwerke bezeichnen kann, und ich hoffe sehr, dass sie den Münzmeistern auch gefallen. Ich habe in der Werkstatt drei Probeabschläge auf Bleirondellen gemacht, die ich ihnen zur Prüfung vorzeigen kann, und sowohl der Stempel für die Vorderseite mit dem Kopf der Göttin Athena, als auch die Eule auf der Rückseite sind mir nach meiner Meinung hier ausgezeichnet gelungen.

      Ich stecke die Stempel und Probeabschläge in eine Tasche und mache mich auf den Weg, um den Areopag herum in Richtung der Agora. Unterwegs komme ich ins Grübeln. Lange habe ich nämlich mit Theramenes und den Münzmeistern über eine zeitgemässere Darstellung der Göttin auf diesen Münzen diskutiert. Es schien mir immer, die Art, wie die Augen der Athena aussehen, sei allzu altväterisch und sollte doch dem Zeitenwandel angepasst werden können. Theramenes war zwar schon mit mir einverstanden, dass in einem Gesicht im Profil eigentlich auch die Augen im Profil dargestellt werden müssten, aber viele seiner Kollegen seien gegen eine grössere Veränderung des Münzenbildes. Sie argumentierten, die athenischen Eulen seien dermassen bekannt und weitherum als Geld so fraglos akzeptiert, dass ein drastischer Wechsel im Aussehen dieser Münzen der attischen Wirtschaft nur schaden könnte.

      „Was, wenn wir bei jeder grösseren Zahlung für Getreide oder Schiffsbauholz einen Eichmeister mit offiziellen Gewichten mitschicken müssten, der dem Verkäufer das volle Gewicht des Silbers nachzuweisen hätte?“ fragten sie. „Dann könnten wir das Silber gleich in Barrenform liefern und würden uns die Auslagen für Stempel, Stempelschneider und Münzarbeiter sparen.“

      Ich glaube, diese Bedenken sind grundlos, aber letztlich musste ich mich fügen und das Auge Athenas immer noch als von vorn gesehen darstellen. Allerdings habe ich mir die Freiheit genommen, das Bild, das ich für die Prägung der Notmünzen vor rund zwei Jahren verwendet habe, wieder aufzunehmen und etwas weiter zu entwickeln. Meine Athena hat nun ein Auge, das etwas näher an der Natur ist, ohne dass aber ein klar bemerkbarer Unterschied zu den früheren Darstellungen besteht. Ich bin